Von Matthias Bosenick (14.10.2022)
Dem Kapitalismus mit Karl Marx begegnen – und mit Schadenfreude: Episodenhaft setzt sich Ruben Östlund in „Triangle Of Sadness“ mit Leuten auseinander, die Geld haben. Er lässt sie zwischenmenschlich scheitern, sich normal großkotzig schlecht benehmen und sich an ihrer Gier erbrechen. Östlunds Humor ist tiefschwarz und entlarvend, nur hat er es in Sachen Drehbuch nicht so: Im letzten Drittel verliert er den Faden und wird fade. Dafür behält man jede Menge grandios böser Szenen im Kopf – allen voran einen Woody Harrelson als Kapitän, der physisch besoffen und inhaltlich nüchtern des Kaisers neue Kleider benennt.
Östlund gliedert seinen grob mit „Sorgenfalte“ übersetzten Film in drei Teile und schiebt einen nicht als solchen deklarierten Prolog vorneweg: Man sieht ein Modelcasting für Männer, bei dem die Schönlinge von einem aufgekratzten Moderator interviewt werden. Diese Szene soll wohl die Figur Carl einführen, entlarvt aber vorrangig die Vorgehensweisen in Konsum, Werbung, Modebranche. In wenigen Minuten fallen hier auf humorige Art mehr Wahrheiten, als viele Konsumenten begreifen möchten; Östlund entschlüsselt die Mechanismen, indem er etwa feststellt, dass Models für Luxusmarken immer ernst gucken, für das billige H&M aber lachen. Und noch viel mehr.
Dieser Carl streitet sich im ersten Teil mit seiner Influencer-Freundin Yaya darüber, dass sie entgegen ihres Versprechens, die nächste Rechnung im Restaurant zu übernehmen, ihn zahlen lässt; laut Östlund im Interview eine autobiografische Sequenz. Geht es Carl zunächst noch um Gleichstellung und Verlässlichkeit und Augenhöhe zwischen den Partnern, entwickelt sich der Streit bald ums Geld und Carl wird – nachdem ein Taxifahrer ihn aufstachelte, noch ein Influencer also – zum Motzmonster. Nach dem Streit offenbart Yaya treuherzig, dass sie bisweilen unbewusst manipulativ agiert, und es ist wieder Frieden.
Im zweiten Teil sind Carl und Yaya Gäste auf einer Luxusyacht, zusammen mit anderen Milliardären sowie der Besatzung, natürlich; ein „Gosford Park“ wird hieraus indes nicht, wenngleich sich der Aufbau der Figuren vergleichen lässt. Hier sammelt Östlund alles, was man irgendwie charakterisieren lässt, vom mit Scheiße reich gewordenen Russen, der alles hintergründig kommentiert, über den einsamen und verzweifelt um Anschluss bemühten Halbglatzkopf, die hysterisch-überkandidelte Millionärsgattin, die britsch-höflichen Waffenfabrikanteneheleute, die karrieregeile Schiffsoffizierin, die Maschinisten und Putzleute, den oberkörperfreien griechischen Seemann, der als erstes aufgrund von Carls Eifersucht gefeuert wird. Und der hinter verschlossenen Türen saufende Kapitän.
Der tritt erstmals sichtbar in Erscheinung, sobald das Captain’s Dinner ansteht – das er wider besseren Wissens genau an dem Tag mit dem vorausgesagten Sturm ansetzt. Und das er als fast einziger zwar betrunken, aber sonst recht unbeschadet durchsteht, während um ihn herum alles in Kotze und Scheiße versinkt. Fast einziger, weil er sich mit dem Düngermilliardär verbrüdert: der russische Kapitalist und der amerikanische Marxist (nicht Sozialist, wie der Kapitän betont). Während der Russe mit seinen Borddurchsagen das Chaos nur vergrößert („Hier spricht der neue Eigentümer: Das Schiff geht unter!“), entern Piraten das Boot und setzen die Scherze in die Realität um.
Der dritte Teil spielt auf einer Insel (ist das schildkrötenartige Eiland an der Küste etwa Gallinara in Ligurien?) mit einem kläglichen Rest der Belegschaft – neben der Offizierin, einem Maschinisten, der mutmaßlich einer der Piraten sein könnte, und einer Putzfrau nur noch ein halbes Dutzend Passagiere. Hier verkehren sich die Verhältnisse: Da die Putzfrau als einzige Fische fangen und Feuer entfachen kann, wird sie die Anführerin der kleinen Gruppe. Und holt sich Carl als Sexsklaven in ihr Rettungsboot. Alles könnte – für sie zumindest – so schön sein, stünde da nicht die zu erwartende Rettung ins Haus, und damit ihre Exthronisierung.
In diesem letzten Teil geht Östlund leider die Luft aus. Klar hat die Putzfrau einen Vorteil von der Situation, und irgendwie muss die Sache ja aufgelöst werden, aber rätselhaft ist doch schon, dass sie einerseits ein Matriarchat ausruft, die sich in der Überzahl befindlichen Männer (die alsbald einen Esel töten und sich damit im Grunde von der Putzfrau emanzipieren – was aber wohl selbst dem Drehbuchschreiber nicht auffiel) und selbst die karrieregeilen Frauen sich ihr aber widerspruchslos ergeben. Konflikte gibt es im Grunde nur noch zwischen Yaya und Carl, wie die ganze Zeit über, und die gestalten sich nach dem Auftakt im Restaurant in der Folge viel zu konstruiert und sprunghaft. Der Humor bleibt auf der Strecke, das Ende ist inkonsequent und merkwürdig offen, das hätte in kürzerer Form effektvoller gewirkt.
Und die gelungenen Passagen nicht so verwässert. Zwar übertreibt es Östlund mit Kotze und Scheiße, irgendwo zwischen „Der Sinn des Lebens“ von Monty Python und „Meet The Feebles“ von Peter Jackson, aber gestaltet er die Exkremente so übertrieben und unnatürlich, dass man sich nicht gleich mit übergeben muss. Man feiert mit ihm die Dummheit mancher Passagiere, die selbst Geld nicht beheben kann („das ist eine Motoryacht, wir haben keine Segel“), und die Mitleidlosigkeit angesichts des selbstverschuldeten Elends dieser Geldsäcke. Und den Austausch zwischen Kapitän und russischem Unternehmer: In ihrer Gegensätzlichkeit ziehen sie sich an, wohl, weil sie sich als einzige wirklich verstehen, sowohl gegenseitig als auch jeweils selbst, und nicht nur an Oberflächen kratzen.
Harrelson ist einfach auch geil als Kapitän. Steht wie eine Eins, obwohl das Schiff krängt und er betrunken ist, und während die Reichen ihre Fischspezialitäten serviert bekommen, enthüllt die Silberglocke auf seinem Teller einen Burger mit Pommes. Ebenfalls großartig spielt Hannelore Elsner [*] die von einem Schlaganfall an den Rollstuhl gebundene Passagierin, die ihr Sprachvermögen einbüßte und nur noch das Satzfragment „in den Wolken“ äußern kann. Zudem gestaltet Östlund seine Figuren interessant, nicht jedes Arschloch ist etwa gleich offensichtlich. So ist das britische Ehepaar höflich und sympathisch, bis es seine Geldquelle offenbart und man es dadurch verabscheut. Oder die Offizierin, die zwar ihr Personal im Griff hat, sich aber auf der Insel bereitwillig der Putzfrau unterordnet, weil sie sich davon bessere Vorteile erhofft, als wenn sie rebelliert.
Filmisch hat Östlund ebenfalls einiges zu bieten in den zweieinhalb Stunden, etwa das schön ausgeleuchtete „Love Boat“ am Strand oder insbesondere die eindrucksvoll choreografierte Katastrophenszene an Bord, mit den gegen die Fenster krachenden Wellen und den schwankenden Böden mit umherkullernden Gegenständen und Personen. Musik setzt Östlund dezidiert ein, nur selten, aber dann neoklassisch als Score, meistens als Teil des Geschehens, und ganz besonders exponiert den bis heute floorfillenden Kracher „New Noise“ von Refused, wie er aus Schweden. Bedauerlich ist, dass Östlund die phantomhafte brüllende Bedrohung auf der Insel entschlüsselte, das wäre als ominöses Geräusch besser haften geblieben, wie er Geräusche auch an anderer Stelle humorvoll die Szene unterstreichend einsetzt, etwa den quietschenden Scheibenwischer im Taxi oder die Fliege auf der Yacht. Wie auch der Schluss auf der Insel ohnehin an „Herr der Fliegen“ erinnert.
Es geht also einmal mehr um verdrehte Rollenmodelle in der gegenwärtigen Gesellschaft, die Östlund halb philosophisch, halb humorig aneinanderreiht. Die Struktur des Films ist also ungewöhnlich, das und der bitterböse Humor mit zwar plakativ, aber in Einzelfällen eindrucksvoll ambivalent gezeichneten Figuren machen die zweieinhalb Stunden sehenswert. Da nimmt man das zerdehnte Ende und so manche Inkonsequenz in Kauf.
* [16.10.2022] Edit: Es ist natürlich Iris Berben, nicht Hannelore Elsner. Danke an meine beiden Nebensitzenden für den Hinweis. Ebenso zur Exthronisierung, die vorher in die Gegenrichtung lief. Ist schon angenehm, so ein Lektorat!