Von Matthias Bosenick (20.11.2018)
Da springt dem Nick-Cave-Fan doch glatt ein bisschen zu sehr der Kommerz ins Gesicht: Als Rückblick auf die jüngst absolvierte Tour und als Quasi-Soundtrack zum Konzertfilm „Distant Sky“ lässt der kleine Nick vier in Kopenhagen mitgeschnittene Songs auf Vinyl pressen und verkauft diese EP zum Preis einer LP. Nichts gegen die Lieder, aber da wäre das komplette Konzert auf Vinyl drin gewesen, insbesondere, wenn man hört, wie stark die leicht umformierten Bad Seeds die Klassiker inzwischen verändern, und dann hätte der Preis auch besser gepasst. Aber gut, der geneigte Fan erwirbt und sammelt, und wenigstens für die Musik lohnt es sich.
In Personal und Sound machten die Bad Seeds in den vergangenen Jahren eine Wandlung durch: Das Spirituell-Gospelige vertiefte sich, die Härte und das Rauhe indes fuhr erheblich zurück, und auch in den Songstrukturen schlägt sich die repetetive Soundteppichknüpferei nieder, indem nämlich der klassische Strophe-Refrain-Aufbau zugunsten eines eher narrativen Flows abtrat. Die Rotzigkeit des Grindermans ist abgeklungen, mindestens seit dem Requiem „Skeleton Tree“ dominiert die Sphäre und damit die Atmosphäre, zuvorderst hervorgerufen von Caves Nichtnurgeiger Warren Ellis. Man könnte die Musik beinahe als weich bezeichnen, aber das wird der Intensität, die sie trotzdem ausstrahlt, nicht gerecht.
Diese Wandlung im Gewand schlug sich nun auch in der Tour nieder, und „Distant Sky“ fängt dies ein. Das Titelstück, an Position zwei der EP, stammt vom letzten Album „Skeleton Tree“, auf dem Cave den Tod eines seiner Söhne verarbeitet. Den Song bereichert wie auch schon auf dem Album die Dänische Sängerin Else Torp, auf die Cave schon länger ein Ohr geworfen hat; auf einer Compilation-CD des Mojo-Magazins berücksichtigte er sie schon vor fünf Jahren. Davor ist „Jubilee Street“ zu hören, das vom Vorgängeralbum „Push The Sky Away“ stammt, das wiederum die neue musikalische Richtung der Bad Seeds einläutete und sich dennoch in einen wahren Sturm aus Gitarre, Klavier und Chor steigert. Somit fügt sich auch dieser Song bestens in die EP ein.
Auf Seite zwei wird Cave historisch: „From Her To Eternity“ ist der Titeltrack des Debütalbums von 1984 und dauert hier kurzweilig satte neun Minuten. Es transportiert die rohe Ungeschliffenheit, die jugendliche Aggressivität, den Punk also quasi, in die Jetztzeit, in der der Komponist 34 Jahre älter ist und dies seiner neuen Interpretation auch anhören lässt. Wucht erzeugt er trotz spürbarer Aggression nicht mehr allein mit stumpfem Haudrauf, sondern vielmehr mit nachdrücklicher Vehemenz. Lärm lässt er dabei trotzdem zu, und damit verlängert er das Vergnügen an dieser Version. Das abschließende „The Mercy Seat“ aus dem Jahr 1988 wiederum ist interpretiert er zunächst mit Akustikgitarre und Klavier, also weniger dicht am Original, und lässt es in das vertraute Dräuende, dem Inhalt angemessene Hilflose, Ausgelieferte, Wütende münden, nur weniger aufgekratzt, sondern zielgerichteter und gleichzeitig mit einer Sorte Lärm versetzt, die erst der gealterte Cave nachzufühlen in der Lage ist.
Angesichts der Tatsache, dass es den Kinofilm mit dem kompletten Konzert sicherlich bald als DVD geben wird, ist die 12“ zum Preis einer LP eine kleine Frechheit. Zudem hagelt es Kritik an der schlechten Vinyl-Pressung; immerhin die mp3s des beigelegten Downloadcodes klingen knisterfrei. Na, und schön anzusehen ist das Cover in der Größe natürlich auch. Passt inhaltlich, wie sich der Höhlenmensch inmitten des Publikums vor rotem Grund das unschuldig-weiße Handtuch ins Gesicht drückt.