Von Matthias Bosenick (15.10.2019)
Seit acht Jahren gibt es nun die „Rivers Of London“-Serie von Ben Aaronovitch mit dem Londoner Zauberpolizisten Peter Grant als Hauptfigur. Auf Deutsch existieren davon sieben Romane und mit den neusten zwei Veröffentlichungen zudem zwei Kurzromane und drei Graphic Novels, auf Englisch liegen zusätzlich noch weitere drei Comics sowie diverse schriftliche und Hörbuch-Kurzgeschichten vor, der achte Roman der Hauptreihe und der siebte Comic sind für November vorgesehen und in der Schublade hat Aaronovitch noch diverse weitere unveröffentlichte Ideen. Und: Simon Pegg und Nick Frost wollen den Stoff verfilmen. Bei so viel Output bleibt Qualität bisweilen auf der Strecke, das gilt auch für die jüngsten in Deutschland erschienenen Geschichten: Liest sich „Der Oktobermann“ noch einigermaßen flott und flüssig weg, lässt einen „Schwarzschimmel“ doch eher kalt.
Obwohl „Schwarzschimmel (Black Mould)“ im Original bereits 2017 veröffentlicht wurde und „Der Oktobermann (The October Man)“ erst zwei Jahre später, haben beide Geschichte eine Parallele: Schimmel spielt eine wesentliche Rolle. Eine zweite Parallele liegt in der Konstruktion der Geschichte: In beiden Fällen geht es um die Manifestation einer historischen Ungerechtigkeit, die sich lebensbedrohlich bis mörderisch äußert. Im Falle der Graphic Novel haben es Peter Grant und seine ranghöhere Kollegin Sahra Guleed mit einem formwandlerischen Schwarzschimmel zu tun, der aus der Jazzszene kommt und somit einen Bogen in Grants Vergangenheit schlägt.
Nun sind Visualisierungen immer problematisch, weil sie der Fantasie des Lesers etwas Konkretes entgegensetzen, mit dem er sich arrangieren muss. Wenn dann diese Visualisierung auch noch so hölzern geschieht wie bei der „Flüsse von London“-Reihe, hat man arg mit den Geschichten zu kämpfen. Die man sich indes aber auch nicht sparen kann, will man das komplette Urban-Fantasy-Universum um Peter Grant erfassen: Es handelt sich mitnichten um Adaptionen der bisherigen Fälle, sondern um neue Geschichten, die sowohl aufeinander aufbauen als auch im großen Kontext verankert sind. Man kann „Schwarzschimmel“ also nicht solitär lesen, ohne sich über besessene Eiswagen und Nachthexen zu wundern.
Stattdessen aber darüber, dass Aaronovitch dieses Medium überhaupt wählt: An sich ist er dazu in der Lage, das hier Gezeichnete auch anschaulich zu formulieren. Bis auf den sich wandelnden Schwarzschimmel und die überflüssige Drogensequenz von Beverlys Helfer Maxim ist eine Visualisierung kaum erforderlich. Und wenn die dann noch so stocksteif geschieht wie hyperrealistische Superheldencomics, nur spießiger, dann braucht man das noch weniger. Einen Unterschied indes gibt es: Im Comic tritt mehr Pseudo-Erotik zutage, was nicht nur überflüssig ist, sondern den spießigen Zeichnungen gar nicht entsprechen mag. Und: Vor lauter großen Panels ist kaum Platz für Handlung oder Spannung, man hat das Bändchen schnell durch und legt es eher schulterzuckend beiseite. Dafür hat man aber 17 Euro investiert, also fünf Euro mehr als für die Originalausgabe, und die ist dieser Comic leider nicht wert, da hatten die beiden Vorläufer sogar etwas mehr Potential. Nun ist man aber Sammler und fühlt sich allein davon zum Trotzdemkauf verpflichtet, dass man die ganze Geschichte verstehen will. Aber das ist bei all den Nebensträngen, von denen viele nicht einmal in Deutschland erhältlich sind, ohnehin unmöglich.
Interessanter ist „Der Oktobermann“, für den sich Aaronovitsch seinem deutschen Verlag folgend an die Mosel begibt und mit Tobias Winter eine Art Alter Ego zu Peter Grant erfindet, der beim BKA in einer magischen Sondereinheit an einem lethalen Aufkommen von Weinpilz in der Nähe von Trier ermittelt. Dafür wandelt der Autor das vertraute Setting nur marginal ab: Auch hier gibt es Flussgeister und Kollegen, die sich der Magie und dem Magier zaghaft annähern. Aaronovitch hält die Geschichte angenehm kurz und vermeidet ausufernde Abschweifungen, was den Fortgang beschleunigt, aber auch an manchen Stellen verknappt: Nicht selten galoppiert die Story über die interessanten Aspekte hinweg und verliert dabei humorvolle Randdetails.
Dafür aber kniete sich Aaronovitsch mal so mächtig in Lokalkolorit hinein, dass man sich nicht vorstellen kann, dass dieses Buch zuerst auf Englisch erschienen sein soll. Der Engländer kennt sich offenkundig aus in Deutschland und erwähnt typisch deutsche Eigenheiten, die nicht im touristischen Sinne als allgemeingültige Kenntnis vorausgesetzt werden können. Er weiß, wie Inneneinrichtungen bei Beamten aussehen, wie das BKA in bestimmten Situationen vorgeht, wie der Wingert hinten links bei dem Vorort von Trier exakt aussieht. Das ist verblüffend, zumindest, bis man erfährt, dass sich der Autor via Twitter unter die Arme greifen ließ, und lenkt etwas davon ab, dass die Handlung selbst so dünn ist wie das Büchlein. Die Lektüre macht zwar Spaß, aber nicht umfassend satt. Es wirkt wie ein etwas liebloser Schnellschuss für den deutschen Markt, der traumwandlerisch das sichere Terrain abschreitet und bis auf die historische Rolle der Nazis in Bezug auf Zauberei kaum Wagnisse eingeht. „Der Oktobermann“ ist also ein leicht defizitärer leckerer Snack für zwischendurch und mit seinen Basiserläuterungen ein möglicher Einstieg für Neuleser der Reihe; Peter Grant existiert hier zumindest parallel, tritt aber nicht in Erscheinung.
Vielleicht sollte Aaronovitch mal kürzer treten und sich für seine Geschichten mehr Zeit nehmen. Aber wer weiß, welchen pekuniären Zwängen er da unterliegt – die Miete, die Pizza und das Bier wollen schließlich bezahlt werden. Darin sollte man auch als Leser mehr Geld investieren als in Aaronovitchs sämtliche Ergüsse.