Von Matthias Bosenick (06.02.2019)
Das ist Janusmucke: Der Blick von Pree Tone geht zeitgleich auf die eigenen Schuhe und ins All. Die Ukrainer machen auf ihrem neuen Album „Kiddy“ einen in den Neunzigern verwurzelten Indie-Noiserock, aber strukturiert genug für harmonische Ausflüge zwischen Effektpedalen und Unendlichkeit. Das ist eskapistischer Wall-Of-Sound-Lärm, der trotzdem rockt und groovt. Rund 30 Jahre nach Erfindung solcher Sounds ist es natürlich schwierig, noch etwas Neues zu kreieren, aber: Etwas Eigenes gelingt Pree Tone auf jeden Fall.
In den pedalverzerrten Sounds des Quartetts liegt überraschend viel Klarheit. Das ist ein schöner Spagat, gleichzeitig die Gitarren zu verfuzzen, die damit entstehende Musik aber doch transparent zu spielen. Mit ihren Melodien verlieren sich Pree Tone sehr gern im Universum, aber anders als in den psychedelischen Genres üblich behalten die vier ausreichend Bodenhaftung, um die angesetzten Grooves auch nach dem Abheben noch fortzuführen. Die Songs sind entsprechend lang und nehmen eine Schachtelstruktur an, weil Pree Tone innerhalb der Stücke verschiedenen Ideen nachgehen; man mag von Prog sprechen, auch von Postrock, sicher von Shoegaze, bisweilen von Psychedelic oder Space Rock. Die einzelnen Elemente mögen für sich nicht neu sein, doch die Melange ist es: Man hört, wie sich Pree Tone über Grenzen hinwegsetzen, und verfolgt begierig jeden ihrer Sprünge. Denn letztlich kommen bei aller Experimentierfreude doch schlüssige Songs heraus.
Lediglich die Stimme verschwindet etwas im Hintergrund, dabei transportiert die doch das Konzept (ja, „Kiddy“ ist ein Konzeptalbum): Pree Tone betrachten sechs Sachverhalte aus der Sicht von Kindergartenkindern. Das erklärt natürlich, wie es dazu kommt, dass auch die Musik so verspielt ist. Zumindest birgt das Konzept einiges an Spannung und schürt den Wunsch nach besserem Verstehen. Akustisch, nicht sprachlich: Die Ukrainer singen auf Englisch.
„Kiddy“ ist das ungefähr sechste Album der Band, viele vorher gab es lediglich als Tape (dieses auch, aber zusätzlich auf CD im Digipak). Ihre Existenz verdankt die Band den Geschehnissen auf der Krim, inzwischen ist aber offenbar nur noch ein Gründungsmitglied mit an Bord. Dieser Vlad spielt andernorts in der Grindcoreband Foible Instinct – das erklärt die Vielfältigkeit im Sound von Pree Tone. Das Album erscheint als CD auf dem fantastischen russischen Label (noname/addict), das Tape auf dem niederländischen Pendant Geertuida – so geht Europa.
[Edit 07.02.2019] Anton bat mich, das Video mit der Visualisierung des Albums zu ergänzen – das erfolgt mit Freude (Link):