Von Matthias Bosenick (01.10.2020)
Für den Künstler kathartisch, für den Hörer traumatisch: Was auch immer dem Schöninger Jonas Kolb in seinem noch recht kurzen Leben wiederfahren sein mag, es lastet ganz offenkundig schwerst auf seiner Seele. Als Ventil nutzt er sein privates Studio, in dem er sich je nach Stimmungslage unterschiedlich tönend austobt und die Ergebnisse unter diversen Projektnamen herausbringt. „TBSP/Ilse“ bündelt als Doppel-CD bisherige Online-Veröffentlichungen, Demos und Remixe der beiden Projekte The Berenice Soundproject und Ilse ausm Schützengraben – ersteres quasi Electro-Black-Metal, zweiteres quasi Lärm. Dem Künstler hilft’s, der Hörer braucht nach dem Genuss selbst Hilfe. Höchst krasses Zeug – und während man es noch hört, bringt Kolb 25 weitere Alben heraus, kaum weniger verstörend.
Man muss es Humor nennen: Mit The Berenice Soundproject thematisiert Kolb Gedanken, Ereignisse, Haltungen und Ansichten aus seinem direkten Umfeld wie aus dem globalen Betrachten, denen er mit Spott, Abscheu, Sarkasmus und Herablassung begegnet. Er überdreht dabei die Schraube bisweilen so weit, dass sie wieder in dieselbe Richtung zeigt wie zuvor, nur mindestens einmal fester angezogen – man muss wissen, sich darauf verlassen können, dass nicht alles, was man hört, auch das Denken des Dichters ist, ganz klassisch: Kunst und Künstler sind zu trennen, ansonsten sind Stereotypen wie „Echte Chinesen“ oder politische Fehlhaltungen wie „Frauen an den Ofen“ nicht duldbar. Man kann sich jedoch sicher sein, dass Kolb damit Rassisten und anderen Vertretern rechten Gedankenschlechts Spiegel vorhält, selbst aber ganz und gar nicht so denkt. Religion und Christentum sind weitere Ziele der Kolbschen Abgrenzung, außerdem offenbar die Dummheit seiner Mitmenschen, deren Verhalten er mit Entsetzen begegnet und dies in sie spiegelnden Parolen kleidet.
Und das waren nur die Texte. Musikalisch ist The Berenice Soundproject minimalitischer Quasi-Electro, arrangiert im Black-Metal-Stil mit passend keifendem Gesang. Synthetische Beats strukturieren die Tracks, als Begleitung gibt es nur spärlich eingesetzte Instrumente, bisweilen nicht einmal erkennbar, welche. Bratzgitarren wie im gewöhnlichen Black Metal oder gar progressive Epik wie im Post Black Metal wiederum findet man hier nicht.
Dafür schon eher bei Ilse ausm Schützengraben, hier jedoch ohne Rhythmen, komplett: Die acht Tracks sind der pure Lärm, Geräusch, Krach, Noise, Rauschen, dazu kaum verständlich geschriene Texte. Hier ist Musik als Genrebezeichnung die Definitionslage des Künstlers, im klassischen Sinne ist dies eher experimentelles Maschinenausprobieren. Atmosphärisch ist es dennoch, wenn man sich darauf einlassen mag; im besten Falle stellt man sich darunter die Tonspur für einen imaginären Horrorfilm vor. In der Stimmung will man gar nicht sein, dass man sich diese CD gern regelmäßig anhört, und die Stimmung, die man beim Hören bekommt, ist auch nicht sonderlich schön und täglich tragbar.
Enthalten sind unter anderem die EPs „Hackepeter & Satan“, „Viecher machen Pampe“ und „U.M.F.H.U.“ (steht für „Unleash Mommy From Her Urn“) und ganz viel Bonus, in Summe 46 Tracks. Wie auch immer, Kolb macht Kunst, seine Musik ist so sehr Kunst wie seine Literatur oder seine Fotos und Videos, die er unter den Aliassen Machyyre und Xchnum Miiimiiikry auf die Welt loslässt, alles davon kaum weniger verstörend als seine Sounds und Songs. Es tut gut, beim Konsum seiner Arbeiten zu wissen, dass es ihm psychisch und auch sonst gutgeht.
Kauf und Kontakt auf xchnummiiimiiikry.bandcamp.com