Von Matthias Bosenick (08.07.2021)
Ein viertel Dutzend neue Alben vom Wiener Label Jive-Music trudelte ein: Labelchef Rens Newland ist selbst beteiligt am tanzbaren „Trance Of Noiz“ des Ganzkörperpercussionisten Andi Steirer. Für das smoothe Jam-Album „What Now My Love?“ fanden Christian Havel, Dušan Novakov, Erwin Schmidt und Bernhard Wiesinger spontan zusammen. Und mitreißend partytauglichen Swing-Pop macht Susan Blake mit der Miskolc Dixieland Band auf ihrem Album „Love Won’t Wait“.
Andi Steirer – Trance Of Noiz
Weder Trance noch Noise macht Andi Steirer, Volksmusik indes, was der Name möglicherweise nahelegen könnte, auch nicht: Der Österreicher verlegt such auf Percussion, und zwar derart ausgeprägt, dass die Musik auf seinem dritten Soloalbum zum größten Teil eben daraus besteht. Im Grunde entspricht sie dem Geist des EBM, ohne auch nur ansatzweise EBM zu sein: Steirer macht Körpermusik, und das gleich im doppelten Sinne, nämlich für den Körper, indem man sich davon zur Bewegung aufgefordert fühlt, und mit dem Körper, schließlich gilt Steirer als der Erfinder des Body Drumming, also des Einbeziehens des eigenen Körpers in die Percussion-Arbeit. So verfährt er auch auf „Trance Of Noiz“, heißt es; das herauszuhören erfordert aber einiges an Vorwissen, dem Laien erschließt sich der Körpersound nicht, ihm stellt sich diese Info eher als ein Gimmick dar.
Ebenfalls sieht Steirer sein Album im House verankert, aber Househörer würden ihm da doch widersprechen: Tanzbar ja, und zwar erheblich, aber komplett anders strukturiert und instrumentiert als House. Interessanterweise klingen viele der Tracks beinahe synthetisch („N.O.W.X – TranceNoiz“), darin mag der Komponist den House erkennen. Dem Funk liegen seine Stücke aber deutlich näher, angereichert mit etwas Jazz, eingestreut von diversen Gästen, die Saxophon (Thomas Kugi), Trompete (Josef Buchartz) oder Altflöte (Heiz von Hermann) spielen. Oder Gitarre, wie Steirers Ostinato-Kollege und Labelbetreiber Rens Newland. Dabei belässt es der Wiener Steirer aber nicht: Manche Tracks erinnern an polyrhythmische Weltmusik, manche an chillige Fieldmusic mit Vogelzwitschern und Grillenzirpen („Awake“), andere wohl nicht besonders zufällig an den „Trommeltanz“ genannten Hit „Din Daa Daa“ von George Kranz („Do Da Doo“). Seinen Hang zum Experimentieren lebt Steirer uneingeschränkt aus, was dazu führt, dass man sein Album eben nicht einem festen Genre zuordnen kann und dass er den Fluss der Stücke immer wieder überraschend unterbricht.
„Trance Of Noiz“ gilt als Steirers erst drittes Soloalbum, und wenn man in seine Biografie schaut, gerät man ins Staunen: Mit 15 war er Mitgründer von Ostinato, 1975. 1981 erfand er das Body Drumming. Ab 1986 war er festes Bandmitglied von Ludwig Hirsch und musizierte hernach unter anderem für und mit Leuten wie Georg Danzer, Erika Pluhar, Harold Faltermayer, Wolfgang Ambros, Falco, Reinhard Fendrich, Erste Allgemeine Verunsicherung, Ostbahn-Kurti, Reinhard Fendrich und zahllosen weiteren Musikern das Austropop-Who-Is-Who. Solo reüssierte er erst 2008, beteiligte sich aber weiterhin an diversen Projekten, darunter mit Stefan Jürgens. Auf „Trance Of Noiz“ pluckert, klöppelt, klickert, groovt, paukt, rasselt und chillt sich Steirer durch satte 14 Tracks – eine abwechslungsreiche Reise, die in einer voluminösen Siebziger-Fernsehshow-Opulenz gipfelt.
Havel, Novakov, Schmidt, Wiesinger – What Now My Love?
Der Sound auf diesem Album ist so zeitlos, dass er zwischen 1950 und heute jederzeit hätte entstanden sein können. Was Wunder, stützen sich doch die Protagonisten zu einem Drittel auf klassische Jazzkompositionen, die sie hier performen. Und das eher zufällig als Resultat der Coronapandemie: Schlagzeuger Dušan Novakov lud in der Zwangspause drei Musiker in sein Studio, und zwar Hammond-Organist Erwin Schmidt, Gitarrist Christian Havel sowie Saxophonist und Flötist Bernhard Wiesinger. Gemeinsam jammten sie sich durch neun Fremd- und Eigenkompositionen, von Frédéric Chopin, Duke Ellington und Gilbert Bécaud einerseits sowie Wiesinger, Schmidt und Havel andererseits. Das Quartett hielt sich nicht damit auf, für sich einen Namen zu finden, sondern konzentrierte sich voll auf die Stücke, so muss das.
Dabei gelingt den vier Musikern die Kunst, Alt und Neu auf eine verbindende Weise zu spielen, die den Abstand der Jahre zwischen den Kompositionen nivelliert. Alles ist eins, entspannt, relaxt, smooth, es twangt die Gitarre, es wärmt die Hammond, es swingt das Schlagzeug, es tirilieren die Blasinstrumente. Wie es sich für den Jazz gehört, hat jeder Musiker seine Anteile, seine Solozeiten, in denen die anderen zweckdienlich die Passagen mit Akzenten begleiten. Das Album hätte irgendwann vor 50 Jahren bei schwülem Wetter nachts in einem kleinen US-Club aufgenommen worden sein können, ebensogut auch 2020 irgendwo in Wien.
Erstaunlich ist, wie unaufgeregt und geordnet diese improvisierte und gejammte Musik klingt. Nach einer zufälligen Zusammenkunft hört sich „What Now My Love?“ keineswegs an, dafür sind die vier Musiker viel zu versiert. Gern dürfen die vier auf diese Weise weitermachen, vielleicht ergibt sich dann auch ein Name für das Projekt. Es hätte einen verdient. Und die selbstgewählte Bezugsgröße Wes Montgomery Quartet hat es gar nicht nötig.
Susan Blake & Miskolc Dixieland Band – Love Won’t Wait
Da geht die Party, aber sowas von! Mit ihrer ungarischen Stammband, der Miskolc Dixieland Band, verwirklicht Sängerin, Posaunistin und Pianistin Susan Blake ein Bund von 14 Eigenkompositionen. Ihr so genannter Dixie-Pop könnte stellenweise um die 100 Jahre alt sein, trägt Osteuropa in den Süden der USA, vermengt entfernte Traditionen, ohne Bruchstellen entstehen zu lassen. So richtig zum Reflektieren kommt man aber gar nicht, weil Blake die Hörenden stante pede vom Sessel reißt und wild herumzappeln lässt. Dazu singt sie von Liebe und Leben und bringt mit ihrer Spritzigkeit einen gehörigen Schuss Jugendlichkeit in diese vermeintlich alte Musik.
Die Miskolc Dixieland Band besteht aus Chef und Saxophonist (natürlich nicht der Violinist) Tibor Varga, Gitarrist Gábor Orosz, Schlagzeuger Gábor Kascenyák, Klarinettist Miklós Balla, Pianist István Bundzik, Trompeter Imre Várkoly, Kontrabassist Dr. Zsolt Szegö sowie Posaunist Dániel Négyesi. Auch Blake selbst verlegt sich nicht ausschließlich aufs Singen, und trotz dieser opulenten Besetzung nehmen sich die Musiker keinen Raum weg. Nicht überfrachtet ist die Musik und damit noch überzeugender, ansteckender, mitreißender, turbulenter, sprudelnder, furioser. Sogar diverse Solopassage sowie einige zurückgelehnte Songs gönnt sich die Band, quasi als Tanzpause, bis man sich wieder wild herumzappelt. Ein bisschen „Bei mir bistu shein“ von den Andrew Sisters dringt durch, an Imelda May könnte man sich ebenfalls erinnert fühlen, im Falle von „One Man Show“ latent an „Just A Girl“ von No Doubt, kurios – also in der Tat ein Mix quer durch die Jahrhunderte.
Interessanterweise räumte Blake in Österreich kürzlich diverse Preise ab – mit Country, was man dem Album gar nicht anhört. Gewöhnen muss man sich hier einzig an die in sehr hohen Lagen bisweilen ans Quäkende grenzende Stimme der Sängerin, ansonsten bekommt man ein ungestüm mitreißendes Album, dessen Musik mit Dixie-Pop in der Tat trefflich beschrieben ist. Rettet jede Party!