Ethernet Orchestra – Oceans Between Sound – Pueblo Nuevo 2020

Von Matthias Bosenick (05.04.2020)

Mehr als zwei Stunden Entspannungsmusik mit kakophonischen, aber schönen Strukturen generierte das personell offene und wortwörtlich weltweit verstreute Ethernet Orchestra um den australischen Trompeter Roger Mills auf seinem neuen Album „Oceans Between Sound“. Alles fließt, kein Lärm unterbricht den Strom der Improvisationen, auch absurde Geräusche fügen sich in die Stimmung ein. „Oceans Between Sound“ ist eine Traumreise mehrmals um die Welt.

Hier von Weltmusik zu sprechen, geht reichlich an der Sache vorbei, auch wenn es sie trifft. In den Reigen an klassisch europäischen Instrumenten wie Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier reiht sich eine Reihe für Europäer exotischer Musikalien wie Oud, Tar, Shakuhachi und Mongolische Pferdekopfgeige ein: Der Mix ist breit, die ganze Welt von Orient bis Okzident ist abgedeckt. Doch hat die dabei entstandene Musik nichts Folkloristisches: Vielmehr überwiegen Drone, Ambient, Experiment und Entspannung. Jedes Stück entführt in eine andere Stimmung, während die Grundausrichtung stets ruhig bleibt. Manches erinnert an Sqürl oder Neily Young, wenn die Gitarre mal bratzt, einmal pumpt ein unterschwelliger Afrobeat, exotisches Zirpen verleiht eine Urwaldatmosphäre, der Funk und der Jazz schlängeln sich durch die weit geöffneten Stiltüren, Anleihen aus Fernost und den Avantgardekellern New Yorks sind ebenfalls auszumachen. Ein Schlagzeug indes, das etwa wuchtig treibende Rhythmen vorgibt, tritt hier nicht zutage.

Es ist erstaunlich, dass bei diesen Improvisationen quer über Zeitzonen und Kontinente hinweg kein Lärm entstand. Jeder der Beteiligten hält sich zwar zurück, weiß sich aber eindrucksvoll auszudrücken. So entsteht Raum für Leere, ohne leer zu sein; es ist der titelgebende „Ozean zwischen den Tönen“, der hier das Entspannende ergibt. Und Ozeane lagen auch während der Aufnahmen zwischen den Musikern.

So geht das nämlich: Jeder sitzt bei sich zu Hause in seinem Studio und ist live per Internet mit den Kollegen verbunden. Gemeinsam kreiert man dann diese Stücke, bei denen jeder auf jeden achtet und sich analog zu dem, was die anderen generieren, in den sich ergebenden Track einbringt. Es ist dabei nicht so, dass jedes Mal alle an diesem Album beteiligten Musiker gleichzeitig online sind, vielmehr hat man bei jeden der 16 Tracks eine Auswahl an Künstlern, im Schnitt jeweils drei.

Involviert sind: Ensemble-Gründer Roger Mills alias Eartrumpet aus Sydney, der auch schon in Bristol zur Hochzeit des Trip Hop an entsprechenden Projekten mitwirkte sowie mit der Braunschweiger blackhole-factory improvisierte. Hier spielt er Trompete und designt Sounds. Die Gäste sind dieses Mal: Der britische Gitarrist Chris Vine veröffentlichte mit seiner Band Blurt auf Factory Records, seine Aufnahmen für dieses Album hingegen vollzog er in Brasilien. Versiert an Saxophon, Laptop und der Shakuhachi (Bambusflöte) und in diversen Bands aktiv ist der in Großbritannien beheimatete Hervé Perez. Das Klavier und die Synthies steuert Holger Deuter aus Deutschland bei, Kehlkopfgesang und Mongolische Pferdekopfgeige bringt Bukhchuluun Ganburged mit. Zudem sind die letzten Synthie-Aufnahmen von Richard Lainhart aus New York enthalten, der als Komponist und Musiker unter anderem mit Steve Reich und John Cage arbeitete. Zum Ensemble gehören außerdem Yavuz Uydu an der Oud, Aref Tolorei an der Tar (Langhalslaute), Achim Tang am Double Bass, Peyman Sayyadi an der Tanbour (Langhalslaute), Wesley Ribeiro am Schlagzeug, Shaun Premnath an den Tablas sowie Mir Shahabeddin Chilan mit Balaban (Holzblasinstrument), Doneli (Doppelflöte), Setar (Langhalslaute) und Ney Jofti (Flöte). Die Aufnahmen erstreckten sich über einen Zeitraum von sechs Jahren.

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