Von Matthias Bosenick (10.11.2022)
Der Mann muss verrückt sein: In nur wenigen Wochen erscheinen gleich sechs Alben mit seiner Beteiligung. Und auch, wenn das Schlagzeugspiel von Jörg Alexander Schneider sowas von einzigartig ist, weil er dabei seinen Kopf ausschaltet und nur seinen Körper walten lässt, was zu verspielten, arhythmischen Klickersounds führt, können diese sechs Alben unterschiedlicher kaum sein. Und stellen zudem trotz ihrer Menge nur einen Bruchteil dessen dar, was Schneider 2022 alles veröffentlichte. Nicht zu laut brüllen: Das Jahr ist noch lang. Hier nun die sechs jüngsten Kollaborationen des früheren Noiserockers aus Hückelhoven, der sich nunmehr vornehmlich im Jazz austobt:
Schneider | Shiroishi
Die ersten vier Veröffentlichungen entspringen Schneiders „Collaborations“-Reihe und sind daher am einheitlich wiedererkennbaren Design der LP-Cover eindeutig zuzuordnen. Die erste improvisierte er mit Patrick Shiroishi ein, der zum Schlagzeug das Altsaxophon bläst. Die Musik klingt entsprechend genau so: Schneider zischt auf den Becken, klickert auf den Toms, drückt auf die Bassdrum, bearbeitet die Ränder der Snares, und Shiroishi improvisiert auf seinem Blasinstrument, mal zickig-nervös, mal entspannt auf Strecke, mal elegisch warm, mal elefantös getrötet, und beide Instrumente – das mag jetzt widersprüchlich wirken – harmonieren miteinander, auch wenn die Musik oberflächlich betrachtet alles andere als harmonisch sein mag. Ist sie aber nicht. Beide Musiker lassen einander Lücken, begleiten einander sinnvoll, lassen einander Luft zum Atmen. Und legen auch mal ordentlich an Tempo los.
Der Multiinstrumentalist Patrick Shiroishi lebt in Los Angeles, ist je zur Hälfte Japaner und US-Amerikaner und ist an Veröffentlichungen und Projekten beteiligt, deren Zahl durchaus größer sein könnte als die von Schneider. Und das in nur zwölf Jahren, ausgehend von seiner Beteiligung an dem Trio Japanties.
Schneider | Dahl
Bass und Schlagzeug sind die Bestandteile der zweiten LP dieser Staffel der Schneider Collaborations. Den verfuzzten Bass spielt Tim Dahl, der Schlagzeuger dürfte bekannt sein. Jener passt sein Drumming an das Instrument an, schlägt wuchtiger in sein Equipment, und der Bass lärmt dazu, dass man sich im ersten Track sofort an die seligen Noiserockzeiten zurückerinnert fühlt, aus denen man Schneider kennt, damals, in den Neunzigern, mit Les Hommes Qui Wear Espandrillos. Von Songstrukturen kann hier dennoch keine Rede sein, es mörtelt und lärmt frei vor sich hin, die Musik brüllt einen förmlich an, dass es eine Freude ist und man sich irgendwann dazu herausgefordert fühlt, zurückzubrüllen.
Anders als in den eher jazzigen Alben versieht Schneider sein Schlagzeug hier auch mal mit Effekten, die den Sound verdichten, den Hall herausnehmen, die Präsenz in den Vordergrund rücken. Dahl hat nicht nur den Fuzz-Drehknopf an seinem Verzerrer, er lässt seinen Bass mal wie eine Mischung aus Hornissenschwarm und Titus Jonas‘ Kreissäge umherschwirren, attackiert die Hörenden wie mit Kriegsflugzeugen oder rollt einfach als brachiale Soundwalze über sie hinweg. Besonders effektvoll sind die dezidiert gesetzten Breaks, die das Duo gelegentlich in die Lärmwände bricht: Man hört, dass diese Improvisation gemeinsam im Studio entstand, nicht wie andere Arbeiten Schneiders virtuell. Und in solchen Momenten hat man tatsächlich wieder eine Struktur, einen Rhythmus gar, mitten in diesem Sturm aus Geräusch. Der letzte Track klingt dann fast wie eine Persiflage auf herkömmliche Rockmusik, mit relativ geradem Takt und sympathisch ungenau gespielter Bassmelodie.
Bassist Dahl entspringt dem Jazz, hat heute aber im Noiserock eine zweite Heimatadresse. Der Mittdreißiger aus New York startete seine Karriere Im Jahr 2000 mit Yusef Lateef, spielte in zahllosen Projekten mit und arbeitete unter anderem mit Lydia Lunch und The Flying Luttenbachers sowie diversen Jazzleuten zusammen.
Schneider | Kristof
Man könnte meinen, mit einem Gitarristen als Partner hätte Schneider einmal mehr den Fuß in der Tür zum Noiserock, aber sein diesmaliger Kollaborateur Michel Kristof denkt nicht daran, den Verzerrer seiner Gitarre auf 11 zu stellen, sondern bleibt ganz nah bei sich, gniedelt selbstversunken herum, improvisiert, was das Zeug hält, ohne Rücksicht auf Harmonien, Rhythmen oder gar Melodien, tippt gelegentlich ein Effektgerät an, das die Sounds leicht biegt, beugt, bändigt, und macht ansonsten keinen physischen, sondern einen inhaltlichen Lärm, indem er sich einfach mal an keine Regeln hält. Schneider passt dem sein Drumming an, er schaltet zurück auf Jazz und besorgt den reduziert produzierten, aber üppig ausgestalteten Klickerteppich als Grundlage für Kristofs kontemplative Frickelei. Im Zusammenspiel bleiben die Musiker eher ruhig, auch wenn das Ergebnis etwas Nervöses hat. Auch diese LP entstand gemeinsam im Studio, die Aufnahme begleitete Peter Körfer, einst Gitarrist bei den Dead Guitars und regelmäßig der Experte an Schneiders Reglern.
Auch der französische Gitarrenimprovisator Kristof blickt auf eine Unzahl an Veröffentlichungen zurück, sowohl solo als auch mit anderen Musikern und Projekten. Dabei ist der Enddreißiger ähnlich produktiv wie Schneider und haut alle paar Momente neue Musik heraus. Bezüglich dieser Veröffentlichung hatte Kristof Freude am Zusammenspiel, schreibt er, und das kann man hören, die beiden harmonieren sehr, auch wenn die Musik, die dabei herauskommt, den Begriff Harmonie eigenwillig deutet.
Schneider | Baker
Erneut von einem Gitarristen lässt sich Schneider auf dem vierten und letzten Album dieser Collaborations-Staffel begleiten; ein solches Quartett auf einen Schlag veröffentlichte der Hückelhovener übrigens bereits vor drei Jahren einmal, das ist also nicht ungewöhnlich für den Vielbeschäftigten. An seiner Seite steht dieses Mal Nadja-Kopf Aidan Baker, gebürtig aus Toronto; ein Multiinstrumentalist, dessen Lieblingsinstrument eben die Gitarre ist und der vorrangig in Richtung Ambient musiziert, wo nicht Jazz, Rock oder Doom-Metal die Etiketten sind.
Entsprechend entspannt geht es auf dem gemeinsamen Album mit Schneider zu. Baker lässt seine Gitarre pulsieren, er generiert Drones, dazu zischen die Becken von Schneiders Drumkit. Es dauert gefühlt ewig, bis die beiden die Lautstärke etwas anheben, bis Schneider auch andere Teile seines Schlagzeugs zu Rate zieht, in aller Entspanntheit, die dunkleren Sounds favorisierend, nur, um mal anzudeuten, dass die Elemente noch da sind, und doch bleibt das Becken dominant. Die Gitarre erfüllt in der Tat die Anforderungen an Ambientmusik, bleibt verhalten, sehr zurückgenommen, atmosphärisch, punktuell, klingt manchmal – ganz wie bei den Erfindern der Berliner Schule gelernt – wie mit einem Synthesizer erzeugt; die gemeinsame Musik lässt Lücken, Leere, Luft und fordert zum lauten Anhören auf. Wenn Schneider in der Mitte die Toms zart anschlägt und man Baker kaum heraushört, erinnert das leicht an „Laughing Stock“ von Talk Talk, auf dem die Leere ebenfalls eine wesentliche Rolle spielt. Diese vierte LP trägt die größtmögliche Schönheit dieser Reihe in sich.
Auch Aidan Baker ist so einer, der sich musikalisch unüberblickbar breit gestreut austobt. Sein bekanntestes Projekt dürfte Nadja sein, seine Drone-Doom-Band, die er mit seiner Freundin Leah Buckareff betreibt. Wenn man alles von Baker sammeln möchte, ist man grob überschlagen mit 400 Veröffentlichungen dabei, das toppt nicht einmal Schneider.
Glimmen – (src-1031) Glimmen – Soutrane Recording Company
Für Glimmen fügt sich Schneider in einen Projektnamen, den sein Kollaborateur Jason Wietlispach vorgibt. Von Milwaukee aus betreibt jener seine Soutrane Recording Company, auf der er haufenweise Platten herausbringt. So auch die seines Projektes Glimmen, an dessen ersten Album mit dem kryptischen Titel „(src-1301)“, der in Wahrheit die Katalognummer von „Glimmen“ darstellt, nun auch Schneider beteiligt ist. Hierauf setzt sich zunächst das Dronige von „Schneider | Baker“ fort, nur üppiger instrumentiert, weniger Stille lassend. Während Schneider natürlich das Schlagzeug spielt, bedient Wietlispach den Bass, das Schilf (also die Rohrblattinstrumente) und den Plattenspieler und erzeugt die Drones. Es gibt Gäste: Bei zwei von drei Tracks spielt Peter J. Woods den Bass, beim dritten Dave Gelting. Mit Marc Mantel und John McCoy kommen noch „vibes“ und Elektronik bei ausgewählten Tracks hinzu.
Alles zusammen ergibt nur anfänglich etwas, das man unter Drone wegsortieren könnte: Insbesondere das frei gespielte Saxophon rückt den Sound wieder in den Jazz, die vereinzelt verstreuten weiteren Sounds lassen den Begriff Avantgardemusik zu; Frank Zappa steht bestimmt bei Wietlispach im Plattenschrank, nur dass die Musik von Glimmen weniger erfassbare Struktur hat als die Zappas, dafür aber kaum weniger eingesponnene Ideen. Der letzte Track beginnt sogar als stillleerer Ambienttrack, bevor er sich in einen nervösen Jazzteppich mit Vibrafonklängen entrollt. Von Drone erstmal keine so deutliche Spur mehr, auch wenn der Sound dicht ist, hier toben sich alle aus, Schneider rolls the drums und Wietlispach klimpert – bis das Stücke dann doch wieder in Ambient mit Streicher-Ansätzen ausläuft.
Das Album ist eine Reise, nur drei Tracks, aber so viele verschiedene Stimmungen, Landschaften, Erlebnisse. Es gibt viel zu entdecken, es gibt Ruhepausen, es gibt Abenteuer, es gibt Unerwartetes und es gibt den Wunsch, die Reise erneut anzutreten. Wie gut, dass das so einfach ist. Physisch leider nicht auf Vinyl, aber als CDr.
De Golden Lepel – N°_2
Auch für De Golden Lepel nimmt Schneider den Namen eines Projektes an, dieses teilt er sich mit „Fidel“ Rolf Leo Kaiser – und „N°_2“ stellt ein Vermächtnis dar, denn schon vor Veröffentlichung des ersten Teils vor zwei Jahren war Schneiders langjähriger Freund verstorben. Fidel bediente bei der ersten Platte von De Golden Lepel das Keyboard, Schneider Drums und Drones. „N°_2“ spielte Schneider allein ein und gibt Fidel Credits dafür, sein „Spiritus Rector“ zu sein.
Hier lässt sich der Freigeist temporär tatsächlich in feste Rhythmen zügeln, die seinen Synthie-Improvisationen einen krautrockigen Unterbau bieten. So geil Schneiders assoziativ-freies Schlagzeugspiel auch erstaunt, begeistert, beglückt, so umwerfend ist es auch, ihm gelegentlich dabei zuzuhören, wie er zielgerade losprescht und einen Groove mit Sogwirkung entfesselt. Generiert er Noise ansonsten mit dem Drumkit, lässt er nunmehr am Keyboard die Sau raus. Zwar spielt er es zu weiten Teilen auch harmoniedienlich, entlockt ihm aber ebenso einen wahrhaftigen Lärm, fiese Störgeräusche, aufgekratztes Brüllen, und wenn er es ganz ungezwungen angeht, dann lässt er sich auch am Schlagzeug wieder von der Leine und wütet lauthals durch die Lautsprecher. Es erweckt den Anschein, als habe sich Schneider in seiner Kunst dieses Mal komplett gar nicht binden wollen – so allein spielt er wirklich alle Qualitäten aus, die er hat, und er hat enorm viele.
Durchnummerierte Titel ist man bei Schneider übrigens auch einigermaßen gewohnt: Mit Teen Prime und Jealousy Mountain Duo verfährt und verfuhr er vergleichbar. Das vorliegende Album gibt es physisch lediglich ebenfalls als CD, aber immerhin als CD.