Von Matthias Bosenick (17.10.2022)
Die Black Holes Surfers und der Grüne Onkel haben „Freude an der Oktave“, zumindest bedeutet dies der Titel des Albums „Восторг по октаве“ von зелёный дядя u сёрферы чёрной дыры. Das mit dem Surfen meinen die drei bis fünf Musiker aus der russischen Millionenstadt Нижний Новгород (Nischni Nowgorod) tatsächlich ernst: Dem psychedelischen Potpourri alternativer Musikstile liegt der Geist des Sechziger-Surfrocks zugrunde. Die Musik mag so variantenreich wie die der Beach Boys sein, dafür ist sie schwerer: In Zeiten des Krieges lässt sich Unbeschwertheit nicht so einfach erhalten. Eine ungezügelte Kreativität indes sehr wohl: „Восторг по октаве“ plättet mit einer Vielzahl an Einfällen, mit denen die Band ihre Songs Haken schlagen lässt.
Der Twang von Dick Dale ist die Welle, auf der зелёный дядя u сёрферы чёрной дыры reiten und der der benannten Grundausrichtung Surf Rechnung trägt. Auf dem Board hingegen surfen Genres, die man dort eher nicht erwartet hätte: die Gesangsmelodieführung französischer Chansons etwa, psychedelische Gitarrentrips, unendliche Rhythmusstrecken wie im Krautrock, spacige Keyboards, tiefergestimmter Wüstenrock, Funk aus der Siebziger-Disco, Fuzz aus der Sechziger-Garage, dubbige Offbeats, Anleihen an orientalische Folklore, die Querflötentöne eines Gheorghe Zamfir und immer wieder spacige Ausflüge, egal ob im Uptempo oder im Donwbeat. So geht das, wenn einem eine ganze Welt und ein Universum obendrauf zur Verfügung stehen: Man bedient sich bei allem, worauf man Bock hat, und macht aus Vertrautem etwas Neues, Eigenes.
Und das nicht nur mit Spielfreude, sondern technisch so versiert, dass man aus den musikalischen Trips immer wieder den Kopf heraushebt, um genauer hinzuhören. Wie das Schlagzeug hantiert, selbst in den chilligsten Sequenzen mit einem irrwitzigen Tempo, dabei ohne zu stressen. Gitarren flirren, spacen, rhythmen, rocken, was das Zeug hält, und mit dem Bass untermauert die Band bisweilen einen erheblichen Groove, sobald der mal durch die Soundwand dringt. Mit den Keyboards steuern die Musiker mal poppige, mal classicrockige Anteile bei, und dann erklingt zu allem eine fast melodielose, eindringliche Stimme, die – natürlich! – auf Russisch die Texte skandiert. Als Klammer um diese Wildwasserfahrt basteln die Musiker zwei Ambient-Tracks mit Spoken Word und Samples.
Verwirrend ist, dass sich die Black Hole Surfers immer noch als „Power Trio“ bezeichnen, obwohl auf den Fotos vier Leute zu sehen sind und dieses Album fünf Musiker auflistet: die Bandköpfe Vova Sokolov (Gitarre, Bass, Gesang, Effekte) und Michael „Misha“ Skryabin (Schlagzeug) waren bereits 2018 am Debüt-Jam beteiligt, als sie mit Sasha Kostin wirklich noch ein Trio bildeten. Bei den folgenden drei EPs wechselten die Keyboarder, das vorliegende Debütalbum listet neben den beiden Hauptakteuern noch Gäste auf: Nikita Gorobtsovski war an drei Songtexten beteiligt, Anastasia Smorodinova (Анастасия Смородинова) an der Musik des dritten Tracks und Konstantin Korolev (von Magic Black, mit denen Sokolov auch schon zusammenarbeitete, sowie 7 H. Target, Passéisme, Wombripper, Bureau Berlin und Paroxysm Unit – also Bands zwischen Free Jazz und Death Metal) mit dem Bass an Track sechs. Also eigentlich zwei Leute, aber hier zu fünft, mithin weder Trio noch Quartett. Also Surf.
Wie so viele russische Menschen abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit positionieren sich auch зелёный дядя u сёрферы чёрной дыры gegen den Krieg ihres Diktators. Unter dem sie in vielerlei Hinsicht zu leiden haben: Nicht nur, dass sie anders als die Querdenker in Deutschland tatsächlich zensiert und verfolgt werden, sind Käufe über Paypal derzeit nicht möglich, weshalb die Band die Option anbietet, die Musik via Kreditkarte zu erwerben und als Datei zugemailt zu bekommen. Es gibt also immer einen Weg, die Guten zu unterstützen. In diesem Fall sind nicht nur die Menschen gut, die Musik ist es ebenfalls!