Von Matthias Bosenick (13.07.2021)
Geistermusik, in jeder Hinsicht: Auf ihrem neuen Album „DOM 1919“ verarbeiten Nac/Hut Report aus Krakau über 100 Jahre alte Wachszylinder-Aufnahmen, die sie auf die ihnen eigene Weise zerlegen und neu zusammenfügen. Die Musik ist dabei so ätherisch-transzendent wie eh und je, aber weniger zerklüftet, sondern weicher, durchscheinender und noch schwieriger greifbar als früher. Man meint, den Geistern sogar zuzuhören, die sich auf dem Cover andeuten. Es sind freundliche Geister.
Schleppende, aber milde, weil in variierenden höheren Tonlagen gehaltene Drones bestimmen den Sound dieses Albums, zarte, aber eindringliche Drones, mit Gitarren erzeugt. Dazu erklingen Samples alter Wachszylinder aus zumeist anonymen Quellen, aufgenommen zwischen 1901 und 1919, die Jadwiga Taba und L.M. in den Stücken unterbringen. Leiernde Spieluhren, Kratzen, Glockenschläge, Chorgesänge: Auch die ausgewählten Sounds vertiefen den Eindruck des Geisterhaften, indes ohne jegliches Gefühl von Bedrohung, vielmehr, als verfolge man eine akustische Dokumentation über Geschichten vergessener Leben. Dazu seufzt Jadwiga Taba wie gewohnt ihre auf Polnisch gehaltenen Texte, und auch damit wirkt sie schon immer gespenstisch.
Einen erheblichen Unterschied gibt es zu den vorherigen Alben des Duos, abgesehen von den Quellen: Die Stücke sind weniger zerhackt als früher, da schlägt sich offenbar Jadwigas erst kurz zuvor veröffentlichtes Soloalbum „Sen o Czarnej Drodze“ nieder. Darauf verzichtete sie nämlich bereits auf das Hacken und intensivierte das Versponnene. Hier hält sich ihr musikalischer Partner L.M. also zurück, konzentriert sich vielmehr auf die Samples und darf mindestens in einem Track mal seine vertrauten Breaks unterbringen, aber so behutsam gesetzt, dass sie den ungeübten Hörer nicht verschrecken.
Und so erhebt das Duo aus den Drones und Samples eine erhebende Musik, einzigartig, einnehmend, wunderschön. Und komplett frei von Beats. Eine Abenteuerreise an den Anfang des 20. Jahrhunderts, transportiert mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts.