Von Matthias Bosenick (23.11.2020)
Zwei Schlagzeug-Bass-Projekte von Jörg Alexander Schneider, die er im Spätsommer nicht nur digital, sondern auch als Schallplatte unter die Leute brachte: „Oni“, das zweite Freejazz-Album von Roji, seiner dritten Zusammenarbeit mit Gonçalo Almeida (nicht dem luxemburgischen Fußballspieler), und „I“, das Drone-Debüt von Alexander, seiner Allianz mit Kyle Alexander McDonald, mit dem er den titelgebenden Zweitnamen teilt. Beide Alben könnten unterschiedlicher kaum sein: „Oni“ der pure improvisierte Lärm, mit ausgewählten Gästen erzeugt, und „I“ beinahe entspannender schwermütiger Noise-Drone.
Wenn Schneider Jazz macht, dann ist das meistens vermutlich gar nicht seine Absicht, sondern vielmehr das Ergebnis dessen, was er so mit seinem Schlagzeug veranstaltet, oder auch der Ungenauigkeit des Rezipienten geschuldet, der für diese Art von Avantgarde-Experiment keine geeignetere Schublade parat hält. Wenn der Schlagzeuger seinen Impulsen folgend drauflosdrischt, entsteht eben diese Geräuschansammlung, dann befreit er sich vollends von allen Leitplanken, dann verliert er sich in sich selbst und an seinem Instrument, dann gibt es nicht mehr so etwas wie Vorgaben, so etwas Banales wie Rhythmus oder Takt, dann befreit er seine Seele und lässt einfach alles laufen. Weltweit findet der Mann aus Hückelhoven dafür auch noch Mitstreiter, die auf ihren jeweiligen Instrumenten ähnlich verfahren, und das ist schon respektabel, wie viele Musiker wie er das Joch des Erwartbaren abzulegen gewillt sind.
Mit dem in den Niederlanden lebenden Almeida ist „Oni“ das bereits dritte Album Schneiders, aber das zweite unter dem Namen Roji; zwischendurch gab es noch eines unter dem Moniker „Schneider Collaborations“. Allen drei Alben liegt das gleiche Konzept zugrunde: Bass, Schlagzeug, Blasinstrumente und Loops, hier erstmals ergänzt um Klavier. Almeida ist Bassist, der auch elektronische Klangerzeuger zu bedienen weiß und dieses Wissen auf „Oni“ zum Einsatz bringt. Also Bass und Schlagzeug als Grundlage, frei von erkennbaren Strukturen, garniert mit Loops und Sounds – sowie in Einzelfällen mit Bassklarinette oder Tenorsaxophon, eingestreut von Riccardo Marogna, sowie Piano oder Keyboards, hinzugefügt von Giovanni di Domenico. Im Ergebnis heißt dies, dass der rumpelige Soundteppich der Rhythmusinstrumente in manchen Fällen beinahe, nun: droneartige Ergänzungen findet. Und wenn sich dann alles um sich selbst dreht, findet Schneider plötzlich in eine Art Rhythmus, klingt ein Track wie „Breakpoint“ annähernd nach einem sehr alten Death Metal, nach den frühen Swans gar. Deren Noise ist eine der wenigen Referenzen, die man beim Hören von „Oni“ anführen kann. Kraftvoll, befreiend, befreit: Herrlicher Lärm, wie immer.
Einen ganz anderen Ansatz hat das erste gemeinsame Album (mit dem superguten Cover) der beiden Alexanders: Nur zwei Tracks, einer 15, einer fast 20 Minuten lang, mit den Titeln „Astral Descension“ und „Runes“, die schon ungefähr ahnen lassen, wie es weitergeht, und doch eine irreführende Fährte vorgeben. „I“ ist vorrangig Drone und Doom, genretypisch schleppend, mit elektronischen Effekten unterfüttert und mit flüsternd gekeiften Vocals, einen tief schwingenden Bass und zunächst einem unerwartet geradlinigen und somit der Struktur dienlichen Schlagzeug. So ganz ohne Galopp kann Schneider dann aber doch kein Schlagzeug mehr spielen, er lässt sein Ungestüm immer wieder von der Leine, aber streckenweise so sehr im Zaum hielt er es schon lang nicht mehr, seit Gaffa womöglich, also irgendwann zu Beginn der Nullerjahre. Und McDonald, aus New Brunswick in den USA übrigens, entlockt seinem Bass nicht etwa Melodien, auch wenn vereinzelte Passagen wie der Anlauf zu so etwas erscheinen, sondern einen variierend verzerrten Brummton. Die zweite Seite offenbart dann wieder ein frei atmendes Impro-Gewand, wie man es von Schneider kennt, mit seinem klickernden und klackenden Schlagzeugspiel, nur weit bedrohlicher, düsterer als alles andere von ihm. Beim Hören dieses Albums erscheint kurz der Name Justin K. Broadrick vor dem inneren Ohr.
Wo Schneider solche Leute nur immer findet! McDonald ist aktiv unter diversen Pseudonymen, mit denen er zumeist solo aus Bass, Keyboard und seiner Stimme Platten veröffentlicht; darunter John Jerome & The Congreation, Zaum oder Shevil, früher auch Red Rum (siehe „Shining“), Cop Shades, Pervert und The Woods. Und auch Almeida listet eine Heerschar an Projekten und Bands sowie unbenannten Dreier-Kooperationen auf, von Albatre über Dream & Drone Orchestra und Lama bis Spinifex und Tetterapadequ. So viel zu entdecken, wenn man nur einmal begonnen hat, dem Schlagzeuger von Les Hommes Qui Wear Espandrillos zu folgen!