Von Matthias Bosenick (28.05.2012)
Ach ja, Die Ärzte. 50-Jährige mit Teenagern als Zielgruppe. Aufklärerisch behandeln sie lauter persönliche Entwicklungsschritte, die in die Generation ihrer Kinder gehören und nicht in ihre eigene. Im Gegenteil, ein Stück wie „Junge“ vom Vorgängeralbum „Jazz ist anders“ richtet sich im Grunde gegen sie selbst und macht sie damit unglaubwürdig. Noch schlimmer war nur „Lasse redn“ mit der Kindermelodie, die jeder Besoffene mitträllern kann. Was mit „Ein Schwein namens Männer“ 1998 ein Zufallstreffer war, begannen Die Ärzte nun immer wieder mal künstlich zu erzeugen: Ballermann- und Bravo-Hits („Manchmal haben Frauen“). „M + F“ vom neuen Album ist auch so einer, das Geschlechter-Thema sattsam gehasst dank Mario Barth, die Melodie ebenso sattsam bekannt aus dem Kindergarten. Auch musikalisch richtet sich das Oeuvre der Ärzte seit „Jazz ist anders“ zuvorderst an Jugendliche, indem das Trio in jeder aktuellen Strömung aalglatt mitschwimmt. Dabei können sie alles auch anders, sowohl den Humor als auch die Musik, wie die Economy-Edition von „Jazz ist anders“ bewies.
Nach dem erwachsenen und altersgemäßen „½ Lovesong“ nahm man den fast 35-jährigen Ärzten 1998 auch eine Haltung wie in „Rebell“ noch ab. Doch heute haben Die Ärzte wieder Probleme, Frauen kennenzulernen, wie man sie als Teenager hatte. Einer Verflossenen ein unreflektiertes „Miststück“ hinterher zu werfen, zeugt auch nicht gerade von Reife. Die Zwischenstufe, das wilde Gepoppe, interessiert ebenso wenig. So viel zu Bela. Farin bringt seine Erfahrungen mit dem Racing Team ein: „TCR“ ist das „Zehn“ der Ärzte mit Ausflügen in alle möglichen Musikrichtungen von Country bis Dub. Interessant sind noch Farins selbstkritisches „Ist das noch Punkrock?“ und sein „Cpt. Metal“. Die Texte von Rod sind bisweilen recht rätselhaft, wenn man sie ohne Erklärung hört. Doch seit der Chilene bei den Ärzten ist, gibt es bei ihnen zusehends öfter Hinweise in Richtung Teufelsspuk und Antichristentum, von Cover und Titel des ersten gemeinsamen Albums „Die Bestie in Menschengestalt“ 1993 über die Katalognummer 666 für die von Rod geschriebene Single „Rod Loves You“ 1995 über Gürtelschnallen mit „666“-Aufschrift und diverse andere halbwegs offene Symbole bis hin zu dem Hinweis, „auch“ sei für Spieler von „6-66“ geeignet. Sprüche wie „Es gibt nur einen Gott: Belafarinrod“ kann man als Scherz auffassen, aber wenn man annimmt, dass dem Spruch eine Überzeugung zugrunde liegt, die spätestens mit Wirrköpfen wie Aleister Crowley als Satanismus bezeichnet werden, liest man auch Rods Texte zu „Sohn der Leere“ und „Das finde ich gut“ ganz anders und entdeckt darin Nihilismus und den „Lichtbringer“. Man kann argumentieren, die Hinweise seien alle nicht ernst zu nehmen und doch nur lustig gemeint, doch bleibt die Frage, wo bei den Ärzten dann Spaß und Ernst ihre Trennlinie haben. Farin etwa bleibt in „Waldspaziergang mit Folgen“, in dem er sich einen selbstgeschnitzten Gott ins Regal stellt, vergleichsweise putzig.
Putzig ist leider auch das höchste Maß an Humor auf „auch“. Vielleicht haben sie sich verausgabt, vielleicht ist man einfach satt, aber echte Witz-Überraschungen finden sich auf dem Album nicht. Am kreativsten ist wie gehabt Farin. Gelegentlich spielen die drei ironische Kommentare in die laufenden Strophen ein, so wie früher, doch waren früher nicht nur die Kommentare, sondern schon die Strophen selbst witzig. Solches ist heute zudem technisch so simpel machbar, dass jedes Gimmick im kantenlosen Sound der Band verschwindet. Politisches oder wahrhaft Gesellschaftskritisches ist auf „auch“ indes gar nicht enthalten. Blendet man nun die Texte aus und konzentriert sich auf die Musik, wird man auch nicht eben belohnt: Disco-Sound, zeitgemäßer Indierock und Pop, ein geklauter Clawfinger-Effekt. Abgesehen von Farins okayen Gitarrenbrettern ist Rod wie gewohnt der interessantere Komponist, der auch mal Genrefremdes wagt, ohne es in einen ironischen Kontext zu stellen. Wenn er indes nicht voll versagt: „Tamagotchi“ etwa ist ein absolutes Armutszeugnis, sowohl textlich und inhaltlich als auch musikalisch – chartstauglichkeit galore.
Was also bleibt übrig? Im Grunde wie bei „Jazz ist anders“ (und eigentlich auch bei „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer“) die besondere Verpackung. War es bei „Jazz“ noch der Pizzakarton, ist es bei „auch“ ein Gesellschaftsspiel. Die CD ist wie beim „Spiel des Lebens“ der Würfel (und auch in der Vinylversion enthalten, als „Downloadcodeersatz“), drei Kronkorken sind die Spielsteine. Das ist dann sogar lustiger als das Spiel selbst. So stellt man sich die Doppel-LP neben den Pizzakarton ins Regal, freut sich über die Geldanlage und hört „Le Frisur“. Oder eben die Economy-Edition von „Jazz ist anders“. Oder Miles Davis.