Von Matthias Bosenick (10.10.2022)
Fett, groovig, athmosphärisch, abwechslungsreich zwischen Doom, Sludge, Post und Groove Metal herumriffend – und fast alles von nur einer einzelnen Person eingespielt? Hinter Nuit D‘Encre aus Paris steckt jemand namens François „Franswa“ Felt, der mit „De l‘autre Côté“ sein zweites Album unter diesem Projektnamen präsentiert. Seine Variante von niedrigtourigem Metal kommt ohne Gesang aus, und der fehlt auch kein Bisschen, schließlich weiß der Multiinstrumentalist mit seinem Instrumentarium effektvoll umzugehen. Und auch wenn der Bandname, also ungefähr „tintendunkle Nacht“, oberflächlich ganz gut passt, straft die Musik den Musiker im Detail Lügen: Hier funkeln die Sterne, nicht zu knapp!
Wer alles so gut wie allein einspielt, hat die volle Gestaltungsfreiheit, was nicht jedem von Vorteil ist, doch hat Franswa Felt dergestalt viele Ideen und Einflüsse zur Hand, dass er selbst mehr als genug Vetorecht mitbringt, um seine Kompositionen spannend zu halten, und das auch noch, ohne den Faden zu verlieren. Seine Tracks sind schlüssig aufgebaut, sie nehmen langsam Fahrt auf, steuern auf ein grob angepeiltes Ziel zu und erlauben Schlenker und Landschaftsänderungen, die den Weg nicht zerdehnen oder beispielsweise den Wüstenpfad abrupt in eine vierspurige Teerstraße münden lassen. Es passt schon alles. Und es bleibt massig Potential für Aha-Momente.
Da Felt viele Instrumente beherrscht, gibt er sich selbst an jedem von ihnen Raum. Mal rifft er die Gitarre im Zentrum, mal spielt er auf ihr eine warme Melodie inmitten schwärzester Leere, mal lässt er den Bass wie in den Neunzigern knackig grooven, mal gewährt er seinem Schlagzeuger Eric Dunnet den größtmöglichen Mostmoment, mal drängt er synthetische Flächen ins Bewusstsein. Die Musik, die so entsteht, ist langsam schleppend, mit den dominanten E-Gitarren somit grob im Doom zu verorten. Doch ist nicht alles so tief gestimmt, Felt lässt höhere Töne zu, die den Sound in Richtung Post-Irgendwas schieben, Post-Rock, Post-Metal, so in etwa, ohne den Kitsch, trotzdem mit Emotionen. Felts Doom ist schön, obschon er hart sein kann, und melancholisch, obwohl die wärmeren Momente Hoffnung vermitteln. Ein schöner Mix, dunkel dräuend mit glitzernden Sternen.
„De L‘autre Côté“ ist Felts zweites Album als Nuit D‘Encre, vor zwei Jahren eröffnete er das Projekt mit „Sans maux dire …“. Dieses Mal legte er Produktion und Mix in fremde Hände, mit Etienne Sarthou von AqME und Magnus Lindberg von Cult Of Luna sind versierte Szenekenner an Bord. Viel erfährt man über Herrn Felt nicht, außer, dass er vorher in Bands diverser Genres zugegen war, von Prog bis Metal, und Gitarren für Guit‘Art Concepts designt. Mit dem instrumentalen Frickel-Gniedel-Prog-Trio Fused Box veröffentlichte er 2016 eine selbstbetitelte Sieben-Track-EP, auch da kamen die Kompositionen bereits komplett von Herrn „Bender“ Felt; Fused-Box-Gitarrist Edgard Chevallier alias Arny Dusty produzierte offenbar das Debüt von Nuir D‘Encre. Mehr Spuren sind so leicht nicht zu finden.
Mit dem letzten der acht Tracks entlässt Felt die Hörenden überraschend euphorisch, das temporär eingestreute geachtelte Riff könnte von einer Siebziger-Hardrock-Band sein, die damit in den Achtzigern nochmal einen Überraschungshit landete. Hier zieht er das Tempo leicht an, hier flirren die Gitarren hoch hinaus, am Mond vorbei und in die Sterne. Es glänzt und strahlt hell, auch wenn drumherum alles tintendunkel ist.