Von Matthias Bosenick (30.11.2022)
Eine Zaubertüte an vielfältigen Stilen und Sounds auf nur einem Album! Grundsätzlich gruftig, verbindet das nihilistische Duo mit dem Drei-Personen-Namen Ayn & Marlen Und Marlen Industrial-Sounds, Wave-Gesang, Dark Ambient, Ritualmusik, Neofolk und sonstiges Experiment mit Gothic. Mit den Stilen wechseln auch die Stimmungen, wenngleich hier von guter Laune nicht gerade ausgegangen werden sollte. Simona Boglietti stellt dabei den Anteil Marlen Und Marlen, Christian Nicolao begnügt sich mit dem Alias Ayn. Das Duo aus Biella im Piemont bezeichnet sich auch als Endegehen Collective, und so klingt die Musik auch: als würde alles zu Ende gehen. Dieser wunderschön dunkle Schwanengesang ist einer, dem man sich gern hingibt, in lichtloser Kammer, zurückgezogen und von der Welt verschreckt.
So düster und dunkel die Musik auf „From The Floor Below“ auch sein mag, so harmonisch ist sie gleichzeitig. Mit minimalistischen Mitteln generiert das Duo Hallräume, in denen die Instrumente und Atmosphären ausgedehnt atmen, sich frei bewegen, effektvoll wirken können. Das klassische Waverock-Instrumentarium setzen die beiden nur selten und dann heruntergebrochen ein, mal eine unverzerrte Gitarre, mal etwas punktuelle Percussion, aber nicht den Rock’n’Roll-Druck. Erst der siebte von neun Songs, das siebenminütige „The Worm Is Born“, entwickelt sich in Richtung Bandbesetzung, allerdings ebenso reduziert wie der Rest des Albums, eher folkloristisch, langsam, drückend, bis sich das Duo kurz vor Schluss ein, zwei gezügelte Lärmausbrüche gönnt, immer noch im Rahmen des Gesamtbildes.
Solche Bandmomente, ebenso die minimalistischen Stücke mit Gesang zur zarten Gitarre, lassen den Gothrock aufleben, wie er sich vor 30 bis 40 Jahren anhörte, als die Erfinder des Genres und deren zweite Generation noch mit den Möglichkeiten experimentierten und ihrer Seelenschwärze akustisch Ausdruck verliehen, anstatt auf Verkaufszahlen zu gucken und sich ausschließlich bei etablierten Elementen zu bedienen. Etwas Christian Death mag man hier wahrnehmen, etwas ganz frühe Dead Can Dance, etwas Xmal Deutschland, vielleicht Death In June et alii, nur gottlob ohne die nationalsatanistischen Anteile, indes alles zusammengefügt zu einem originären Sound.
Stimmlich kommen beide Beteiligten zum Einsatz, Simona mit einem ausdrucksvollen Klargesang, den man aus dem Postpunk kennt, hier nur ohne Postpunk, und Christian mit dunklem Timbre oder gar Flüstern; auch darin liegt viel Spannung übers Album verteilt. Zudem ist nicht jedes Stück mit Gesang ausgestattet, zum Geleit und zum Ausgang etwa bleibt es instrumental, da experimentiert das Duo mit dunklem Ambient. In der Kombination sämtlicher Songs kommt beinahe der Eindruck einer Compilation auf, so abwechslungsreich ist „From The Floor Below“ geraten – und gleichzeitig so homogen, dass es nicht verwirrt.
„From The Floor Below“ ist das zweite Album des Duos, das 2017 mit „Exquisite Black“ auf den Plan trat. Zwei Jahre Arbeit stecken in den neuen 50 Minuten Musik, lässt die Info wissen. Beide Musiker sind Multiinstrumentalisten: Simona spielt hier Synthesizer und die elektrifizierte Lyra, Christian noch die Rock’n’Roll-Grundausstattung Gitarre, Bass, Schlagzeug, außerdem trägt er Samples bei. Als Gast hatten sie Massimo Olla im Studio, der im siebten Song mit DBass kreditiert ist und ansonsten als Noisedelik unterwegs ist. Simona und Christian sind nicht nur Musiker, sondern darstellende Künstler; die Nomes de Guerre Marlen Und Marlen sowie Ayn respektive Luxtian sind in ihren Kreisen etabliert. Auf diesem Album zitieren sie überdies andere Künstler: Texte des Dichters William Butler Yeats und des Gurus „Sri“ Nisargadatta Mahaaraj finden gewisperten Einlass in diese Musik. Die CD kommt im wunderhübschen Digipak!