Von Matthias Bosenick (04.01.2024)
Yeah, in die Fresse! Nur wenig mehr als eine halbe Stunde lang ist „Et In Cacophonia Ego“, das Debütalbum des belgischen Lärmtrios mit dem unaussprechlichen Namen 6Exhance, aber es springt einem vom ersten Moment an ins Gesicht. Drei Leute, vier Instrumente: Gitarre, Bass, Saxophon und Schlagzeug, dazu alternierend Gegrunze und Gekeife, irrsinniges Tempo, riffige Brutalität, Getröte und Gemoste. Man hört heraus, dass sich die drei Brüsseler bereits mit ähnlich gelagerten Bands wie Zu, Zeni Geva, Caspar Brötzmann Massaker und Melt-Banana herumschlugen. Für ihr Debüt komprimieren sie ihre Erfahrungen und Einflüsse zu einem eigenständigen Brachialbrocken, der so heftig ist, dass man sich über die eher kurze Spielzeit freut – man muss ja auch mal wieder zu Atem kommen. Und es dann gleich nochmal anmachen.
Teile dieser Musik kann man durchaus im Metal verorten, irgendwo im Black Metal, Thrash Metal, Death Metal oder so. Das Trio produziert schwere Riffs, auf denen Gitarre, Bass und Schlagzeug auf eine für diese Genres vertraute Art zuwege gehen, also brutal, dreckig, kopfnick- bis mattenschüttelbar, dazu mit einem als Gesang zu bezeichnenden Stimmeinsatz zwischen Keifen und Grunzen. Dabei stolpert das Trio gern die Treppe herunter und verschachtelt sich im mathematischen Mosten. Als wäre das nicht schon grenzwertig genug, integrieren sie ein Saxophon in die pandämonische Kakophonie, das selten melodisch, bisweilen punktuell rhythmisch und meistens wie ein aufgescheuchter Insektenschwarm herumirrt. Teile dieser Musik kann man also andererseits durchaus im Jazz verorten.
Auf diese Weise bringen 6Exhance in jedem einzelnen Track mehr Ideen unter, als auf eine ganze Platte passen. Der Opener „Nourrir“, vorab als Single veröffentlicht, ist ein Mathcore-Black-Metal-Free-Jazz mit unvorhersehbaren Sprüngen und Brüchen, bei denen es schwerfällt, überhaupt durchgehend einen Takt zu finden, zu dem man den Fuß mitwippen lassen kann. Das kommt zwar immer wieder vor, die Matte braucht ja Luft, doch durchbrechen 6Exhance diese Geradlinigkeit fortwährend – und damit die Nacken der Hörenden. So setzt sich das in allen sieben Tracks dieses Debüts fort, besser: in fast allen, denn der vorletzte, „Minauder“, ist die selbstverordnete Ruhepause vor dem finalen Sturm, in dem die drei einen beatlosen noisigen Ambient-Lärmteppich ausrollen.
Auch ohne dass man die Referenzpunkte von 6Exhance kennt, kommt einem „Et In Cacophonia Ego“ japanisch vor. Saxophon im Gitarrenlärm kennt man aber auch aus Europa, den USA und anderen Weltengegenden, ein Mike Patton etwa arbeitete nicht nur selbst als Fantômas, sondern als Gast von Zu aus Italien mit solchen Mitteln, und Monno aus Lausanne verzichteten für ihre Saxophon-Lärmwalze gleich ganz auf Gitarren.
6Exhance besteht aus dem auch als Künstler aktiven Gitarristen und Bassisten Michel Pitton alias David Jean’s „DJ’s“ Nokerman, Saxophonisten und Sänger Peter Verdonck sowie Schlagzeuger Kjell De Raes. Deren weitere Wirkungsstätten kennt man eher nicht so, wie Raxinasky (mit Nokerman), Wound Collector, Butchered, de Cobre, Flat Earth Society, Fundament, sheBang, Thelema Trio und Wretched Vixen (alle mit Verdonck) sowie Royal Jake, Cygnus Atratus und Powerstroke (alle mit De Raes) – ein wilder Ritt durch Jazz, Mathcore und Metal, also ganz wie 6Exhance.