Von Matthias Bosenick (24.11.2022)
Ist es nicht erstaunlich, welche Achtziger-Pophelden 2022 noch existieren und munter Platten veröffentlichen? Die inzwischen dritte Reunion feiert das zerstrittene norwegische Trio a-ha mit dem Konzeptalbum mit dem bei den anderen Norwegern Borknagar geklauten Titel „True North“, das auf einem behutsam nachgedubbten Konzert mit Orchester und ausschließlich neuen Songs basiert. Somit richtet sich das Album an die mitgewachsenen Fans, tappt nicht zwingend die Eigenkopie-Falle, biedert sich nicht bei aktuellen Trends an, bietet deutlich mehr Freude an substanziellen Kompositionen als der 2015er-Vorgänger „Cast In Steel“ – und der Gesang endet natürlich almost always on a high note. Nett, im positiven Sinne.
Das ist schon erstaunlich: Da haben a-ha ein Orchester im Rücken, aber lassen es nicht den Sound der Songs dominieren, geschweige denn sämtliche Lieder in einem Einheitsbrei versinken. Die drei Musiker setzen das Norwegian-Arctic-Philharmonic-Orchester nicht auf Effekt ein, sondern kunstvoll, nicht fortwährend auf Kleister, sondern oft punktuell additiv, denn a-ha lassen mehr extra ertönen als nur das Orchester, nämlich normal Gitarre, Bass, Schlagzeug sowie neben weiteren Percussion- und Schlagapparaturen auch Klavier, Synthies und andere Tasteninstrumente, je nachdem, was welcher Song gerade so verträgt, also nicht alles auf einmal. So ergeben sich unterschiedliche Stimmungen, Sounddichten, Ausprägungen – das Dutzend Lieder differiert ausreichend, um das Album attraktiv und interessant zu halten.
Hier und da setzen a-ha auf Melodiebögen und Harmonien, die einem Fan bekannt vorkommen mögen, etwas „Hunting High And Low“ im Titelsong, etwas „Stay On These Roads“ an anderer Stelle (und „You Have What It Takes“ zitiert „In Bloom“ von Nirvana, nanu!), also die bereits opulenten Klassiker, nicht die wuchtig-düsteren wie „The Sun Always Shines On TV“ oder die verspielten wie „Touchy“. Die experimentellen Elemente fuhren a-ha bereits in den frühen Neunzigern mit der Abschiedsplatte der ersten Phase zurück, als sie ihre Teenie-Star-Karriere hinter sich ließen; hier lassen sie erstmals wieder dezidiert in Erscheinung treten, mit in den Fluss eingeworfenen Gitarrenriffs, einem Funk-Lick als Begleitung, unerwarteten Synthieeffekten, getupften Flötentönen oder aufrüttelnden Schlagzeugfiguren. Die Songs selbst bleiben dabei vorrangig episch und von großer Geste, im Midtempo und latent pathetisch. So richtig eilig haben’s die drei schon lang nicht mehr, eine gewisse Melancholie liegt Musik aus dem wahren Norden ohnehin stets inne. „Make Me Understand“ in der Mitte dürfte das repräsentative Filtrat aus allen Songs des Albums sein, flott nach vorn und voller Details.
Seit nunmehr 40 Jahren machen Magne „Mags“ Furuholmen, Paul „Pål“ Waaktaar-„Savoy“ und Morten Harket als a-ha miteinander Musik, nachdem erstere beide sich bereits 1978 in der Rockband Bridges kennenlernten (und deren Drummer Øystein Jevanord gelegentlich für Einsätze bei a-ha verpflichteten) und letzterer mit dem Bluesprojekt Souldier Blue in Oslos Clubs unterwegs war. Nachdem die große Erfolgszeit Anfang der Neunziger endete, brachen a-ha ihre gemeinsame Arbeit mitten in der Entstehung eines neuen Albums ab, von dem lediglich die Single „Shapes That Go Together“ übrigblieb. Ende der Neunziger versuchten die drei es erneut für zehn Jahre, Ende der Zehner ein zweites und nun mit „True North“ ein drittes neues Mal.
„True North“ ist konzipiert als eine Art Heimatalbum, angelehnt an „Western Stars“ von Bruce Springsteen, nur eben mit Norwegen drin. Die Aufnahmen dazu fanden mit ganzer Band und Bande in Bodø statt und ein Filmteam begleitete das Prozedere; was mit dem Film wurde, ist irgendwie nicht Teil der Infos, die es zum Album gibt, lediglich, dass die Band die Idee verwarf, einfach die mitgeschnittenen Tonspuren als Album herauszubringen, und diese eben dafür etwas anreicherte. Man hätte den Film ja der CD als Bonus beiliegen können. Nicht zu verwechseln übrigens mit der Doku „a-ha: The Movie“, die 2021 den Erfolg und die Zerrissenheit des Trios beleuchtet. Wie auch immer, „True North“ ist ein angenehmes Altersalbum, das keine Jugendlichkeit vortäuscht, weder den Rock’nRoll noch die Neoklassik neu erfindet und jederzeit angenehm zu hören ist.