Von Matthias Bosenick (13.02.2023)
Gleich zwei Vermächtnisse in einer Aufnahme: Mit zwei Kontrabässen und einem Schlagzeug improvisierten Frederik „Fred“ Groborsch, Peter Kowald und Jörg A. Schneider 2002 im Studio von Guido Lucas herum. Kurz darauf verstarb Kowald in New York, und Lucas reiste ihm 2017 nach. Das gemeinsame Album „Bedlam“ erscheint jetzt, leider ausschließlich digital, aber wenigstens überhaupt, und man darf hier das Trio dabei begleiten, wie es arhythmisch unstrukturierten und angenehm hörbaren Jazzlärm generiert, mit Bogen über Saiten und einem damals eigentlich noch intakten Noiserock-Schlagzeuger, der seine zukunftsweisende Taktlosigkeit erst danach so richtig auszuleben begann. 15 Miniaturen, schlicht nach Alphabet durchbetitelt und grob dem Free Jazz und der Impro-Musik zugeordnet. Wie gut, dass diese Aufnahme jetzt die Archive verlässt!
Man kann so einem Kontrabass ja echt eine Menge Geräusche entlocken, glaubt man gar nicht, so als Laie. Dabei hat man das ja selbst bestimmt schon mal auf der Akustikgitarre von irgendwelchen Kumpels ausprobiert, mal auf dem Bund herumzupfen, mal die Finger über die Saiten rollen lassen, mal das Griffbrett manipulieren und Zeugs drunterklemmen, mal das Schallloch verstopfen. Auch ohne, dass man Akkorde kann, kommen dabei interessante Sounds heraus – wie soll das also bei Leuten sein, die Akkorde können und deren Instrument ein bisschen größer ist als so eine Akustikwanne? Und die zusätzlich noch den Bogen zwischen Lärm und Wohlklang spannen und inmitten dieser Improlandschaft angenehm warme Flächen generieren?
Denn das Trio übertreibt es nicht, es veranstaltet keinen enervierenden Lärm, sondern bleibt auf dem Teppich. Das geht bestimmt alles auch in unhörbar, aber die drei haben Freude an dem, was sie tun, und sicherlich kein Interesse daran, Musik zu erzeugen, die sie selbst nicht ertragen. Das heißt natürlich nicht, dass es für Uneingeweihte nicht trotzdem anstrengend sein kann, davon ist sogar mal auszugehen. Es dürfte schon ausreichend verwirren, dass Schneider hier keinen Mitklatschrhythmus anschlägt, sondern assoziativ auf seine Apparaturen drischt, indes angemessen, angepasst an die Sounds der beiden Bassisten in sich homogen, mal mit mehr Ohrenmerk auf den Becken, mal mehr auf den Toms, rollend, flächig, dezidiert, reduziert, alles im Wechsel und die ihrerseits improvisierenden Bassleute begleitend. Manchmal kann man beim Spiel dieser beiden Basser sogar Melodien ausmachen, jaha! Und gar nicht so selten richtig leise Passagen, die in ihrer Filigranität die Seele streicheln.
Wie das Ganze ohne Schlagzeug klingen könnte, verdeutlicht das zeitgleich aufgenommene Impro-Album „Duo“ von Groborsch und Kowald, das bereits 2020 auf Bandcamp veröffentlicht wurde (und dessen Cover als Quasi-Remix jetzt die neue Veröffentlichung mit den Drums ebenfalls ziert). Diese 16 Tracks nummerierte das Duo einfach nur durch und vollführt Ähnliches wie auf „Bedlam“, stilles bis aufgekratztes Malträtieren der Kontrabässe. Ein schöner Parallelentwurf zu der Variante mit Schlagzeug, das im Vergleich etwas mehr Nervosität in den Sound einfließen lässt, der zudem einmal mehr zum Staunen darüber anregt, was alles so aus diesen Standbässen an Geräuschen herauszuholen ist, wenn man nur Ahnung davon hat. Freunde des Kronos Quartet sollten hellhörig werden.
„Duo“ bzw. „Dous“ ist ein Titel, den man bei Kowald häufiger zu lesen bekommt. Seine künstlerischen Anfänge nahm der Bassist in den Sechzigern bei Peter Brötzmann, und das sagt über seine Musik ja schon einiges. Zudem blieb es weder beim Bass noch bei Wuppertal, Kowald war in aller Welt zu Hause, lernte viel dazu, so auch den auf „Duo“ zu hörenden Obertongesang, und starb dann auch kaum nach seinem Aufenthalt in Lucas‘ Troisdorfer Blubox-Studio in New York, nach einem Gig.
Die anderen – inklusive Produzent – drei Beteiligten stehen dem Noiserock und dem Hardcore nahe und machen hier Jazz, da soll nochmal einer sagen, diese Knüppelmusik sei anspruchslos, das steckt da alles mit drin. Groborsch spielte zum Zeitpunkt der Aufnahmen eigentlich bei den Solinger Hardcore-Indierockern Lockjaw (und heute bei Einfürst), Schneider bei den Hückelhover Noiserockern Les Homems Qui Wear Espandrillos (und heute nur noch da, wo sein Herz ihm sagt, dass er komplett frei sein Schlagzeug einsetzen möge) und Lucas in seinem Troisdrofer Studio ohnehin in allen möglichen Indiebands, Scumbucket, Ken und nach seinem Ausstieg zumindest als Produzent noch bei Les Hommes Qui Wear Espandrillos. So ein „Chaos“, wie der Titel „Bedlam“ behauptet, ist das gemeinsame Album nicht: ein Durcheinander schon, aber nicht zerstörerisch. Und: ein Vermächtnis. Leider nicht physisch zu haben.