Von Matthias Bosenick (16.06.2021)
Nur zwei Tracks, also jeweils einen pro Band, braucht es, um mehr musikalische Ideen umzusetzen, als manche Musiker überhaupt Karrieren haben. Auf Einladung von Psychonaut aus Belgien leisten Sâver aus Norwegen einen Beitrag zu ihrer überhaupt erst zweiten Veröffentlichung. Beide Tracks auf der „The Emerald Split EP“ sind so abwechslungsreich, dass man nicht mal ein Genre nennen kann: Doom, Sludge, Postrock, Progrock, Ambient, alles ist drin, und noch viel mehr. Da öffnen sich Horizonte!
Das Stück des Gastgeber-Trios Psychonaut ist das kompakteste dieser EP. „The Great Realisation“ baut sich langsam schleppend und wuchtig auf, es folgt ein dem Grunge nach Alice In Chains entlehnter mehrstimmiger Gesang, angereichert von mehr und mehr Instrumenten und Effekten. Zunächst verweilt das Stück etwas im Rockoutfit, nur um dann nach einem radikalen Bruch mit Kehlkopfgesang, Didgeridoo und hippieskem Discobeat zu überraschen. Bis die Band plötzlich losmosht und -brüllt. Die Rede ist hier von 16 Minuten und 31 Sekunden, in denen all dies stattfindet!
Etwas mehr Zeit, nämlich gut 19 Minuten, lassen sich danach Sâver. Der Titel „Dimensions Lost, Obscured By Aeons“ erinnert nicht zufällig an Pink Floyds „Obscured By Clouds“. Wobei die musikalische Assoziation eher auf dem ersten Teil des Tracks fußt: Satte siebeneinhalb Minuten lang hört man nichts anderes als mystische Moog-Synthieflächen und einen sanften synthetischen Herzrhythmus-Beat. Das erwartet man nun absolut gar nicht, wenn man das Debütalbum „They Came With Sunlight“ kennt – auf dessen Sound Sâver dann im zweiten Teil des Stückes zurückgreifen. Die Gitarre schneidet mit einem Ein-Ton-Riff in die Synthies, das Schlagzeug wummert dazu, und dieser Bass!, und dann legt das Trio los mit schwerem Doom, der sich zu etwas Großem auftürmt, etwas sehr Wütendem. Wenn dieser Song auf eine kommende Veröffentlichung hindeuten soll, steht Grandioses bevor.
Die Belgier fassen ihren Tracks als fünfteilige Suite mit Inhalt auf, basierend auf einer psychedelischen Erfahrung erzählen sie von einer Art kollektivem Erwachen. Zudem stellt der Track den Übergang vom letzten Album „Unfold The God Man“ zu einem noch in Arbeit befindlichen nächsten Album dar. Aktiv sind Psychonaut aus Mechelen seit mindestens 2014, zuvor musizierten Stefan de Graef und Thomas Michiels bereits unter dem Namen Generation!, ebenso wie Peter Le Page, der hier erstmals nicht dabei ist, aber ersetzt durch Harm Peters. Weitere Mitmusiker sind hier Bram Lobbestael, Chiaran Verheyden von Pothamus und Multiinstrumentalist Victor Jacobs.
Das Stück von Sâver aus Oslo ist ein Echo auf die Covid-Pandemie, in dem die Musiker ihre Erlebnisse verarbeiten. Nach der kräftezehrenden Rückreise aus Ungarn, wo sie ihre Tour abbrechen mussten, staute sich nach anfänglicher Verunsicherung alsbald eine Wut auf, die sich nun in diesem komplexen Track entlädt. Das Trio startete 2019, doch spielten die Musiker zuvor bereits in anderen Bands: Sänger und Bassist Ole Christian Helstad bei Kite und Tombstones, Schlagzeuger Markus Støle ebenfalls bei Tombstones sowie bei Hymn und Sänger, Gitarrist und Keyboarder Ole Ulvik Rokseth als Gast bei diversen Aufnahmen anderer Bands.
Die EP gibt es in diversen Farben, besonders erbaulich ist die schwarzgrün gesplatterte Variante. Ein Downloadcode für Bandcamp liegt bei.