Von Matthias Bosenick (24.02.2022)
Auch wenn’s kein klassischer EBM ist, ist der 24.2. ein gutes Datum, sich mit dem Brasilianischen Duo Hades zu befassen. Die Titel der früheren Veröffentlichungen, etwa „Morbid Action“, kombiniert mit dem Bandnamen lassen zwar an Black Metal denken, doch handelt es sich dabei um ein jüngst reaktiviertes über 30 Jahre altes Synthie-Projekt. Die dunkle, minimalistische Neunziger-Attitüde hört man auch den neu aufgenommenen vier alten Songs an, die Alan Draht und Sandro Couto veröffentlichten: dunkel, eher an US-Electro orientiert, trotz der aufs Wesentliche reduzierten Arrangements mit kleinen Details gespickt, Gruftstimme und auch im niedrigen Tempo keine Allüren, balladesk die Charts zu erobern. Kurios: Inzwischen steht bei Bandcamp, die Band komme aus Wolfsburg. Sowas!
Die erste Single „Times“ trägt am stärksten einen Sound, den man nur aus Nordamerika kannte, schwer, ungemütlich, latent aggressiv, etwa wie bei alten Skinny Puppy, nur weniger ausformuliert, oder Yeht Mae. Das Tempo ist im oberen Mittelfeld gehalten, der Song ist tanzbar, kraftvoll, monoton, einnehmend. Das fetteste Stück der neu-alten vier. Für „Moon Quest“ drosselt das Duo sein Tempo und intoniert den Song mit tiefergelegtem Gruftgesang, ein Bisschen wie bei Love Like Blood. Die Synthies mögen höhere Akkorde anschlagen, fröhlicher wird der Song dadurch nicht, auch weil er ein balladentaugliches Beziehungsthema behandelt. „Moon Quest“ liegt auch als gekürzter „Radio Edit“ vor.
„Mourning“ trägt das Dunkle ja schon im Titel. Musikalisch fühlt man sich hier eher an die Achtziger erinnert, nicht wie beim Synthiepop, trotz dezenter poppiger Effekte, vielmehr wie bei The Invincible Spirit, Clan Of Xymox oder The Fair Sex, inklusive energetisch klagendem Gesang, nur nicht so vollgestopft und dicht produziert, mehr die Leere zelebrierend. Der Songs ist die musikalisch am weitesten zurückführende Zeitreise dieses Single-Quartetts. „Mourning“ kommt als „Single Version“ und als „Classic Mix“. Zuletzt beginnt „Another Life“ als Pianoballade mit Gruftgesang, nicht so ausgeprägt indes wie bei Deine Lakaien, dann pluckert der Synthie los und verlockt von den vier Songs noch am ehesten dazu, sich auf eine Tanzfläche zu begeben, drei Schritte vor, drei zurück. Der Song transportiert eher Melancholie als satte Düsternis und steigert seine Energie kurz vor Schluss nochmal, aber ins Formatradio würde auch der es nicht schaffen, gottlob.
Die Veröffentlichungspolitik von Hades ist derweil etwas seltsam. Als Comeback gab es 2020 auf Bandcamp die neu eingespielte Single „Morbid Action“, die jüngsten vier Songs wiederum sind dort nicht erhältlich, dafür überall sonst als Stream. Die alten Alben bis zum Split erschienen zwischen 1990 und 1996 ausschließlich als Tapes, und das auch in abweichenden Besetzungen, meistens als Trio. Vom 1993er Nachfolger „Agony Of Domination“ stammen die meisten der seit 2020 insgesamt fünf neu eingespielten Songs; „Another Life“ ist vom 1994er-Tape „Mesmerize“, „Mourning“ gab’s später auch auf „Hades 1996“, drei der Singles ebenso 1996 erneut auf „Temporary“. Zu hören sind die alten Tapes nirgendwo mehr, man kann also die Neuversionen nicht mit den alten vergleichen und die Entwicklung nachträglich nachzeichnen. Auch die nächsten Etappen des Duos sind nicht bekannt – kann man nur abwarten, ob die beiden Brasilianer ihr Oeuvre auf diese Weise alsbald komplett im Internet verfügbar machen. Die Suche jedenfalls ist nicht einfach, weil die meisten Ergebnisse Black Metal ergeben.
Das Trio Hades kam 1990 in Sao Bernardo do Campo zusammen, einer Industrieregion nahe Säo Paulo, wie es sich gehört für eine elektronische Musik, die dem Industrial nicht abgeneigt ist. Damals spielte Alan Draht unter dem Alias Alan C.P. noch Schlagzeug, als Keyboarder waren Rogério Barbosa und Vagner Santos bei ihm, Gesang gab es noch keinen. Santos verließ die Band nach zwei Jahren für sein neues Projekt Analog Code, für ihn rückte Sandro Couto nach und übernahm das Schlagzeug, damit Draht sich aufs Singen konzentrieren konnte. Das Mikro gab er für die folgenden zwei Veröffentlichungen kurzzeitig an Alexandre Pepeu ab, dem wiederum temporär Plinio Mattos folgte. Nachdem jener zugunsten seines Projektes Further Southern die Band verließ, stoppten Hades trotz erfolgreicher Sampler-Beiträge und Livegigs sowie gefeierter Tapes 1996 die Aktivitäten. Draht betrieb kurzzeitig das Solo-Projekt Urban Citizien, und 2016 tat er sich erneut mit Couto zusammen, um alte Songs neu aufzunehmen, und hier sind wir nun.