Von Matthias Bosenick (10.10.2012)
Das ist das wahrscheinlich ungewöhnlichste und besonderste Album des Jahres. Neneh Cherry, die mit ihren Hits in allen möglichen Musiksparten mit dem Suffix Hop bekannt ist, springt in eine Richtung weiter, mit der man auch mit dem Wissen um ihre Post-Punk-Vergangenheit nicht rechnet: Free Jazz. Die schwedische Indianerin verbrüdert sich mit dem schwedisch-norwegischen Free-Jazz-Trio The Thing und covert munter noch viel unerwartetere Songs. Das noch viel ungewöhnlichere daran ist, dass das Album fantastisch geworden ist.
Free Jazz ist gewöhnlich für die meisten nicht so einfach zugänglich, auch der Rezensent brauchte einige Jahre, bis aus Widerwillen Hingabe wurde. Auf „The Cherry Thing“ vereinfacht der simple Umstand den Zugang, dass der Gesang Strukturen vorgibt. Streckenweise klingt die Musik hier ganz normal nach Schlagzeug, Kontrabass, Saxophon und Stimme, am anderen Ende der Skala schwirrt der Free-Jazz-Motor ungehalten durchs Universum, und dazwischen legt sich die Stimme übers Gewirr – es gibt also von allem etwas. Wie es sich gehört, spielt das Quartett die Stücke nicht einfach nach; wie sollte das auch möglich sein im Spannungsfeld von Jazz, Trip Hop, Rap, Pre-Punk und Industrial-Punk. Die Ergebnisse sind erstaunlich heavy und dabei dem Trip Hop geschuldet stets warm und einfühlend. Und Neneh Cherry kann singen! So viel möchte man gar nicht geraucht haben, dass man solch eine Stimme bekommt, aber sie passt wie die Faust aufs Butterbrot zur Musik von Mats Gustafsson, Ingebrigt Håker Flaten und Paal Nilsse-Love. Und wenn die drei zwischendurch immer wieder mal durch den Orbit brechen, fühlt man sich als einigermaßen Jazzgetaufter beiweitem nicht abgeschreckt, sondern mitgenommen. Die vier finden immer wieder glücklich zueinander.
Einzig der Sound ist etwas seltsam, sehr dumpf. Die Bässe dringen stark nach vorn, was nicht schlimm ist, aber es fehlt an Mitten. Macht nichts, den Spaß am Hören verliert man dadurch nicht. Fraglich indes ist nur, ob man sich die LP so oft anhört, wenn auf der beigefügten CD ein Lied mehr („Dirt“) enthalten ist, eines der besten auf dem Album zudem.
Aber als Kinder 80er und Freund von Hits wie „Manchild“, „Buffalo Stance“ und „Kisses On The Wind“ freut man sich, dass die Rapperin mit einem solchen Werk in die Öffentlichkeit zurückkehrt. Vielleicht sollte man doch in ihr vorheriges Projekt CirKus oder ihre Früh-80er-Punkband Rip Rig + Panic mal etwas Zeit investieren.
Die Lieder:
01) Cashback (Neneh Cherry)
02) Dram Baby Dream (von Suicide, aus der Zeit um ihr zweites Album herum)
03) Too Tough To Die (von Martina Topley-Birds Debütalbum „Quixotic“)
04) Sudden Moment (The Thing)
05) Accordion (von Madvillain, also MF Doom und Madlib)
06) Golden Heart (von Nenehs Stiefvater Don Cherry)
07) Dirt (The Stooges, von „Funhouse“)
08) What Reason Could I Give (Ornette Coleman, erstmals dargeboten von Asha Puthli)
Wow! Ich wusste gar nicht, dass Neneh ein neues ALbum rausbringt. Verrückt! Das muss ich mir unbedingt kaufen. Danke für den Tip!
Gern geschehen 🙂
Und im November folgt eine Remix-LP dazu.