Von Matthias Bosenick (18.11.2020)
Nach der Lektüre dieses Büchleins hätte der Rezensent dem Autoren davon abgeraten, es zu veröffentlichen. In „Hirnfick, Scheusal & ich“ macht Dan Yell seine Sicht auf eine toxische Beziehung zu einem anderen Punkmusiker öffentlich und legt sein Inneres offen. Für ihn ist es Verarbeitung, für den Genannten womöglich Provokation sowie für den Leser eine Art Brief mit der Nacherzählung der Geschichte und einer von sehr vielen Varianten, mit so etwas umzugehen – jedoch nicht in aller Augen die beste. Als psychologisches Lehrstück für die subjektive Auseinandersetzung mit Mobbing ist es passabel, als Hilfestellung nur bedingt. Dem Büchlein liegt wahlweise eine CD oder ein Tape mit der Punk- und Wave-Musik bei, die im Text Erwähnung findet.
Die Ausgangslage ist – leider – sicherlich vielen Menschen vertraut: Man vertraut einem Menschen, der einen abrupt und unvermittelt enttäuscht. Das kann unter Umständen sehr verletzen, und dann muss man mit dieser Verletzung und der Situation umgehen. Männer, die ihre Verletzlichkeit offen zeigen, sind leider viel zu selten; viel Elend bliebe der Menschheit ansonsten erspart. Womöglich ist das Verhalten des Widerparts in dieser Geschichte ebenfalls einer verdeckten Verletzlichkeit geschuldet; destruktiv und damit zu verurteilen bleibt sie jedoch.
Den Ich-Erzähler im vorliegenden Text indes möchte man davor bewahren, mit der Veröffentlichung seine Verletzlichkeit derart publik zu machen, und ihm zu einer anderen Art der Aufarbeitung raten. Er wählt hier nämlich zunächst den Weg der Kommunikation, der Friedensstiftung, der Schlichtung, der Rechtfertigung, was grundsätzlich gute Ideen sind, und holt sich damit bei der von ihm als „Scheusal“ benannten Person doch immer wieder eine blutige Nase. Das „Scheusal“ diffamiert den Erzähler in der Öffentlichkeit, und sobald er etwas dagegenhalten will, triumphiert das „Scheusal“ doch nur wieder, mit Lügen, Verdrehungen, Großmannssucht. Was kann man da also tun? Der Erzähler rennt immer wieder dagegen an, will einseitige Betrachtungen des „Scheusals“ richtigstellen, will irgendwie einen Frieden finden. Doch das „Scheusal“ teilt diesen Willen offenkundig nicht. Die Lösung für den davon schier depressiv werdenden Erzähler ist, in seiner Phantasie das „Scheusal“ zu erwürgen und dann mit der Geschichte endgültig durch zu sein. Vermeintlich, denn ansonsten gäbe es dieses Buch ja nicht.
Denn die Geschichte trug sich tatsächlich genau so zu. Dieses „Scheusal“ lässt sich auch ohne Vorwissen mit etwas Google recht schnell identifizieren, was den Text und damit den Autoren angreifbar macht. Nach Frieden sieht es jedenfalls nicht aus, wenn man den Gegenpart in Buchform der Lüge, der Manipulation, der Vereinnahme bezichtigt, sich selbst aber als den Guten, das Opfer gar, darstellt und dann festlegt, der Dialog sei nach dieser Auslassung beendet. Dafür ist der Handlungsraum (Wolfsburg) viel zu klein, als dass es da nicht zu neueren Begegnungen kommen könnte. Das ist weder „Punk zum Lesen“, wie es das Titelbild sagt, sondern vielmehr eine persönliche Abrechnung, noch ist es für jeden Betrachter psychologisch geschickt.
Während der Lektüre fühlt man sich – selbst als fiktive Prosa betrachtet – an frühe Horrorfilmzuschauer erinnert, die dem Filmopfer im Kino immerfort zurufen: Geh da nicht lang! Man möchte ebenso ab dem zweiten, dritten im Text geschilderten Vorfall dem Autoren sagen: Lass doch! Ist doch gut jetzt. Was juckt es den Baum, wenn sich der Eber an ihm kratzt. Aufrappeln, Krone geraderücken, weitermachen. Mit diesem Schriftstück bekommt das „Scheusal“ nur wieder eine Bühne, die eigentlich der Autor haben möchte. Sicherlich sind viele Menschen dieser Form von Cyber- und sonstigem Mobbing ausgesetzt, sicherlich wissen viele nicht damit umzugehen. Ein herbeifantasierter Mord als Lösung indes sei nicht eben empfohlen, da braucht es bessere Werkzeuge, damit leben zu lernen, dass es solche Energievampire auf der Welt einfach gibt.
Interessant an der Geschichte ist indes der „Hirnfick“-Anteil: Dabei handelt es sich um eine figürlich angenommene Instanz des Autoren, die ihm Flöhe ins Ohr setzt; die klassischen Engelchen und Teufelchen in Personalunion, also sinnvolle wie unsinnige Aspekte hervorbringend, auf die der Erzähler reagiert, indem er ihnen mal nachgibt und sich ihnen mal entgegenstellt; das eröffnet aufschlussreiche Einblicke sein Inneres. Zudem strukturiert er den Text in unterschiedlichen Schrifttypen, je nach Quelle: den reinen Erzähltext normal, zitierte Emails kursiv, Songtexte fett und ausgewählte zusätzliche Passagen auf Karo-Papier.
Am Soundtrack ist nicht nur der Autor unter seinen weiteren Pseudonymen Dan Scary und Dan45 beteiligt, sondern auch diverse Bands, die er auf diese Weise unterstützt. Reinen Punkrock bekommt man hier nicht, und das ist auch gut so; einige der Künstler experimentieren ausgiebig mit Elektronik, ganz wie der Autor selbst, und reichern den Punk mit einer gehörigen Portion Dunkelheit an. Nicht hingegen handelt es sich bei Dan Yell um den Techno-DJ oder den Dave-Gahan-Impersonatoren gleichen Namens; das sind Zufälle, die sich auf dem Soundtrack aber sicherlich auch gut machen würden. Überdies hat Dan Yell schon die nächsten zwei Bücher in Arbeit, da kommt also noch mehr.