Von Matthias Bosenick (09.07.2020)
Die Wüstenblueser aus Mali gehen konsequent weiter und vertiefen die „westlichen“, mithin US-amerikanischen und europäischen, Einflüsse in ihrer Tuaregmusik. Der Hybrid bleibt als solcher erhalten, lediglich die Schwerpunkte verlagern sich, und so lebt auch „Tamotaït“ von der Mischung aus vertraut und fremd, zugänglich und sperrig. Innerhalb der Lieder sind Experimente gar nicht erforderlich – das ganze Konzept ist bereits ein Experiment. Und „Tamotaït“ klingt melancholischer als die früheren Alben, dem Schicksal der Band geschuldet vermutlich.
„Hoffnung auf eine bessere Zukunft“ lautet die Übersetzung des Titels „Tamotaït“, und als hätten Tamikrest es vorausgeahnt – das Album erschien im März, pünktlich zum beginnenden Lockdown – , ist diese bitter nötig: Als Folge der Corona-Krise fehlt es dem Musikerkollektiv an Einkommen, mit Crowdfunding und Sonderaktionen versuchte die Band, die Lücken zu stopfen. Aus politischen Gründen musste das Quintett die Heimat Mali verlassen und versuchte in der Folge, sich von Belgien aus mit Touren über Wasser zu halten, was derzeit eben nicht möglich ist. Das Album zu verkaufen, könnte ein weiterer Bonus für die Band sein.
Und er ist es natürlich wert. Auf ihrem fünften Werk „Tamotaït“ bleiben Tamikrest wiedererkennbar, sich selbst also treu, und entwickeln sich doch weiter. Ausgehend von einem Gitarrenworkshop in der Sahara, war die Urintention Tamikrests vor 15 Jahren, den Sahara-Blues mit dem Ishumar-Rock zu verknüpfen; dabei handelt es sich um „Desert Blues“, wie ihn junge Tuareg im Rahmen einer Widerstandsbewegung spielen. Also eine Vertiefung des Konzeptes, traditionelle Tuareg-Gesänge mit E-Gitarren-Blues zu transportieren, und das gelingt Tamikrest mit Hingabe.
Auf den vorherigen Alben überwog dabei noch die Lebensfreude, die sich auch in typischen Trillerrufen ausdrückte, ansteckend nicht nur auf der Bühne, die sie in die Songs streuten. Die Songs bestehen aus schachteligen Rhythmen, elegisch-hypnotischen Gitarrenloops und dem Europäer fremden, beinahe leiernd wirkenden Gesängen; das Trillern indes und damit die Lebensfreude fehlt auf „Tamotaït“. Aufgrund der politischen Situation, der sich die Band von Seiten ihrer Heimat ausgesetzt sieht, und der daraus erzwungenen Lage, das Leben nach Europa zu verlagern, resultiert vermutlich eine Melancholie, die sich auf die Kompositionen niederschlägt.
Diese Kompositionen sind dicht, erstaunlich dicht, mehr noch als auf den Alben davor. Was Wunder, scharte das Quintett eine große Schar an Zusatzmusikern und -sängern um sich; darunter Hindi Zahra aus Marokko, die ein Duett anstimmt. Die Bluesanteile, die die Musiker aus ihren E-Gitarren zaubern, sind fett und in vielen Songs mitreißend riffbetont, in anderen mantraartig eingesetzt. Zusätzlich verarbeitet die Band Erfahrungen aus dem Leben auf Tour, etwa von der Japanreise vor ein, zwei Jahren, und auch davon schlagen sich musikalische Anteile auf dem Album nieder.
Inhaltlich lässt sich ermitteln, dass die Unterdrückung der Tuareg in der Sahara ein wiederkehrendes Thema ist, dessen sich der Verbund der Musiker aus Mali, Niger, Algerien und Frankreich annehmen. Vergleiche mit anderen Bevölkerungsgruppen und die Öffnung der Thematik für weltweite Freiheitsideale sind Tamikrest gleichsam konkret und universell. Und mit ihrer Musik verbinden Tamikrest ohnehin die Kulturen, ausgehend von der der Kel Tamasheq, wie die Tuareg sich selbst nennen.