Von Matthias Bosenick (06.11.2016)
Wenn die kolportierte Geschichte stimmt, ist sie lustig: Placebo begehen ihr zwanzigjähriges Bestehen mit einer Best-Of-Doppel-CD und vergessen beim kompilieren, dass sie in ihrem eigenen Repertoire einen Song namens „Twenty Years“ haben. Um das glattzuziehen und den einzigen exklusiven Song auch anderswo unterzubringen, schieben sie halt die 12“ „Life’s What You Make It“ nach. Darauf gibt’s „Twenty Years“ in zwei unterschiedlichen Liveversionen und vier neue Songs, darunter das titelgebende Talk-Talk-Cover. Die EP belegt, dass sich Placebo zu Recht in der indierockigen Lücke zwischen Mainstream und Eigensinn gut eingenistet haben.
„Life’s What You Make It“ hat die Gesangsmelodie von Talk Talk komplett übernommen, auch die tirilierende Gitarre und der Backgroundchor blieben erhalten. Dennoch gibt es Abweichungen, die diese Coverversion nicht zum obsoleten Nachgespielten verkommen lassen: Der Beat ist – vermutlich dem Umstand geschuldet, dass Placebo in 20 Jahren diverse Schlagzeuger verschlissen haben – synthetisch, das musikalische Grundgerüst überraschend kantig, beinahe industriell. Gibt einen schönen Kontrast miteinander, der den Song nicht zum reinen Radiopop deklassiert.
„Jesus‘ Son“ ist der Bonus-Track der Best-Of „A Place For Us To Dream“. Aus dem danceorientierten Stampfer wird bald eine organische Hymne mit Streichern und Placebo-Pathos. Mitreißend also, angenehm zu hören und nicht weinerlich, melancholische Euphorie ausstrahlend, also relativ typisch und dabei auch noch gewohnt eingängig. Auf der EP ist der Song übrigens 16 Sekunden länger, denn die CD birgt lediglich den „Radio Edit“, den es bereits als 7“ gab. Soso!
Danach ist „Twenty Years“ in einer pianodominierten rockigen Liveversion zu hören, auf Seite Zwei gibt’s dann die akustische Variante mit nur Piano. Da sich die Stimmungen beider Versionen unterscheiden, fallen sie nicht als unangenehme Wiederholung auf. Gut gemacht.
Mit „Autoluminescent“ gibt es auf Seite Zwei das zweite Cover der EP, im Original von der Untergrundikone Rowland S. Howard, ehedem Mitglied der Bad-Seeds-Vorläufer The Birthday Party und Boys Next Door sowie unter anderem von Crime & The City Solution und These Immortal Souls. Mit ihrer Version dieser kargen Post-Wave-Ballade begeben sich Placebo zaghaft in den Bereich düster-schleppender Gruftelektronikrocker, und dieses Gewand steht ihnen ausgezeichnet. Könnten sie ruhig öfter tragen. Zuletzt steht als sechstes der einfallsreich betitelte „Song #6“ zu Gehör, der das Düstere und Elektronische ebenfalls zelebriert, bevor er dramatisch in den Rock zurückkippt.
20 Jahre Placebo also. Von Anfang an umgab das Trio eine gewisse Ambivalenz. Manche Songs waren dergestalt massenkompatibel und simpel strukturiert, dass man sich als Mensch mit komplexen Platten im Regal fremdschämend abwandte, andere waren so langweilig, dass man einnickte, und – gottlob mehr als – die Hälfte hingegen rissen emotional oder physisch mit. Dieser Spagat ist auch auf dieser EP wahrzunehmen, mit abnehmender Tendenz des Angepassten. Bisweilen übertrieb es Bandchef Brian Molko auch mit dem Gewimmer und Gejammer; es gab Lieder, in denen seine Stimme in einer Frequenz nölte, die nach Gehörschutz schrie. Seine ausgelebte Inbrunst geht oft mit diesem Phänomen einher; wer da sensibilisiert ist, wird sich bei manchen Passagen insbesondere der Liveversionen unangenehm getriggert fühlen. Abgesehen davon ist diese EP die bessere Best-Of – blöd nur, dass sie genauso viel kostet wie die Doppel-CD. Nicht mal ein Downloadcode liegt bei. Der Markt gibt das her, wie man so sagt.