Von Matthias Bosenick (03.03.2023)
Das ist jetzt also die Fortsetzung der Spirou-Hauptreihe nach sieben Jahren Pause? Das neue Autoren-Gespann, das sich dieser 1938 ins Leben gerufenen frankobelgischen Comic-Institution annimmt? „Der Tod von Spirou“ wird diesem Erbe nicht gerecht, sondern hätte besser als One-Shot – wie die ersten drei Bücher, die Zeichner Oliver Schwartz verantwortete – veröffentlicht werden sollen. Man sollte die Hauptreihe vielleicht einfach überhaupt beenden und sich komplett auf die Spezial-Ausgaben verlegen. Dieses Buch ist trotz guter Ansätze mehr retroselige Fanfiction mit enttäuschend teilnahmslosem Abgang als würdige Fortführung der Serie. Schwach!
Die drei ??? geben es vor, wie schwierig es ist, mit einem Nachwuchsteam eine Serie fortzuführen, die älter ist als ihre Autoren, die selbst Fans sind und diesen Umstand nicht aus ihrer Arbeit heraushalten können; das gilt offenbar auch für Sophie Guerrive, der ersten Frau, die jemals an Spirou arbeitet, und Benjamin Abitan. „Der Tod von Spirou“ ist vollgestopft mit Anspielungen und Cameos älterer Figuren und Geschehnisse, allem voran aus der prägenden Zeit von André Franquin. Das schließt nicht nur das Gaston-Universum im Verlagsgeschehen mit ein, ohne Gaston selbst zu zeigen, aber stattdessen ständig zu zitieren, sondern setzt explizit die Episode „Das Versteck der Muräne“ aus dem Jahr 1955 fort. Viele der Figuren treten dabei vorrangig um ihrer selbst willen auf, nicht zwingend handlungsrelevant; das macht das Buch mehr zur Hommage als zur eigenständigen Episode.
Eigentlich geht es gut los: Im Original steht der 100. Geburtstag des Verlags Dupuis an, den der deutsche Herausgeber Carlsen auf sein eigenes 70jähriges Bestehen ummünzt. Anstatt rechtzeitig zur Feier im Verlag einzutrudeln, gehen Spirou und Fantasio einer Spur nach, die sie bei der Nachrichtenlektüre wittern: Ihre Konkurrentenfreundin Steffani recherchierte über einen Umweltskandal, doch der Artikel, der dabei herauskommt, ist eine Lobhudelei auf ein Unterwasserhotel – und somit Anlass zum Aufhorchen für die beiden Abenteurer-Journalisten. Die Indizien und Rückschlüsse sind vor Ort gut verteilt und aufgeschlüsselt, mit Pfeilschwanzkrebsen, einer Serverfarm, Meerwasserüberhitzung und kahlem Grund, ebenso mit der Rolle des Grafen Unterwasserpilz, der Taucher auch ohne Ausrüstung submarin atmen lässt, sowie Zyklotrops, dessen Technik man sich hier bedient, um den Skandal zu verschleiern und trotzdem Geld aus der Maschinerie zu melken, obschon man sich darin nicht einig zu sein scheint, welche Ausprägung sein Charakter in der Serie überhaupt haben soll, er schwankt seit Jahrzehnten zwischen bekloppt-böse und bekloppt-geläutert und ist hier wieder – möglicherweise – der Böse.
Aber dann muss Spirou ja unbedingt sterben, und nicht nur dieser Umstand ist konstruiert, weil Fantasio ihm auch einfach hätte nachtauchen können, sondern ebenso alles, was dem folgt, nämlich die vollständige Teilnahmslosigkeit. Anstatt sofort einen Rettungstrupp zu organisieren, reist Fantasio zum Verlag, wo er an der Gala teilnimmt und erfährt, dass Spirous Tod dort sogar ganz gelegen kommt, weil man mit Steffani eine zeitgemäßere Figur als neue Serienheldin mit Fantasio als Sidekick etablieren kann. Was ein Murks. Und die Auflösung folgt dann im nächsten Band.
Positiv sind die Zeichnungen, insbesondere die Landschaften; das alte Rummelsdorf sieht klassisch aus, an die Mittelmeerküste fühlt man sich direkt versetzt, die Nouvelle Ligne Claire findet hier ihre Entsprechung. Anders bei den Figuren, deren Zweidimensionalität oftmals gerade in diesem Kontext verwirrt. Positiv sind auch die anfänglichen Gags, die etwa Fantasio als zwar gescheiterten, aber den Humor bewahrenden Erfinder zeigen. Positiv ist auch, dass die Moderne ganz selbstverständlich Einzug in diese 85 Jahre alte Serie hält, mit Veganismus, Umweltschutz, Überwachung, Massentourismus, Elektromobilität oder Tablets sowie bisweilen mit einem etwas arg aufgesetztem Hang zum Belehrenden. Interessant ist, dass man den Helden einmal sogar nackt zu sehen bekommt, immerhin mit einem Bein, das beim Ankleiden die empfindlichste Stelle verdeckt. Kleiner Funfact: Die Zimmernummer im Hotel entspricht der Nummerierung des Bandes in der französischen Serie, die der deutschen um zwei voraus ist – deshalb residieren Spirou, Fantasio und Eichhörnchen Pips in Nummer 56, nicht in 54.
Tja, aber dann. Nach dem anfänglichen spannenden Aufbau zerfällt die Geschichte bald. Selbst anfangs gibt es schon Mängel: Einige Bilder sind dergestalt zusammenhanglos aneinandergepappt, dass man sich fragt, ob das am Übersetzer liegt oder ob das Original auch schon so gestümpert war. Einzelne Sprechblasen sind sinnfrei und unvollständig abgehackt, man hat den Eindruck, es mit dem Werk von Amateuren zu tun zu haben. Dann lassen die Autoren Pips wieder sprechen oder denken, was ja okay ist, aber nicht, wenn es so inflationär und pointenfrei geschieht; man muss leider feststellen: Pips nervt. Zudem bekommt er mittendrin einen eigenen Handlungsstrang, der irgendwann per Kommissar Zufall dort endet, wohin auch die Spur seiner Herrchen führt. Und dann natürlich Spirous Tod, der willkürlich wirkt und nur noch unsinnigen Mist nach sich zieht.
Mit den gewichtigen negativen Punkten reiht sich dieser Band beinahe ein in die Liste der schlechten Dreiteiler, erst von Nic & Cauvin in den Achtzigern und jüngst die One-Shots von Cambré & Legendre. Und das, obwohl Schwartz bereits drei mehr als ordentliche One-Shots beisteuerte: 2009 „Operation Fledermaus“, 2014 ,Die Leopardenfrau“ und 2017 „Der Meister der schwarzen Hostien“, jeweils mit Yann. Damit wäre er nicht der erste Zeichner, der nach einem grandiosen One-Shot die Serie übernahm und sich an ihr verhob: Fabien Vehlmann und Yoann gelang dies, als sie nach „Die steinernen Riesen“ aus dem Jahr 2006 vier Jahre später das Ruder übernahmen und bis 2016 satte fünf allerhöchstens mittelmäßige Bände ablieferten. Und das, nachdem Morvan und Munuera von 2005 bis 2008 die Serie nun wirklich mit einem großen Schritt nach vorn brachten – der aber beim Verlag nicht gut ankam, weil er angeblich bei den Lesern nicht gut ankam. So gut wie zu der Zeit war Spirou danach nie wieder, und zuvor hatten Tome & Janry 1998 mit dem großartigen „Jagd auf Spirou“ ein für sie abschließendes experimentelles Zeichen gesetzt, wie die Reihe auch aussehen könnte. Immerhin gestaltet Munuera jetzt die Zyklotrop-Nebenreihe, und deren dritter Band ist eine Bombe.
Sollte Spirou jetzt also wirklich tot sein, wäre das gar nicht so schlimm, hieße die Alternative, die Fortsetzung sei so mau wie dieses Buch. Es gibt viel bessere One-Shots – und außerdem sind für die Zukunft auch schon wieder welche vorgesehen: Spezial Nummer 40, „Tulpen aus Istanbul (Robbedoes – Tulpen uit Istanboel)“ von Hanco Kolk kommt im Mai heraus, im August folgt Spezial Nummer 41, „Spirou und das Helden-Syndrom (Spirou chez le fous)“ von Jul & Libon. Sollen sie doch komplett auf die Hauptreihe verzichten, bei den vielen Team-Wechseln der letzten Jahre macht es eh keinen Unterschied und eine Enttäuschung wie diese nicht so gewichtig.