Von Matthias Bosenick (02.06.2021)
Noisecore, der seinen Noise melodiös unterfüttert und seinen Core amtlich grooven lässt: Ihr erst drittes Album rotzen Jars aus Moskau heraus, und es ist eine herrliche Freude, dieser Eruption von Rock’n’Roll im unklassischen Sinne beizuwohnen. Ein reines Rotzen ist das hier aber nicht: Breaks, Dynamik, Riffs, klare Passagen und ein Saxophonsolo zerstreuen den Lärm und das Geschrei. Eine schlechte Laune, die gute Laune macht!
Und das ist nur ein Trio, da hört man’s wieder, welche Kraft von so wenig Musikern ausgehen kann! Sänger und Gitarrist Anton Obrazeena, Schlagzeuger Mikhail Rackaev und Bassist Pavel Orlov sind die drei, aus denen Jars bei dieser Veröffentlichung besteht, und die rumpeln ein Brett von einem Album zusammen, das trotz seiner Lautstärke und Gewalt nicht verbergen kann, um was für begnadete Musiker es sich dabei handelt. Punktgenaue Breaks, die in „Какая ты империя? / Which Empire Are You?“ auch mal mehrere Sekunden dauern können, dazu eine bassgetriebene Dynamik, ein akzentuiertes Schlagzeug und eine fuzzy Gitarre, dazu gebrüllte, geschrieene, ausgekotzte Texte auf Russisch, und in dieser fein designten Lärmarchitektur lassen die drei Raum für Melodien, Soli, Brüche und sogar Schönheit.
„Механизм / Mechanism“ ist so ein Beispiel. Eher dem Indierock als dem Post-Hardcore zugeneigt, mit klarer Gitarre und klarem, teilweise mehrstimmigem Gesang sowie einem treibenden Schlagzeug beginnt es, flirrt dann bald räudig los und öffnet sich für einen Gastbeitrag: Anton Ponomarev von Бром und dem Speedball Trio spielt das noisige Saxophon, und dieser Link ist nicht so verwunderlich, wenn man weiß, dass Obrazeena mit jenem Saxophonisten erst jüngst ein experimentelles Freejazzalbum mit dem eindeutigen Titel „Massacre“ einspielte.
Diese Art von Noisecore, No Wave, Post-Hardcore ist eher ein US-amerikanisches Thema, und man meint in vielen Songs vertraute Originale herauszuhören, jedoch nie eindeutig, dafür sind Jars zu eigen. Oder erinnert ein Stück wie „Мне нужны враги / I Need Enemies“ nicht doch etwas an die Swans, mit seinem heavy Stampfen zwischen dem Lärm (wohl nicht zufällig verweist das Cover der Jars-Single „Arms/Shelter“ auf das des Swans-Albums „Filth“)? Hört man nicht irgendwo die späten Fugazi, die frühen Ritual Tension, die Melvins oder gar Black Sabbath heraus? Egal: „ДЖРС III“ rüpelt eigenständig genug, um solche Erinnerungen auszublenden.
Freundlich übrigens, dass auf diesem Album auch Stücke enthalten sind, an denen ausgeschiedene Bandmitglieder mitgearbeitet hatten. An Alexander Seleznev und Vladimir Veselik richtet die gegenwärtige Besetzung Dank und Grüße – das ist mehr als fair. Zwar ist dies erst das dritte Album von Jars, aber mindestens die 17. Veröffentlichung: Auf der Bandcamp-Seite gibt es noch haufenweise EPs und Livemitschnitte.