Von Matthias Bosenick (17.10.2015)
Ein Vierteljahrhundert später stellt sich beim Neu-Hören die Frage, ob es sich bei dem Album um Kult oder Trash handelt. Schwer zu sagen, im Idealfalle wertet man es als einen experimentellen Mix aus beidem, und selbst ohne Wohlwollen als einen gelungenen. Das Duo The Perc Meets The Hidden Gentleman war 1990 noch auf dem Sprung zu sowohl größerer Breitenwirkung als auch versierterer Musikalität. Diese überlange Mini-LP (mehr als 48 Minuten) in Mini-Auflage (seinerzeit nur 2000 Stück) bietet einen Stilmix von Folk über Dance, Kammermusik, Hörspiel, Wave, Minimal-Synth bis hin zum Industrial-Stampfer. In dieses sperrige historische Dokument muss man sich im Jahre 2015 erst wieder hineinhören. Um dann festzustellen, dass es heute selbst als Neuveröffentlichung erhebliche Relevanz hätte – weil es mutiger ist als die zeitgenössischen Produkte. Das latent dilettantisch Schräge darin jedoch muss man entweder ausblenden oder respektieren. Auf jeden Fall stellt das Album einen umfangreichen Einblick in die deutsche Indielandschaft vor 25 Jahren dar.
Das Englisch zum Beispiel ist furchtbar, das fällt als erstes auf, da stehen The Perc Meets The Hidden Gentleman auf einer Stufe mit Klaus Meine und Alexander Veljanov. Besonders ohrenfällig wird dies in der „The Comics Suite“ genannten vierteiligen Porno-Erzählung, die von der bei Peter Maffay erprobten Entjungferung eines Minderjährigen durch eine heute sicherlich als MILF bezeichneten reiferen Frau erzählt. Inhaltlich ist dies pennälergeil und in der Umsetzung in den beiden Hörspielparts nur schwer zu ertragen. Der musikalische Hauptteil „A Funny Afternoon“ hingegen ist von einem Minimal-Synth-Beat unterlegt und erinnert angenehm an die frühen Achtziger, als solche Musik vornehmlich deshalb existierte, weil die Technik noch nicht mehr hergab. Mit über acht Minuten ist diese Suite das Kernstück der A-Seite, umrahmt von einer ebenso minimalistischen Streicher-Version des „Hits“ „Rock The Widow“, hier „The Widow On Strings“ genannt, sowie einer als Techno-Verarschung gemeinten und dennoch davon auch losgelöst gelungenen Proto-Dance-Nummer namens „Feed Your Heart To Beat“. Als Ein- und Ausklang der Seite dient „Bronx Vanilla“, laut Infoschreiben ein Slangausdruck für Knoblauch: eine Lagerfeuernummer mit E-Gitarre und Mitsing-Wohlfühl-Melodie; ebenfalls laut Info der Existenzgrund für diese LP.
Die B-Seite nimmt ein Live-Mitschnitt aus dem Forum Enger ein, einem leider nicht mehr existierenden Kult-Laden, in dem sich die Crème des la Crème der Indie-Szene seinerzeit die Klinke reichte. Mit „Hungry“ eröffnet die 1988er-Debüt-Single von The Perc Meets The Hidden Gentleman den Mitschnitt, eine beatlose Bass-Gitarre-Düsternummer. Es folgt „Respect & Devotion“, ohne Hinweis, um welchen der drei auf den beiden Vorgängeralben veröffentlichten Teile es sich dabei handelt (das Internet behauptet, es sei Part One): Ein schleppender Sisters-Beat mit Orgeluntermalung, dezentem Chorgesang und ausuferndem Gitarrengegniedel bietet sich den aufgeschlosseneren Wavehörern an. „Niteride“, im Original vom Debüt, zieht das Tempo leicht an und steigert dabei die Durchschlagskraft des Tracks. Die Synthieeffekte unterfüttern den Eindruck von ungezügelter Energie; erneut ein Stück in dieser Welt, das auch ohne Raserei gewaltig klingt. Fast dreizehn Minuten lang ist die zweite Version von „Rock The Widow“ auf diesem Album. Wie in „A Funny Afternoon“ dominiert hier ein repetetiver minimaler Synth-Beat, der an die früheren Labelkollegen Kastrierte Philosophen erinnert, begleitet von einer Orgel und dem für die Live-Seite typischen, aber ungemein passenden Gitarrenschrammeln und den energiegeladenen Gesangseinlagen, bei denen man das deutsch ausgesprochene „Rock se widdoh“ zugunsten des Genusses zähneknirschend ignorieren muss. Nach knapp fünf Minuten verlieren sich die Musiker in vom Beat strukturierten Lärm und bleiben dabei wie Freejazzer dennoch hörbar. Kurz vor Schluss finden sie wieder zum Song zurück und bringen ihn zum versöhnlichen Abschluss. Zuletzt gibt’s knapp zwei Minuten brachialen Dance-Industrial mit „I Want Ya Scalp“, im Original auf der Split-Single „Body Language“, 1989 mit The Pachinko Fake aufgenommen, die das Duo auch bei diesem Konzert live unterstützen.
Heterogenität ist auf diesem Album also das Maß der Dinge, man kann The Perc Meets The Hidden Gentleman hiermit in keine Schublade einsortieren. Der gelegentlich durchschimmernde Dilettantismus lässt einen zunächst an eine Schülerband denken, aber die Genialität vieler Stücke deutet in die Zukunft, die das Duo danach hatte: Das dritte offizielle Album „Lavender“ markierte im Folgejahr den Durchbruch, unter Zuhilfenahme diverser Kollegen des damaligen eigens für das Duo gegründeten Labels Strange Ways, darunter Alexander Veljanov von Deine Lakaien, sowie weiterer Musikerfreunde aus der bundesdeutschen Indie-Szene, etwa aus Phillip Boas Voodooclub.
Zu der Szene gehörten Tom Redecker und Emilio Winschetti schon vor ihrer Inkarnation als The Perc Meets The Hidden Gentleman; am bekanntesten ist vermutlich „The Hidden Gentleman“ Winschettis frühere Proto-NDW-Band Mythen in Tüten, aus der dann Mint bzw. auf Boas Label Constrictor The Mint Addicts wurden. Ein weiteres Projekt war BPWW, unter anderem mit Beate Bartel (Mania D, Liaisons Dangereuses, Einstürzende Neubauten) und Thomas Wydler (Nick Cave And The Bad Seeds, Die Haut). „The Perc“ Redecker arbeitete wie schon auf dem finalen Album „Ages“ des Duos mit Grobschnitt-Multiinstrumentalisten Volker Kahrs als Taras Bulba, mit ihm formierte er anschließend auch die Neo-Krautrock-Supergroup The Electric Family. Heute ist er noch solo als The Perc unterwegs – und gründete 2000 das Label Sireena, auf dem jetzt die Wiederveröffentlichung dieses längst vergriffenen Schatzes erfolgt. Ein Kreis. Ein geschichtsträchtiger.