Von Matthias Bosenick (02.01.2023)
Und noch eine Corona-Platte. Weil es aufgrund der bekannten Hindernisse (Kontaktbeschränkungen usw, usf) nicht zur geplanten Albumproduktion kommen konnte, schieben Jambinai nun eine EP ein, auf der sie einerseits das weltweite Lockdownelend behandeln und andererseits etwas verzögert das Zehnjährige ihrer Band feiern, als Dankeschön an die Gefolgschaft. Und die wächst, obwohl die Musik der Südkoreaner mitnichten leicht konsumierbar ist: im weitesten Sinne Post-Rock, kurz vor Metal, aber durchsetzt mit traditionellen Koreanischen Instrumenten und befreit von gewöhnlichen Pop- und Songstrukturen. Und trotzdem voller Schönheit, die lediglich keinen westlichen Hörgewohnheiten entspricht; dabei hatte man ja bereits zehn Jahre Zeit, sich an den Sound von Jambinai zu gewöhnen, und wer daran Gefallen fand, wird mit „Apparition“ belohnt.
Es gibt einfach Instrumente in Korea, die Töne erzeugen, die ungeübten Hörenden auf den Zeiger gehen können: Zur Grundausstattung gehört zwar das klassische Rock’n’Roll-Equipment aus Gitarre, Bass und Schlagzeug, aber verwenden Jambinai auch auf „Apparition“ die Bambus-Oboe Piri, das – hust – gehämmerte Hackbrett Yanggeum, die Zupfzither Geomungo und die augenscheinlich einem Terry-Gilliam-Film entnommene Schilfrohr-Mundharmonika Saenghwang. Die Stücke, die mit all dem entstehen, tragen die leiernden, lang anhaltenden und vornehmlich hohen Töne dieser traditionellen Blas- und die tieftönenden Rhythmusfiguren der Saiteninstrumente, mal allein, mal kombiniert mit dem Drone, Post-Rock, Noise, Post-Metal, den Jambinai mit dem Rest des Instrumentariums erzeugen. Ähnlich frei wie diese Zusammenführung sind auch die Tracks, die zwischen Lärmausbrüchen immer wieder kontemplativen Sequenzen Raum geben, in denen das Koreanische im Mittelpunkt steht. Beide Anteile tragen eine mitreißende Intensität – und folgen keinen herkömmlichen Strukturen.
Anders als Etwa The Hu aus der Mongolei komponieren Jambinai keine westlich orientierten Metal-Stücke, in die sie ihre fernöstlichen Töne wie zur folkloristischen Dekoration einbauen, sondern Tracks, die selbst im aufgeschlossenen in Wacken nicht eben Massen hinreißen würden. Sie fordern ihr Publikum heraus, das heimische wie das unheimische, Da kann dann schon mal ein Bisschen „Bolero“ durchschimmern, da kann dann auch eine zarte Frauenstimme erklingen, da kann kurz mal ein lärmiges Metalbrett losbrechen, da kann auch eine zerbrechliche Stille von einsamen Tönen getragen sein. Was Jambinai indes nicht verbreiten, ist oberflächliche gute Laune; man bekommt natürlich Glücksgefühle, wenn man sich diese Musik anhört, aber vielmehr, weil sie so geil ist, auch wenn und gerade weil Melancholie bestimmende Stimmung ist. Das vermitteln schon die vier Songtitel: „Once More From That Frozen Bottom“, „From The Place Been Erased“, „Until My Wings Turn To Ashes“ und „Candlelight In Colossal Darkness“. Ist das nicht gruftig? In der Tat.
Alles wie gehabt also bei Jambinai, will man meinen, wenn man die Band seit ihrer selbstbetitelten Debüt-EP „잠비나이“ aus dem Jahr 2010 verfolgt, aber so ganz stimmt das nicht: Aufgrund des überraschenden weltweiten Zuspruchs nach dem zweiten Album „A Hermitage (隱棲:은서)“ bauten Jambinai auf dem Nachfolger „Onda (온다)“ einige gefälligere Strukturen ein, die den Zugang erleichtern sollten; das wäre zwar nicht nötig gewesen, gelang aber ganz gut, und dennoch verzichten Jambinai nun auf „Apparition“ auf solche Brücken. Hier bekommt man den ursprünglichen Gedanken der Band um die Ohren, und denen gefällt das ganz gut. Und das sogar, obwohl mit SWJA (선우정아) alias Sunwoo JungA sogar eine K-Pop-Größe dabei ist, die laut Info mit den Granden des Genres wie 2NE1, Black Pink und BTS arbeitete; sie verleiht dem Stück „From The Place Been Erased“ mit ihrem klaren Gesang eine fragile Note, aber keinen Pop, erstrecht keinen K-Pop.
Und weil das Trio Jambiai mit den vier Extra-Musikern so exzellent agiert, ist der vierte Track „Candlelight In Colossal Darkness“ auch noch live aufgenommen – was die Intensität der Studioaufnahmen nicht nur nicht vermissen lässt, sondern die der Bühne eindrucksvoll dokumentiert. Jambinai live sehen, das wäre ein Traum. „Apparition“ ist bis dahin eine überwältigende Erscheinung.