Von Matthias
Bosenick (03.03.2020)
Jetzt bringt Killing-Joke-Sänger
Jaz Coleman eben das gescheiterte Pledge-Projekt unter seinem eigenen
Namen heraus. Nicht wild, das Ergebnis zählt: In Sachen Komposition
ist der alte Knallkopp sowieso bestens bewandert, als Indierocker
ebenso wie in der Klassik, und auf diesem Doppel-Album kombiniert er
eben beides, indem er aus bereits existierenden Killing-Joke-Songs
fabelhafte Klassikpartituren zaubert. Den mystischen Überbau kann
man gepflegt ignorieren, die hohe Qualität dieser Musik nicht: Das
ist nicht einfach nachgedudelt, in dieser „Gnostische Messe für
Chor und Orchester“ steckt sowas von Musike drin.
Meistens erkennt man bei den ersten zwölf der 13 Tracks (der letzte
ist exklusiv) schon an den ersten Takten die Originale von Killing
Joke, und dann begreift man erst, wie hochkarätig diese schon
komponiert sind. Das ist einem häufig ohnehin klar, aber man
vergisst es bisweilen, während man etwa im Bunde mit Coleman
„Asterooooooid“ grölt. Das Grölen überlässt Coleman hier
ausgebildeten Sängern, einem beileibe nicht grölenden Chor mithin,
sofern er die Stücke nicht sowieso instrumental lässt. Und
instrumental umfasst hier zwischen minimalistischen Streichern und
der Asservatenkammer von Richard Wagner alles, nur besser sortiert
als bei letzterem. Die Philharmoniker aus St. Petersburg leisten
beste Arbeit.
Mit seiner „Großen Anrufung“ will
Coleman Magie ins Leben der Hörer bringen, und da geht der Zauber
schon los. Coleman erweist sich als Mystiker und Okkultist, lehnt
dabei jede Form von Satanismus ab und schwört wiederum auf Rituale
und Gelübde, und all dies findet sich auch in der Musik von Killing
Joke wieder. Einnehmend, entspannend, in Trance versetzend soll sie
sein, sagt er mal in einem Interview, und wenn man die Songs einmal
auf diese Attribute untersucht, stellt man fest, dass sie auch alle
zutreffen. Coleman kann eben Melodien und Harmonien, und wenn die
Musik, die dabei herauskommt, so schön und gleichzeitig so wuchtig
ist, steckt man das Spinnerte daran einfach bereitwillig weg. Denn
gleichzeitig deutet Coleman mit seinen Texten und seinen
Erläuterungen auf den ganzen wirren Scheiß, der die Welt vor die
Hunde gehen lässt, und setzt sich für Nachhaltigkeit und
Freiheitlichkeit ein. Ein Spinner mit Vision also.
Und nun
zaubert der Magier aus den heavy Indierocksongs also Klassik. Und das
auch noch überzeugend, besser und ergreifender noch, als seine
Umdeutungen von The Doors, Pink Floyd, Led Zeppelin, The Who und den
Rolling Stones waren, besser noch als seine Sinfonien „Fanfare For
The Millennium“ und „The Island“ sowie das Stück „Proměny“.
Der Meister arbeitet die wunderschönen Killing-Joke-Melodien klar
heraus und umspielt sie mit völlig neuen Passagen. Dabei verzichtet
er, obwohl er die Dunkelheit hier hell erstrahlen lässt, auf Kitsch
und gleitet weder in Richtung Filmmusik noch in die handelsübliche
Klassikumsetzung von Erfolgsmelodien. Das Ding ist eigen – und
groß.
Wer nun jedoch erwartet, die großen Hits in
Klassikgewand zu bekommen, wird enttäuscht: „Love Like Blood“
fehlt, Coleman bedient sich zumeist bei den jüngeren Tracks aus der
Zeit nach der Wiedervereinigung der Band in Originalbesetzung. Das
älteste Stück ist „Adorations“ von 1986, dies und „In
Cythera“ sind außerdem die einzigen hier vertretenen Singles. Mit
„The Raven King“ erweist Coleman einmal mehr dem verstorben Paul
Raven seine Ehre – der geistert nun seit 2007 beständig im Umfeld
der Band herum. „Magna Invocatio“ ist Hui Buh mit Anspruch.
Die
Stücke und die Originale:
01 Absolute Descent Of Light
(Magna Invocatio Choral Fanfare) (nach „Absolute Dissent“ vom
gleichnamigen Album, 2010)
02 The Raven King (von „Absolute
Dissent“, 2010)
03 Intravenous (von „Extremities, Dirt And
Various Repressed Emotions“, 1990)
04 You’ll Never Get To Me
(von „Killing Joke“, 2003)
05 Absent Friends (von
„Democracy“, 1996)
06 Invocation (von „Hosannas From The
Basements Of Hell“, 2006)
07 In Cythera (von „MMXII“,
2012)
08 Big Buzz (von „Pylon“, 2015)
09 Adorations
(von „Brighter Than A Thousand Suns“, 1986)
10 Into The
Unknown (von „Pylon“, 2015)
11 Euphoria (von „Pylon“,
2015)
12 Honour The Fire (von „Absolute Dissent“, 2010)
13
Magna Invocatio (Gloria) (neu)