Von Matthias
Bosenick (22.04.2020)
Wie man Gewalt und Brutalität
ausübt, indem man beides weglässt: Myrkur war schon immer gut
darin, die Szene gegen sich aufzubringen, in der sie sich verortete.
Ihre Sorte Black Metal war bei den eingefleischten Fans von der
ersten EP an verhasst, und wenn sie sich dort nun dennoch mühsam
etabliert hat, bringt sie sie mit diesem Album einmal mehr gegen sich
auf. Denn es beinhaltet: Folk, ätherischen, mehrstimmigen,
historischen bis eigenkomponierten skandinavischen Folk, kein
brachiales Gebretter. So geht das.
Ihr Moniker Myrkur rief Amalie Bruun 2014 ins Leben, um sich nach
ihrer Popzeit solo sowie mit den Ex Cops und den Minks einmal im
Black Metal auszutoben, wie sie damals bekanntgab. Heute ist davon
nichts, aber auch gar nichts mehr übrig geblieben: keine Blastbeats,
kein Geschrei, nicht einmal eine verzerrte Gitarre. Sondern: luftige,
ätherische, harmonische Musik mit starkem Bezug auf die
skandinavische Folklore, mehrstimmiger Gesang und der Einsatz auch
historischer Instrumente. Zwar ist all dies in Myrkurs Musik nicht
wirklich neu, schließlich hielten Elemente davon bereits auf dem
Vorgängeralbum „Mareridt“ und anders spezialisiert auf der
reinen Chorplatte „Mausoleum“ Einzug in ihr Oeuvre, doch eine
ausschließlich mit Folkmusik befasste Platte ist eine Premiere für
die Dänin.
Und dann auch noch eine gelungene. Myrkur
umfängt den Hörer gleichsam kraftvoll wie watteweich und
harmonisch, und was auch immer sie einsetzt, es trägt zu diesem
Wohlgefühl bei. Jedes Instrument findet seinen Platz, keines
dominiert oder nervt gar, und gleichzeitig ist von Langeweile keine
Spur. Die zwölf „Folkesange“ fesseln im Nu und nachhaltig. Den
Löwenteil der Instrumente spielte Myrkur selbst ein, für
ausgewählte Ausnahmen erhielt sie Unterstützung; eingesetzt sind
unter anderem Nyckelharpa, Lyra, Violine, Klavier, Mandola und
Talharpa, also teilweise historisches Instrumentarium, passend zum
Thema. Auch auf „Mareridt“ spielte Myrkur schon die Nyckelharpa,
und die ist ihr offenbar ans Herz gewachsen.
Zu den
Unterstützenden gehören ein Zwei-Personen-Chor, der ebenfalls auf
„Mareridt“ schon sang, die Cellistin Joanna Quail, Stefan
Brisland Ferner von der schwedischen Band Garmana sowie Maria Franz
und Christopher Juul, die sich bereits in den Folkprojekten Euzen,
Heilung, Valravn und Songleikr in der musikalischen Thematik
austoben. Auch unter den Gästen ist also vom Black Metal keine Rede
mehr, wenngleich es Freundschaften in diese Richtung gibt; aber das
unterstreicht nur die Variabilität derjenigen, die ihre Geister
offen halten.
Für Myrkur ist dies das dritte Album und
die erste Veröffentlichung seit 2018. Die Unterbrechung erklärt
sich in ihrer Mutterschaft, mit der sie sich intensiv
auseinandersetzte, also nicht nur mit dem Kinde, das die
erforderliche Zuwendung wohl auch erfuhr, sondern inhaltlich, mit
ihrer Rolle als Mutter, als Frau, und der Weiblichkeit. All dies
befeuerte auch ihren Drang, ein Album wie „Folkesange“
aufzunehmen, das als Pflänzchen ja ohnehin schon in ihr schlummerte
und nun die wunderschönen Blüten treibt.
„Folkesange“
gibt’s als CD sowie als Vinyl in zahllosen Farbvarianten, mit
Downloadcode und keiner abweichenden Tracklist. Das Coverbild des
norwegischen Landschaftsmalers Hans Dahl greift den Sound übrigens
bemerkenswert treffen auf.