Von Matthias Bosenick (15.11.2022)
Ist das noch Punkrock? Nein, spätestens seit 1981 nicht mehr. Mehrmals von sich selbst und anderen zu Grabe getragen, lassen sich die Simple Minds nicht von Schmährufen beirren und bringen 2022 abermals ein Album heraus. „Direction Of The Heart“ ist nicht nur kein Punkrock mehr, sondern eigentlich auch kaum noch überhaupt Rock. Keyboards und Chöre kleistern, die Melodien sind gefällig und eingängig, und was an dem Album gelungen ist, ist es deshalb, weil es die Glasgower in den zurückliegenden 44 Jahren bereits irgendwo erprobten, besser zumeist. Große Gesten, große Gefühle, das Stadion oder die Arena gleich mitgedacht, fügen sich die Songs dieses Albums – den Titeltrack gibt’s übrigens nur in der Deluxe-Edition – in den Singalong-Hitreigen der derzeit als Septett auftretenden Schotten bestens ein. Don’t you?
Es ist ja nicht alles schlecht bei den Simple Minds dieser Tage. Durchhaltevermögen beispielsweise ist ja auch etwas, das man bewundern kann. Und Haltung, die Jim Kerr spätestens seit Live Aid 1985 gern transportiert: Auf „Direction Of The Heart“ spricht er sich ausdrücklich gegen Fake News und Verschwörungsdullis aus. Und die Glasgower haben ja tolle Melodien und Gitarrenlicks, alles schön eingängig und prägnant, nur drängt sich da dummerweise nicht selten der Begriff „Schlager“ auf. So mutig wie zwischen 1979 und 1981 ist hier gar nix mehr, selbst die jüngeren Alben „Big Music“ und „Walk Between Worlds“ haben mehr Arsch in der Hose.
Aber es geht doch alles so schön ins Ohr. „Vision Thing“, die erste Single, hat so gar nichts mit dem Hit der Sisters Of Mercy zu tun, sondern drängt sich mit Tralala und Fanfaren gemütlich ins Gemüt, auch wenn Kerr in dem Song den Tod seines Vaters verarbeitet. Die zweite Single „First You Jump“ hat durchaus dunklere Noten, „Solstice Kiss“ wiederum hymnisiert sich trippig in größtmögliches Armeschwenken. In „Act Of Love“ wird’s mal etwas flotter voran, getrieben von einigen Pluckereffekten auf dem Synthie; was Wunder, stammt es doch angeblich aus der Gründungszeit der Band, was man nicht zwingend weiter hört, weil es dem gleichen Plätteisen unterlegen war wie der Rest des Albums, und: Wie überhaupt einige Songs dieses Albums bereits länger im Proberaum kursierten, wenn auch nicht soooo lang. In „Planet Zero“ gibt’s einen angenehm düsteren Bass unter dem gesellschaftskritischen Popsong, der insgesamt ebenfalls etwas dunkler daherkommt. Richtig fett gelingt der finale Song der Standard-Edition, „The Walls Came Down“, mit tirilierender Versatz-Melodie und flink vorangaloppierend – und gar nicht von den Simple Minds: The Call veröffentlichten den Song 1982 als Single. Erster von zwei Bonus-Tracks ist das neu eingespielte radiotaugliche Titellied, das 2018 bereits eine Single-B-Seite war und wirklich nicht der Rede wert ist, gefolgt von „Wondertimes“, das vertraute Sounds aus den Neunzigern aufgreift, circa „Good News From The Next World“.
Wie überhaupt viele Sounds dieses Albums an Sounds älterer Alben erinnern. Etwas folkiges „Street Fighting Years“ hier, etwas tanzflächiges „Real Life“ mittendrin, etwas stadiontaugliches „Once Upon A Time“ dort, besonders ausgedrückt vermittels der schönen Backingchöre, bei denen Sarah „Gorgeous“ Brown seit 2009 mitsingt, die ihre warme Stimme auch in den Dienst anderer Popgrößen stellte, die man aus dem Das-Beste-der-Achtziger-und-Neunziger-Formatradio kennt. Mitsingen tut auf diesem Album indes noch jemand anderes Berühmtes: Russel Mael von den Sparks veredelt „Human Traffic“, was indes eher wie ein Gimmick erscheint und sich künstlerisch nicht auf das Stück auswirkt.
Jim Kerr und Charlie Burchill sind die einzigen, die seit der Gründungszeit der Simple Minds 1978 noch dabei sind, die sogar 1977 bei Johnny And The Self Abusers schon gemeinsam punkrockten. Die prägendste Zeit waren für das Quintett die frühen Achtziger, bis die Stadien riefen und auch die Musik sich anpasste. Nach und nach verließen die prägenden Musiker die Band, Schlagzeuger Brian McGee schon 1982, Bassist Derek Forbes 1985 sowie 1998 nach einem kurzen Zwischenspiel erneut und Keyboarder Michael MacNeil 1990. Ihm verdankten die Simple Minds in der Frühzeit die monoton-repetetiven, beinahe industrialartigen dunklen New-Wave-Perlen, die aus dem Punk hervorgingen. Später verdrängten die Simple Minds peinlich berührt ihre eigentlich kreativste Zeit, um ab den Neunzigern wieder explizit Bezug darauf zu nehmen. Bis heute, aber es gibt einen Unterschied zwischen Wave und Kleister, und das Keyboard heute hat so gut wie gar nichts Mutiges mehr. Wie überhaupt die gesamte Platte. Leider. Die alten Wegbegleiter stiegen seinerzeit übrigens bei Bands wie Endgames, Propaganda und FourGoodMen ein, da kann man nachhören, was den Simple Minds entging.
Gut an „Direction Of The Heart“ ist, dass hier keine tränige Ballade drauf ist. Andererseits sind reduziertere Songs auch mal eine Möglichkeit für die Musiker, ihre Qualitäten auszuspielen. Die gehen in dieser opulenten Produktion reichlich unter, hier drängt alles auf Power. Im Grunde machen es die Simple Minds heute ungefähr so wie ihre damaligen Konkurrenten U2: Aus dem, was die Fans am liebsten mögen, neue Stücke zusammenbauen. Da möchte man kein Fan sein.