Von Matthias
Bosenick (20.11.2019)
Ganz so schlimm wie von vielen
bemeckert ist „Die Tochter des Vercingetorix“, der vierte
Asterix-Band aus Nachfolgerfedern, nun doch nicht, ganz so toll wie
von den anderen bejubelt aber auch nicht. Man wundert sich ohnehin,
warum ausgerechnet diese Comicreihe europa- und weltweit einen so
hohen Stellenwert hat; das ist, als würde man Metallica heute noch
für jeden neuen Ton feiern, obwohl sie seit 30 Jahren keine guten
Platten mehr aufnehmen, nur weil sie mal den Thrash-Metal erfunden
haben. Asterix ist weitgehend durch, es gibt viel relevantere alte
und neue Comic-Reihen. Man darf Helden auch vom Thron stoßen, wenn
sie nix mehr bringen. Oder eine Hommage verfassen.
Ohne die Grundlagen, die Albert Uderzo und René Goscinny vor 60 Jahren legten, wären weite Teile des jüngsten Asterixbandes nicht möglich gewesen. Das neue Duo Didier Conrad und Jean-Yves Ferri bedient sich für Runninggags, Handlungsteile und Randfiguren bei den Klassikern und bewegt sich damit beinahe auf dem Feld der Fanfiction. Hier wird bedient, was man als sich als Erwartung bei den Lesern so vorstellt, und eigentlich erwarten die doch etwas anderes. Für die Form der reinen Lobhudelei liegt parallel eine neue Asterix-„Hommage“ vor, und die ist in vielen Details dichter am Zeitgeist als der 38. Band, der es so gern sein will.
Schon die Grundlage der Geschichte greift auf ein altes Uderzo-Goscinny-Abenteuer zurück: In Band 11, „Der Arvernerschild“, geht es bereits um die für die Gallier schmähliche Niederlage des Vercingetorix. Dieser hat im vorliegenden Band für alle überraschend weiblichen Nachwuchs, den dessen Verbündete nach London schmuggeln wollen, wo ihn die Römer nicht finden würden, und um für die Dauer einer Schiffssuche keine Risiken einzugehen, diesen Nachwuchs im Asterix-Dorf parken. Das Teenagermädchen macht, was man den Dörflern ankündigt: Es büxt aus und begegnet vertrauten und fremden Figuren aus dem Asterix-Universum, während die Titelfigut kaum mehr als eine Nebenrolle spielt. Am Ende gibt es für alle anderen Erkenntnisse.
Conrad und Ferri verlegen sich viel zu sehr auf das Bedienen der Erwartungen, sie weiden die Runninggags aus Dorf und Meer so sehr aus, dass für eine fintenreiche Geschichte kein Platz bleibt. Die Dörfler prügeln sich, man hält sich im Steinbruch auf, der phönizische Händler und die Piraten schippern vorbei, die Arverner nuscheln – vieles davon ist für die Handlung nicht relevant und als Gag bereits bekannt, ohne eine neue, auf diese Geschichte bezogene Ebene zu schaffen. Diese Handlung indes besteht auch nur aus Flucht und Verfolgung, birgt aber keine Haken und Überraschungen. Zudem richtet das Autorenduo seinen Blick auf die Jugend, die bei Asterix bis dato eher ausgeklammert war; aus gutem Grund: Jugend vergeht, Jugendtypisches ebenso. Was heute hip ist, ist dies zumeist nur in bestimmten Kreisen und nicht allgemeingültig, und es ist zudem schon morgen vergessen. Jugendthemen sind daher schwierig in ein Comic zu übernehmen, das man in 60 Jahren auch noch verstehen und gut finden soll.
Hier sind es Ghettofaust und Basecaphelme, die die Jugend ausmachen. Zudem das in der Tat allgemeingültige Problem der Abnabelung: Die Sprösslinge der Dörfler wollen nicht sein, was ihre Alten sind, also Fischhändler und Schmied, und Adrenaline, so der Name der Häuptlingstochter, will keine Heldin sein, die dann doch nur ein Symbol für einen neuen Krieg wäre. Dies und Kritik am „Wildschweinesystem“ sowie bereits in alten Asterixbänden thematisierter Umweltschutz sind immerhin Aspekte, die sowohl den Zeitgeist bedienen als auch eine Art übergeordneter gesellschaftlicher Reflexion transportieren. Dennoch, diese Jugendlichen sind das Bild von Autoren, die ungefähr so alt sind wie die Figur Asterix selbst; inwieweit „die Jugend“ sich darin wiedererkennt, wird diese kaum beantworten, weil sie vermutlich eher nicht Asterix liest.
Immerhin, recht unterhaltsam sind auch auf Deutsch die Wortspiele und Dialoge. Da gaben sich Autoren und Übersetzer überraschend viel Mühe. Mit ihnen und den kurzweiligen Geschehnissen bietet das Büchlein also wenigstens einiges Lesevergnügen. Doch sollte man den runden Geburtstag des Titelhelden ebenfalls mit der „Hommage“ begehen, in der die Zeichner ähnliche Themen aufgreifen, aber darin subversiver und dichter an der heutigen Realität erscheinen. Auch nach einer Vielzahl an Hommagen und Persiflagen lässt sich an der jüngsten noch Freude gewinnen, was nicht nur an den beteiligten Zeichnern liegt, darunter auch Flix und Mawil, die mit Spirou und Lucky Luke bereits jeweils Erfahrungen im frankobelgischen Comic haben und nun auch hier reüssieren. Auch diese gesammelten Ein- bis Zweiseiter sind oftmals sehr heutig und vermutlich für folgende Generationen nur schwer vermittelbar, aber eben doch dichter an der Thematik, die Didier und Ferri gern bedient hätten. Teenager mit Smartphones etwa.
Andere Zeichner reflektieren ihren eigenen Bezug zu Asterix, andere generieren Kurzgeschichten im Geiste von Goscinny und Uderzo, und zwar oftmals überzeugender als Ferri und Conrad, wieder andere transferieren das Dorf in ihr eigenes Universum. Auch hier gibt es natürlich Schattenseiten, die aber aufgrund des Konzeptes indes weniger ins Gewicht fallen als bei einem eigenständigen Band der Reihe. Nun bleibt zu hoffen, dass die neuen Autoren die Entwicklung der Erfinder nicht im Eiltempo nachholen und die Qualität nach dem formidablen „Der Papyrus des Cäsar“ schon nach nur zwei weiteren Geschichten ins Abgründige driften lassen. Als netter Schmöker ist „Die Tochter des Vercingetorix“ gut geeignet, zum klassischen Asterix fehlt es jedoch an Substanz.
Und doch darf die Frage gestellt werden, warum ausgerechnet Asterix so erfolgreich ist. Der beste Freund des Helden ist ein Trottel (analog zu Micky und Goofy, konträr zu etwa Spirou und Fantasio), die internationalen Begegnungen der beiden sind immer stereotyp und bedienen Vorurteile und Klischees, Frauen sind in ihren Rollen verhaftet, auch wenn sie daraus ausbrechen (Adrenaline ist da tatsächlich eine Ausnahme), und das vermeintliche Rebellentum äußert sich in völkischem Gedankengut, das man immerhin als zynische Reflexion solchen geistlosen Denkens auffassen kann („Du kennst mich doch, ich hab‘ nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier!“, Methusalix in „Das Geschenk Cäsars“). Spätestens mit Goscinnys Tod 1977 und der alleinigen Fortführung der Reihe durch Uderzo ab 1980 und Band 25 („Der große Graben“) verfiel die Qualität der Geschichten spätestens seit Ende der Achtziger erheblich, und das ist inzwischen länger her, als die Reihe existiert. Die Hälfte der Zeit ist Asterix also eher schlecht – und trotzdem der größte europäische Comichit ringsum. Dafür gäbe es doch noch ganz andere Kandidaten, aber die sind offenbar nicht mehrheitsfähig. Was denn?!!!