Von Matthias Bosenick (07.09.2022)
Mit ihrem Lettering schreien einen Machine Head auf ihrem neuen Album an, musikalisch vergehen einige Sekunden, bis sie es dem gleichtun, dann aber gewaltig. „ØF KINGDØM AND CRØWN“ nennen die Kalifornier ihr zehntes Studioalbum in 30 Jahren, und es bietet Thrash, wie man ihn von ihnen kennt, heavy groovend, brutal mostend, poppig-melodiös kitschend, massentauglich hüpfbar, alles zu seiner Zeit und zum Glück mit einem Übergewicht der harten Waagschale gegenüber der unerträglich anbiedernden. Aber irgendeinen Aspekt muss es ja geben, der Machine Head besonders und einzigartig macht, und dann sind das eben die Poppassagen inmitten des Infernos. So lang man sich noch homöopathisch an „Burn My Eyes“ erinnert fühlt, hat man es mit derselben Band zu tun, alles gut. Und immerhin sind sämtliche Songtitel ebenfalls in Kapitalen mit dem dänisch-norwegischen Heavy-Metal-Umlaut versehen. Das brüllt!
Glocken. Piano. Chöre. Epische Gesten, weite Horizonte. Gleich der zehnminütige Opener „Slaughter The Martyr“, auch als Single veröffentlicht, fährt das volle Festival-Gefallsucht-Geschütz auf. Soll es doch. „Choke On The Ashes Of Your Hate“ rückt anschließend das Bild wieder gerade, hier dominieren Wut, Brutalität, Tempo, Aggression, Gebrüll, Riffs und Soli. Keine Kompromisse. In „Become The Firestorm“ mischt lediglich die metalcoreartig-poppig gesungene Stimme im Refrain das Thrashgewitter auf, irgendwann gesellt sich kurz ein fast lieblich-progressives Gitarrensolo dazu. „Overdose“ ist dann ein Zwischenspiel, das einen Sterbenden an der Herzrhythmusapparatur begleitet.
Bereits vor zwei Jahren gaben Machine Head mit dem folgenden „My Hands Are Empty“ einen Vorgeschmack auf das Album, und das bietet ebenfalls Neunziger-Oldschool-Thrash mit melodischem Refrain inklusive Mitgröl-Chorpassagen. Muss man wohl durch, geht im Gesamtgedröhn auch eher unter, fällt aber auf. Und stellt ja auch im Oeuvre der Band keine Novität dar, Anbiederungen an Massen und Zeitgeist gab es seit „The Burning Red“ 1999, als sie versuchten, den NuMetal-Rahm abzuschöpfen. Und gottlob zwei Alben weiter ab „Through The Ashes Of Empires“ einen ganz anderen Weg einschlugen: Prog-Metal mit Thrash kombiniert nämlich. An „My Hands Are Empty“ wirkte überdies mit Logan Mader der Gitarrist der ersten beiden Alben mit, auf dem Rest des Albums ist Wacław Kiełtyka sein nunmehr dritter Nachfolger.
Ebenso poppig ist „Unhallowed“, die vierte von fünf Singles zum Album. Robby Flynn singt überwiegend klar, im Refrain hoch, im Hintergrund gibt’s angedeutete Riffs und Schrammeleien, aber insgesamt ist dies das gefälligste Stück der Platte. Man muss Flynn zugutehalten, dass er eine angenehm hörbare Stimme hat, die wandelbar genug ist, um in allen Varianten zu gefallen, ganz wie Mikael Åkerfeldt oder Burton C. Bell. Und ganz ohne Moshen kommt auch dieser Song nicht aus: Als würden sie Kritikern eine Lehre erteilen wollen, unterbrechen sie das Gefällige mit ihrem ureigenen Thrash. Kurz.
Mit „Assimilate“ streuen Machine Head das nächste kurze Zwischenstück ein, das an einen Horrorfilm erinnert. Der Sound von „Kill Thy Enemies“ hat dann etwas von Siebziger-Hardrock, durchmischt mit Machine-Head-Thrash-Passagen; hier drosselt die Band erstmals über längere Strecken das Tempo. In „No Gods, No Masters“ probiert Flynn einmal mehr Mitgrölchöre und melodischen Klargesang aus, es verwundert nicht, dass auch dieser Song eine Single ist. Der Refrain weckt unangenehme Erinnerungen an das unsägliche „The Chant“ von Gojira, das Stück will wohl neben diesem Crowdpleaser auf großen Festivals herumlümmeln.
„Bloodshot“ drischt wieder ordentlich druff und lässt das Mitsingen vergessen. Die Gitarre jault wieder, wie sie das bei Machine Head von Anfang an gern tat, da fügt sich Kiełtyka sachdienlich ins Bild. Und das trotz seiner Biografie: Mit Decapitated, Lux Occulta und einigen Einsprüngen bei Vader sollte so jemand hinreichend eigene Handschrift haben, doch klingt er hier waschecht nach Machine Head.
Auch „Rotten“ mostet wieder, man mag das repetetive „Everything is rotten tot he core“ gern mitbrüllen, „Terminus“ ist wieder ein Horror-Zwischenspiel und das finale „Arrows In Words From The Sky“ die letzte von fünf Singles, die einmal mehr Harmonien, Klargesang und fluffige Thin-Lizzy-Gitarren in den Orkan knotet. Bleibt also die Erkenntnis: Thrashhörer sollten sich von den poppigen Singles nicht abschrecken lassen, das Album hat deutlich mehr gute als solche Momente. Läuft!
Die limited Edition bietet das Instrumental „Exteroception“ und die Akustik-Version des ohnehin am Strand auf der Akustikgitarre komponierten Abschlusstracks, die offenbart, welch gute Musiker Machine Head tatsächlich sind. Nun ist Flynn von jenen der letzte Mohikaner, der seit Beginn der Band an Bord ist. Logan Mader ging nach zwei Alben, Bassist Adam Duce fand vor neun Jahren im jetzigen Co-Songwriter Jared Mac Eachern seinen Ersatz – und so richtig kurios wird es auf dem Schlagzeugschemel: Dave McClain war seit dem zweiten Album „The More Things Change …“ dabei, steht auch noch auf der Hülle des neuen Albums, war aber nicht mehr im Studio, sondern Session-Drummer Navene Koperweis prügelt seit 2020 die Stücke ein, so auch die Single „Circle The Drain“, die auf „Of Kindom And Crown“ gar nicht enthalten ist. Offiziell geführt indes ist Matt Alston als neuer Schlagzeuger. Muss man nicht verstehen.
Bei „ØF KINGDØM AND CRØWN“ handelt es sich übrigens um ein Konzeptalbum mit einer postapokalyptischen Geschichte um eine Blutfehde zwischen zwei Typen, die beide glauben, das Richtige zu tun, und doch nur Leute metzeln. Dazu soll wohl passen, dass die martialischen Titel in Kapitalen mit eingestrichenem O geschrieben sind; das sieht bei Stücken wie „BLØØDSHØT“ und „RØTTEN“ natürlich angemessen brachial aus. Interessant auch, dass der Albumtitel mit der Metal-Tradition bricht, als „[Irgendwas] Of [Irgendwas Anderes]“ strukturiert zu sein, sondern das „Of“ gleich vorn hat. Dabei ist ein Laut wie „uff“ gar nicht angemessen, das Album ist im gehobenen Okay verortet und macht rund um die Poppassagen mächtig Spaß.