Von Matthias Bosenick (12.10.2015)
Die einzige Möglichkeit, in diesen Tagen noch etwas Neues zu generieren, besteht darin, Altes neu zu verknüpfen. An diese Weisheit halten sich The Grand Astoria aus St. Petersburg, deren jüngstes Zwei-Track-Album dank des italienischen Psychedelic-Labels Vincebus Eruptum jetzt auch auf Vinyl erscheint, lustigerweise mit drei Tracks, aber dazu später mehr. Und wenn heutzutage Sachen vermengt werden, kommt meistens etwas dabei heraus, das sich grob als progressiv einsortieren lässt. Psychedelik und Progressivität wachsen eben auf derselben Seite des Stammbaums. Hier findet sich also grob gesagt aus Loops zusammengefügte schleppende Rockmusik, versetzt mit Irish Folk, Sludge, Classic Rock, Stoner, Jazz und vielem mehr. Der Band gelingt nun das kleine Kunststück, diese Elemente nicht wie Bauklötze nebeneinander aufzureihen, sondern sie schlüssig flüssig zu ineinanderfließen zu lassen.
Das Grundgerüst auch auf dem sechsten Album der Band ist und bleibt die Rockmusik. Aus einem langsam riffenden Stück wird munterer Artrock mit Fusion-Einschlag, das dezent tupfende auf vintage programmierte Keyboard über den sich wiederholenden Passagen erzeugt Ölscheibenprojektionen vor dem inneren Auge. Interessant ist, dass die Gesangsstimme in den eher an Led Zeppelin erinnernden ersten Passagen so hoch rufend erklingt, dass sie zunächst verstört und erst beim wiederholten Hören vom längst konditionierten Ohr herbeigesehnt wird, und später dann an zeitgenössische Neoprogger angelehnt nachdenklich-intellektuell-mild mit einer Frauenstimme zu wetteifern. Im Anschluss wird die Musik galoppierend wie in der NWoBHM und wild psychedelisch spacig, dann in eine Art russischen Choralgesang übergehend und fürderhin mit kapriolenschlagendem Bass zum Ausgangsmaterial zurückkehrend. Nach ein paar weiteren Flötentönen ist dann eine gute halbe Stunde um.
Track zwei startet deutlich agiler, fast verspielt, dabei Schellenkränze bedienend. Aus einem Grungerock wird Funk mit Jazztrompete. Eine verfremdete Steve-Wilson-Stimme führt in eine musikalisch reduziertere Siebziger-Ecke mit mehrstimmigem Gesang. Langsam steigert sich die Opulenz, untermalt von einem Marschrhythmus, der allmählich in einen Dronerock übergeht, wie ihn Spacemen 3 oder Spiritualized vorgemacht haben, also inklusive dissonanter Trompeten. Das Ganze versinkt in einer Pause, aus der es eine filigrane Marillion-Gitarre mit Klarinette wiedererweckt. Die zunächst entspannende Musik bekommt nun eine Schieflage, vom quäkenden Saxophon zurück in den Rock geholt. Von jubilierenden Stimmen begleitet, schwappt der Track in den bläsergestützten Heavyrock zurück.
Kurz vor Schluss wird die Musik erstmals beinahe poppig. Bis dahin verzichtet die Band nämlich auf den guten Groove und verlegt sich auf den Effekt der Wiederholung. Das aber so subtil, dass selten über längere Zeit ganze Passagen rotieren, sondern lediglich deren Elemente, der Basslauf etwa, der Rhythmus, ein Melodiesegment. Andere Arrangements greifen manche Elemente auf und transformieren sie. Der Band fehlt vielleicht das Geschmeidige, vielleicht auch in den Einzelkomponenten der Wiedererkennungswert, aber in seiner Gesamtheit ist das Album wohl einzigartig. Man bekommt eine Menge Zeug verteilt auf zwei Tracks.
Na ja, in Wahrheit sind es drei, zumindest in der Vinylversion: Der erste Track „Curse Of The Ninth“ ist nämlich viel zu lang für eine LP-Seite und setzt sich daher auf Seite 2 fort, teilt sie sich also mit „The Siege“. Der LP liegt ein Poster bei, ein Downloadcode oder eine CD indes nicht. Macht nix. Inzwischen hat die Band übrigens auf ihrer Bandcamp-Seite zwei neuere Veröffentlichungen aufgeführt. Produktiv sind sie!