Von Matthias Bosenick (08.09.2020)
Nur schwer zu fassen ist das zweite Album von Tētēma, „Necroscape“. Mike Patton und Anthony Pateras bündeln darauf eine schier unüberblickbare Vielzahl an Stilen, dass sich schon deshalb kein stringentes Hörerlebnis einstellen kann. Die Stimmungen schwanken zwischen atmosphärischen Merkwürdigkeiten und brutalen Gewaltausbrüchen, jeder Track ist anders instrumentiert und arrangiert – „Necroscape“ ist eine Herausforderung für die Aufmerksamkeit, keine akustische Tapete. Zugänglich geht anders, aber anstrengend ist ja nicht zwangsläufig schlecht. Braucht nur eine Weile, aber dann haut es um.
Die musikalische Qualität eines Mike Patton ist unbestritten, auch wenn man nicht alle seine Songs oder Alben lieben kann. Seine Stimmvielfalt bringt er hier genau so zum Ausdruck wie in seinen unzähligen anderen Projekten und Bands, er croont, schreit, schmachtet, bölkt, trällert, und ist immer eindeutig erkennbar Mike Patton. Musikalisch sind er und seine Compagnons nicht weniger vielfältig, bedienen sich dafür sogar noch der unterschiedlichsten Mittel: handelsübliches Rockinstrumentarium, Chorarrangements, Kammermusik, Industrial-Electro, Latino-Schlager sowie sämtliche rhythmus- und melodielosen Experimente, die sich unter Avantgarde subsummieren lassen. Vom harmonisch-entspannten Eso-Ambient-Weltmusik-Intro sollte man sich daher nicht in die Irre führen lassen: Es kommt noch dicke. Und zwar bereits direkt danach.
Selbstverständlich kommen hier auch die Patton-Fans auf ihre Kosten, die ihn für seine im Metal verankerten Wutausbrüche lieben: etwas Tomahawk hier, reichlich Mr. Bungle dort. Auch den Ausflug in den italienischen Schlager à la „Mondo Carne“ verkneift er sich hier nicht, der Faith-No-More-Sänger, und als einziges Cover dieses Albums ist „Funerale di un contadino“ von Chico Buarque und dem kürzlich verstorbenen Ennio Morricone ans Ende des Albums gestellt. Dazwischen prügelt sich das Quartett durch sein Instrumentarium.
Man kann nur staunen, wo sich diese aufgeschlossenen und wild experimentierenden Avantgardemusiker so finden. Pateras ist Australier, und die für dieses zweite Album frisch rekrutierten Mitmusiker sind der in Australien lebende Finne Erkki Veltheim und der in Paris lebende Australier Will Guthrie. Ersterer bearbeitet Saiteninstrumente mit Bögen, letzterer das Schlagzeug. Da Pateras auch auf John Zorns Label Tzadik Alben veröffentlichte, liegt der Link nahe: Mit dem musizierte Patton ebenfalls in unterschiedlichen Konstellationen. Und die anderen beiden brachte Pateras einfach aus seinem Umfeld mit.
Schwere Kost also, aber geil. Zugänglicher als Maldoror ist es allemal, so zugänglich wie Pattons Album „Corpse Flower“ mit Jean-Claude Vannier wiederum längst nicht. Die 13 Tracks von „Necroscape“ gibt es als Download und als CD – und auf weißem Vinyl, aber das dürfte längst ausverkauft sein.