Von Guido Dörheide (25.04.2022)
Ja wos an Scheeß – der Willi Resetarits ist tot. Da er schon vor wenigen Jahren die 70 überschritten hat, war eh klar, dass diese Nachricht irgendwann kommen müsste – aber ehrlich – gerade heute, mit gerade mal 73 Jahren, war das echt viel zu früh. Und dann noch aufgrund eines tragischen Unfalls im Haushalt – das Leben schreibt echt die traurigsten Drehbücher. Hatte auch einst Wolfgang Ambros meine Liebe zum Austro-Pop entfacht – erst Ostbahn-Kurti schaffte es, mich dermaßen für Rockmusik mit österreichischer Sprache zu begeistern, dass er inzwischen für mich das absolute Synonym des Austro-Pop, Austro-Rock und Austro-Blues darstellt.
Der „Bub aus Stinatz“ ist von seiner Herkunft her Burgenlandkroate (sein Bruder ist der Schauspieler Lukas Resetarits, der mit „Kottan ermittelt“ Kultstatus erlangt hat) und musste die deutsche Sprache erstmal erlernen, als er im Kindesalter nach Wien-Favoriten gezogen ist. Später galt er dann – vollkommen zu Recht – als „der Springsteen aus Favoriten. „Es Lem is hoat in Favoriten“, sang Sigi Maron einst, und Resetarits hat super viel aus diesem harten Leben gemacht. Seit 1969 war er Mitglied der politischen Rockband „Schmetterlinge“, nahm mit ihr 1977 mit wenig Erfolg am ESC teil und veröffentlichte mit dieser Band die „Proletenpassion“.
Der österreichische Radiojournalist Günter Brödl wurde dann irgendwann in den 70ern auf Ö3 mit der Frage konfrontiert, wie eine Band wie „Southside Johnny & The Asbury Jukes“ wohl in Österreich heißen würde – und konterte mit „Ostbahn-Kurti und die Chefpartie“. Dieser Band dichtete Brödl dann eine fiktive Biographie mit zahlreichen angeblich veröffentlichten Alben an, ließ „Ostbahn-Kurti lebt!“ auf Autobahnbrücken sprühen und sendete Interviews mit Kurti.
Irgendwann wurde es dann Zeit, „Ostbahn-Kurti und die Chefpartie“ tatsächlich zum Leben zu erwecken, und dazu taten sich dann Brödl und der oben besungene Bub aus Stinatz zusammen – und Willi Resetarits lieferte unter dem Ostbahn-Namen ab, als hätte es niemals ein Morgen gegeben. Resetarits ist absoluter Vollblutmusiker, besitzt eine wunderbare Bühnenpräsenz, hat eine Stimme, die zu allem, was er macht, 110%ig passt, und kann das Feinrippunterhemd würdevoll tragen wie sonst niemand anders. Also – Deal – Brödl textet, Resetarits singt und die Band spüt den Bluas dazua. Und das ist es mit Ostbahn-Kurti und der Chefpartie – die eingeösterreichischten Texte passen wie die sprichwörtliche Faust aufs Butterbrot – Resetarits performt sie mit einer Authentizität, die nicht nur ihresgleichen sucht, sondern sie auch nie wieder ansatzweise gefunden hat – und dazu spielt eine Band, die das Dargebotene niemals zu einer Parodie werden lässt, sondern in jeder Sekunde die wunderbaren Texte mit virtuosem, schweißtreibenden Blues und Rock‘n‘Roll hinterlegt, wodurch die Coversongs immer für sich selber stehen und sehr oft das jeweilige Original weit in den Schatten stellen.
Mein Lieblingsbeispiel dafür ist „Arbeit“ – und genau deshalb habe ich „Liagn und Lochn“ aus dem Jahr 1989 als Ankerpunkt für meinen Nachruf ausgewählt. Das Original hierzu ist „Factory“ von Bruce Springsteen – und aus „It‘s the working, the working, just the working life“ machen Kurt Ostbahn und die Chefpartie zunächst „In die Oabeit, in die Oabeit kummt man net zu spät“ und später „In der Oarbeit, in der Oarbeit muss man ollas gem“. „Er red nix und hust vü – er wü sei Rua und sei Tee mit Rum, weil des Lem ist Oabeit und die bringt eam um.“ Ohne Scheeß – die Härte des Arbeitslebens hat niemals jemand in treffendere oder schönere Worte gefasst – mein Lieblingssongtext of all time. Und das zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk des Günter Brödl – er hat dem Ostbahn-Kurti Texte auf den Leib geschrieben wie „Wo hamma denn den Foaschein?“ für „I Heard It Through The Grapevine“ und „A Schritt vire (zwa Schritt zruck)“ für „One Step Up And Two Steps Back“ – wieder mal Springsteen. Ich denke, Kurti hat den Weg geebnet für unglaubliche österreichische Künstler wie Ernst Molden oder den Nino aus Wien.
Günter Brödl ist im Jahr 2000 verstorben – und Resetarits wollte den Ostbahn-Kurti an den Nagel hängen. Musikalisch hat er nie a Rua ge‘m und mit „Willi Resetarits und Stubnblues“ und zahlreichen anderen Bands hat er Konzerte gespielt und Alben veröffentlicht und auch als Ostbahn-Kurti ist er auf zahlreichen neuen Livealben immer wieder aufgetaucht – nicht zuletzt, weil die Fans immer danach verlangt haben. Mit Sivan Perver hat er ein wundervolles Album mit kurdischer Musik veröffentlicht, mit Sabina Hank hat er unter anderem Texte von H.C. Artmann vertont, das unglaubliche Hörbuch „Da Jesus & seine Hawara – das Neue Testament im Wiener Dialekt“ von Wolfgang Teuschl eingelesen und so vieles mehr gemacht, wofür hier der Platz einfach nicht reicht.
In der wundervollen Sendung „Denk mit Kultur“ in der Ottakringer Brauerei ist er aufgetreten – und wurde von der unglaublichen Gastgeberin Birgit Denk („Bringt‘s mir irgendwer a Achtel“) nach seiner größten Schwäche befragt. Resetarits grinste und sagte „Ich prokrastiniere!“ – seitdem ist es mir nicht mehr unangenehm, dass ich alles, aber auch alles, immer bis zum absolut allerletzten Moment aufschiebe.
Als Burgenlandkroate war Resetarits sozusagen ab Geburt mit jedweder Flüchtlingsproblematik vertraut und hat sich Zeit seines Lebens in Flüchlingsprojekten eingesetzt – wenn jemals ein herausragender Künstler gleichzeitig ein herausragender Mensch war, dann er. Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen (für dessen Wahl sich Resetarits unter anderem zusammen mit André Heller eingesetzt hat) hat auf Twitter berührende Worte für den Tod Resetarits‘ gefunden und selbst der österreichische ÖVP-Bundeskanzler Nehammer hat getweetet, dass Ostbahn ihn durch seine Jugend begleitet und mit seinen Liedern Generationen begeistert habe. Da hat Kurti echt mal Glück gehabt, dass er nicht während des – gottseidank nicht unbedingt langen – Kurz-Regimes das Zeitliche gesegnet hat. Ich denke auch, dass Österreich und der gesamte Irgendsowaswiedeutschesprachraum einen seiner wichtigsten, charismatischsten und nicht zuletzt talentiertesten Künstler verloren hat.
Deshalb hier nochmal zurück zu „Liagn und Lochn“: Ostbahn-Kurti hat insgesamt gefühlt 1.000 Alben veröffentlicht – warum habe ich für den Nachruf ausgerechnet „Liagn und Lochn“ ausgewählt?
Einmal wegen der Hitdichte: Außer „Arbeit“ ist hier noch „Da Joker“ vertreten – natürlich eine Coverversion von „The Joker“ von Steve Miller, a Musikant wie man so sogt. Dann noch das oben erwähnte „A Schritt vire (zwa Schritt zruck) und nicht zuletzt „Des Wetter wird umschlogn“ – wohinter sich nichts Geringeres verbirgt als „They Call Me The Breeze“ des unsterblichen J.J. Cale, von Günter Brödl kongenial ins Österreichische übertragen.
Und letzten Endes auch wegen des Titelstücks „Liagn und Lochn“ – im Original „At My Window“ des late great Townes van Zandt. Auf „Reserviert fia zwa“ gab es davon eine Live-Version, die Kurti gemeinsam mit van Zandt – ganz kurz vor dessen Tod – eingespielt hat, Heulen ohne Ende – jetzt doppelt. „Dei Liagn und mei Lochn – die megn si und die wolln heit wos vonanand“ – und dazu spüt die Mundharmonika – ach Mensch Willi – einen wie Dich hätte die Welt jetzt eigentlich noch viel länger gebraucht. Und jetzt bringt‘s mir um Gotteswillen endlich jemand a Achterl.