Von Matthias Bosenick (13.10.2020)
Wayne Hussey steht nackt im Wind: Anlässlich der übermenschlichen Leistungen, die Pflegekräfte, Gesundheitsdienste und sonstige caritative Einrichtungen im Zuge der Coronakrise zu erbringen haben, fühlt sich der The-Mission-Chef dazu angespornt, den gebeutelten Protagonisten monetäre Hilfe zukommen zu lassen, und generiert die Gelder aus dem Erlös einer Charity-Single. Dafür lässt er seinen alten Hit „Tower Of Strength“ von weltberühmten Kumpels aus der Szene neu einspielen, einsingen oder remixen, nennt das Projekt ReMission International und den Song nunmehr „TOS2020“. Das Ergebnis lässt sich hören, die Opulenz des Gothic-Rock-Hits bleibt erhalten, und doch kommen Ahnungen von „Do They Know It’s Christmas?“, „Ferry Cross The Mersey“, „Sun City“, Ferry Aid oder „We Are The World“ auf, wenn sich die Singenden die Mikroklinke in die Hand geben.
Man muss den Blick nach England richten, um zu verstehen, dass „Tower Of Strength“ durchaus eine gute Wahl für eine Charity-Single im Zuge von Covid-19 darstellt: Bereits 1988 und 1994 war der Song dort nämlich in den Top 40 vertreten, und laut Aussage von Hussey stellt er dieser Tage offenbar eine Art Durchhaltehymne für die Mitarbeiter des National Health Service dar. Also trommelte Hussey in Absprache mit den Ko-Komponisten des Originals kurzerhand haufenweise Kumpels, Bekannte und Verehrte zusammen, bat jeden um eine Tonspur mit einem Beitrag und mixte alles zu dieser Neuversion zusammen. Die kompletten Erlöse gehen paritätisch an Institutionen, die die Beitragenden nominierten, und damit das von den Erlösen aus dem Originalsong trennbar ist, vergab Hussey dafür den eher unkommerziell-kryptischen Titel „TOS 2020“. Gut mitgedacht!
Der an das liturgische „Book of Common Prayer“ angelehnte Song beginnt genau so, wie er es vor 32 Jahren bereits tat, damals übrigens produziert von John Paul Jones, Led Zeppelin: mit einem synthetischen Schlagzeug, das gemächlich vor sich hin trabt, und einer verstärkten Akustikgitarre. Zu den ersten Singenden gehört hier Gary Numan, den man an seiner in diesem Kontext beinahe quäkenden Stimme bestens erkennt. Ihm schließt sich der wilde Reigen an Singenden allmählich an. Und dann baut Hussey die Opulenz auf, die schon das Original so raumgreifend macht und die die zugrundeliegende Absicht, das Hymnische und den Pathos von U2 weiterzudenken, als gelungen belegt. Dabei fällt indes auf, dass die Snare bisweilen zu aufdringlich wirkt, und dass nicht jeder Gesangsbeitrag wirklich stimmig ist; an dieser Stelle treten die Erinnerungen an frühere Charity-Singles zutage. Immerhin, nicht jede Gesangsmelodie hält sich sklavisch ans Original, Raum für Interpretationen lässt Hussey also zu, und einige weibliche Stimmen lehnen sich gar an die Live-Versionen des Stückes, in die Hussey seit einigen Jahren Samples von Dead Can Dance einspielt. Und sobald die Textpassagen vorbei sind, mischt der Chefkoch alle zugemailten Instrumente und Gitarrensoli zusammen, und zwar auf eine Weise, die nicht erahnen lässt, dass das wirklich nur zu Hause in Brasilien im Studio entstanden ist und nicht beim gemeinsamen Jammen. Treffender Titel der Version: „Beholden To The Front Line Workers Of The World Mix“. Respekt!
In eine chillige Electro-Dance-Nummer verwandelt Andres „Tendymøller“ Trentemøller anschließend die Neuversion, und er nutzt die Vorlage, um daraus einen tanzbaren Popsong zu machen, der sich in der Mitte von minimalistischen Electrotrack zum Synthiepop steigert und der im Prinzip die musikalisch spannendste der neuen Versionen darstellt. Ein weiterer Remix gibt vor, von einer Person namens Albie Mischenzingerzen zu sein; man braucht nicht viel Phantasie, um darin die Wörter „I’ll be Mission singer“ auszumachen und zu ahnen, dass es sich dabei um Hussey selbst handelt. Sein Mix ist dabei beinahe verzichtbar, weil er das Stück eher gleichformt, und auch die abschließende Single-Version ist eher redundant, weil sie die knapp zehnminütige Neuversion – also beinahe zwei Minuten länger als das Original, was aber gar nicht auffällt, weil es so spannend ist – lediglich halbiert. Dem Download liegt als fünfter Track das Original bei.
Nun aber zu den Beitragenden, mit ausgewählten Zuordnungen, sofern nichts solo aktiv: Andy Rourke (The Smiths), Billy Duffy (The Cult), Budgie (The Creatures, Siouxsie And The Banshees), Evi Vine (alias Tatia Starkey, Tochter von Zak und Enkelin von Ringo Starr), Gary Numan (Tubeway Army), James „Alexander“ Graham (The Twilight Sad), Jay Aston (Gene Loves Jezebel), Julianne Regan (All About Eve, The Eden House), Kevin Haskins (Bauhaus, Love And Rockets, Tones On Tail), Kirk Brandon (Theatre Of Hate, Spear Of Destiny, Dead Men Walking), Lol Tolhurst (The Cure), Martin Gore (Depeche Mode), Michael Aston (Gene Loves Gezebel), Michael Ciravolo (Gene Loves Jezebel), Midge Ure (Ultravox – und Band Aid), Miles Hunt (The Wonder Stuff), Rachel Goswell (Slowdive, The Pumpkin Fairies, Mojave 3), Richard Fortus (LoveSpit Love, Guns ‘n Roses), Robin Finck (Nine Inch Nails, Guns ‘n Roses), Steve Clarke (The Soft Cavalry), Tim Palmer (Produzent), Anders Trentemøller und eben Wayne Hussey. Eine wilde Mischung von Indie-Helden also, über die man nur staunen kann. Ebenfalls beteiligt sind anscheinend die Mitkomponisten von „Tower Of Strength“, Craig Adams, Mick Brown und Simon Hinkler.
Und nun noch die Auswahl der Projekte, die mit dem Erlös aus dieser Single unterstützt werden: NHS Charities Together, St. Jude’s Children’s Hospital, Memphis, Music Venue Trust UK, Covenant House New Orleans , Disasters Emergency Committee, MusiCares , Plan International, Direct Relief, Alzheimer’s Scotland, Liberty Hill Foundation, The Shrewsbury Ark, Memorial Sloan Kettering Center, NYC, Prostate Cancer UK, The Teddy Bear Clinic For Abused Children, Red Rover, Help Musicians UK, Crew Nation, Venice Family Clinic, The Anthony Walker Foundation, City Of San Francisco Covid-19 Fund und Projeto Cáo Communitário. Auf der Bandseite themussionukband.com gibt Hussey Infos zu allen Projekten und zitiert Statements einiger Beteiligter. Und natürlich ist da die Single auch zu erwerben, physisch auf CD oder 12“ sowie als Download. Erfreulich, dass sich ein altgedienter Gruftrocker für diejenigen einsetzt, die ansonsten von Applaus leben müssen. Danke dafür, Wayne, und viel Erfolg – die Begünstigten können ihn gebrauchen!