Von Matthias Bosenick (24.10.2022)
Wenn intelligente Menschen sich mit der Pandemie auseinandersetzen und sich mit Verschwörungstheorien befassen, kommen auch intelligente Erkenntnisse zutage, die Verschwörungstheorien als das behandeln, was sie sind: durchgeknallte Paranoia. Entsprechend betiteln die drei ausschließlich musikalisch Durchgeknallten von Primus ihre themenbezogene EP mit dem treffenden Kofferwort „Conspiranoid“ und erfüllen damit gleich zwei wesentliche Aspekte: Sie positionieren sich in Zeiten des rechtsbefeuerten Dummheitswahns auf der Seite der Nichtdummen – und machen grandiose Musik. Die drei Songs auf „Conspiranoid“ sind so Primus, wie man sie vor über 30 Jahren zu lieben lernte: frickelig, progressiv, eigensinnig, trotzdem eingängig und natürlich basslastig.
Ach, ist das schön, Primus solche Sachen machen zu hören! Der Bass, das bundlose Instrument des Wahnsinns, steht im Zentrum des Getöses, Les Claypool kann auf dem Ding mehr als nur Achtel spielen und übt seine Fähigkeiten sachdienlich aus, indem er Rhythmus, Melodien und Spezialeffekte gleichzeitig bedient. Das geht, muss man nur wollen, und das ist seit Ende der Achtziger das Markenzeichen von Primus. Bei ihm sind hier Gitarrist Larry LaLonde und Schlagzeuger Tim „Herb“ Alexander, also die beiden Musiker der klassischen (nicht der Gründungs-!) Primus-Besetzung von 1989 bis 1996 sowie mit einer Unterbrechung seit 20 Jahren wieder. Sie wissen, wie das Vehikel gesteuert wird.
Heißt: Die Musik von Primus ist von einer polkahaften Zackigkeit geprägt, die man auch als Funk auffassen kann; seinerzeit nannte man so etwas auch Funky Metal, bevor der Begriff Corssover aufkam. Die Art der Rockmusik, die Primus spielen, kann man indes nicht mit herkömmlicher Rockmusik vergleichen, auch nicht mit Crossover: Da der Bass das tragende Instrument ist, ist alles auf Rhythmus ausgelegt, nicht wie bei anderen Rockbands auf die Gitarre, also nicht auf Rock’n’Roll, Härte, Riffs. Das können Primus zwar auch, aber darin liegt nicht ihr Schwerpunkt, dafür ist der experimentierfreudige Bandkopf einfach zu dominant. Ihm zur Seite steht daher vorrangig das Schlagzeug, das die zickige Zackigkeit des Basses und des Gesangs mehr als kunstvoll tapeziert, während die Gitarre drumherum opulent freie Figuren gniedelt. Die Primus-Musik funktioniert mithin trotz verschobener Schwerpunkte nur im Verbund, niemand ist unwichtig.
So entstehen Perlen, die musikhistorisch einzigartig sind; es gibt auf diesem Planeten keine zweite Band, die wie Primus klingt. Und nach einigen Loopings und Umwegen klingen auch Primus 2022 wieder wie Primus. Das elfminütige „Conspiranoia“ ist verschachtelt und bedient die Merkmale des Progrock noch am ehesten, die sich Claypool gern bei seinen Helden Rush, Pink Floyd und King Crimson abguckt. Auf der B-Seite geht es komprimierter zu, „Follow The Fool“ und „Erin On The Side Of Caution“ sind nur knapp länger als das durchschnittliche Radioformat und damit weniger verspielt als die A-Seite, zudem druck- und temporeicher. Man hört dem Trio an, dass es etwas zu sagen hat – und dass es angepisst ist von den ganzen Leuten, die hierzulande unter Querdenker zusammenfassbar sind, die ihre persönlichen Defizite nicht anders verarbeitet bekommen, als rechtspopulistischen Schwachsinn zu verbreiten. Im Titeltrack verarbeitet Claypool den ganzen rechten Scheiß von QAnon und Trump-Anhängerschaften über Chemtrails, Corona-Lügen und Flacherde-Glauben bis hin zu Antisemitismus.
Da Claypool nicht nur intellektuell und politisch auf der Habenseite steht, sondern auch künstlerisch, ist nicht nur die Musik gut, sondern auch das Cover, das ein thematisch passendes Gemälde des Bassisten zeigt. Der Mann kann. Und er hat Humor, er motzt nicht einfach, er macht sich lustig, Ironie als Waffe. Das Vinyl der EP ist weiß, die Musik ist geil, das Anliegen mehr als begrüßenswert angesichts der ganzen Flachpfeifen, die im Angesicht der Pandemie den Weg des geringsten Widerstands gegenüber menschenverachtender Dummheit einschlagen. Und: Primus gehören zu den Neunziger-Indie-Hit-Bands, die auch 2022 noch relevante Musik machen.