Von Matthias Bosenick (25.03.2016)
Krasse Idee: 20 Electro-Ambient-Musiker covern Black Metal! „Blood & Vomit“ im Synthie-Chill-Out-Mix! Ach nee, Moment: Nattefrost gibt es zweimal, einmal als Black-Metal-Combo aus Norwegen und einmal als Vintage-Electro-Projekt aus Dänemark. Sie eint maximal, dass sie jeweils solo unterwegs sind und aus Skandinavien kommen, ansonsten sollte man die Nachtfroste vorsichtshalber nicht verwechseln. Schade, die Idee ist lustig, sich beim Anhören der Trancetracks von „20 Years Of Nattefrost“ vorzustellen, sie wären im Original todesfeierndes Schwarzmetallgekeife gewesen. Doch da der Rezensent den Dänen Nattefrost und dessen Oeuvre nicht kennt, stellt er zunächst immerhin fest, dass die Tributanten, die ebenfalls nicht eben Weltruhm erlangten, eine homogene Arbeit auf Doppel-CD ablieferten. Man kann die zwei Stunden druchhören und erfasst ein einheitliches Soundbild, das sehr zum Entspannen einlädt und in sich doch ausreichend Abwechslung parat hält.
Zur Unterscheidung: Die vorliegende Nattefrost-Inkarnation besteht ausBjørn Jeppesen, nicht aus Roger Rasmussen. Jeppesen ist laut Sampler-Titel seit 20 Jahren unter diesem Alias unterwegs, veröffentlichte seine erste EP 1997 und sein erstes Album erst satte sieben Jahre später. Wer seine Arbeiten erwerben möchte, erhält sie zumeist im DIY-CDr-Format. So macht man das halt als Zuhausekünstler. Auf diese Weise produzierte Jeppesen zehn Alben, zwei Raritäten-Compilations und zwei EPs. Startete er noch auf Dänisch, schwenkte er in der Titelgebung schnell ins Englische, was indes bei nahezu ausschließlicher Instrumentalmusik kaum Unterschiede macht, außer in der internationalen Positionierung.
Deutlich hörbar findet Jeppesen seine Einflüsse indes in der vordigitalen Zeit: bei Jean-Michel Jarre etwa, oder nach eigenen Angaben auch bei Tangerine Dream und Klaus Schulze. Hörbar ist dies sogar in den nachgespielten Varianten seiner Songs. Das Infoblatt verrät, dass Jeppesen auf alte Synthesizer steht und diese für seine Kreationen einsetzt. Wie nun die – wie gesagt noch viel unbekannteren – Tributanten an die Erstellung ihrer Cover gegangen sind, bleiben uns die Infos schuldig, ebenso deren Biografien. Immerhin steht im Booklet, dass Jeppesen dank einer eigenen Sendung im Dänischen Radio ein prall gefülltes Adressbuch hat, so kamen die Bearbeitungen dann wohl zustande.
Interessant ist, dass diese Bearbeitungen in Summe sehr homogen erscheinen. Halt irgendwie ambient, pluckernd, zumeist mit Beats, darüber vor sich hin mäandernde Melodielinien. Die Sounds sind selten harsch, meistens klingt das Ergebnis schön. Spätestens beim dritten Durchgang offenbaren sich gottlob die unterschiedlichen Identitäten und erwecken den Wunsch, herauszufinden, inwieweit sie sich vom Original absetzen. Das findet man in ausgewählten Fällen recht einfach mit Spotify heraus, und wieder Obacht: Spotify kann nicht in unterschiedliche Künstler mit gleichem Namen unterscheiden. Jeppesen trägt zwar kein Corpsepaint, seine Musik versteckt sich dennoch unter diesem Avatar.
Gleich der Eröffnungstrack, „Transformation“ in der Bearbeitung von Dithmar, ist bereits 2009 auf „Tracks From The Archives“ veröffentlicht. In einem in einem entschleunigten Goa-Track lässt Dithmar die Beine zucken, hier kommen Beat und Vocal-Samples zum Einsatz. Das Ergebnis ist definitiv synthetischer als ein mit einem Synthesizer erstelltes. „Futurized“ von Deutsche Bank erinnert an die Zeitgenossen, die mit modernen Mitteln alten EBM nachspielen wollen, also noch langsamer, trotzdem tanzbar und musikalisch minimalistisch, beinahe Synthiepop – ganz anders als die Quelle, die fast beatlos einen Zehn-Minuten-Synthieteppich webt. „Where The Gods Are Watching“ von Sector One könnte auch bei Christian Bruhns Soundtrack von Captain Future zu hören gewesen sein. Das Original ist nicht halb so schnell und ganz klar weitaus oldschooliger, mit beinahe typischen Synthieeffekten der Achtziger. Mit „Vejen til Asgård“ gräbt Circles Of Air wohl das zweitälteste Stück von Nattefrost auf dieser Sammlung aus; hier klingt es, als würden Delerium beim Betreten einer Kathedrale im Weltall verschwinden (und als wäre Circles Of Air nur ein Pseudonym von Carsten Ji, der das Stück ähnlich klingend bereits auf „Tracks From The Archives“ unterbrachte). „Descending From The Stars“ von The Heather Grove spielt angenehm mit Minimal-Electro-Sounds und lehnt diese an Kraftwerk und Jarre an. Bis auf die Akkordfolge ist da vom Original nichts mehr übrig, spannende Bearbeitung. Schade, dass es das Original zu „Beware Of The Destiny“ von Hertzinfarkt nicht bei Spotify gibt: Hier klingt es wie ein temporeicher und gutgelaunter Mix aus Welle:Erdball, Praga Khan und zeitgenössischen Dunkeldisco-Synthiepoppern.
Der Übergang von Seite eins zu Seite zwei (haha!) ist flächiger. Vier Tracks ergeben zusammen fast vierzig Minuten rhythmisch-tranciger Musik, Synth.nl lässt in seinem „Music For The Man“ erst zwei Minuten vor Schluss den Drumcomputer los. Kommt gut, der. Dan Lacksman macht aus dem beinahe dunkel-dreckigen „Poliment“, das Jeppesen im Original mit Michel Moers aufnahm, ein etwas beschleunigteres Synthiepopstück mit latentem Industrialeinschlag. Sonnenbrandt zieht mit „There Is A Light“ das Tempo an und trägt das Stück in die Großraumdisco, allerdings in eine, die irgendwo Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger hängen geblieben ist. Das ist fast lustig, mit dem Tiefe-Männerstimme-trifft-naive-Frauenstimme-Effekt; Aqua sind auch Dänen, ja, und Amanda Lear lässt freundlich grüßen. Signey Lime überrascht gegen Ende seines trippigen „Ghost Mind“ mit einer gefuzzten E-Gitarre. Das Original ist ein Four-to-the-Floor-Stampfer ganz ohne Saiteninstrumente, trotz des Features von Dorvo. Nomatisan entführt das im Original spacige „Divine Light“ mit Beatzusatz und cheesigem Keyboard in Richtung „Oxygene“. „Mit hedenske blod“ von Tor Brandt, das wohl älteste Ausgangsstück hier, ist der Besuch des Spaghettiwesterns in der Gruftidisco. Vom Original unterscheidet es sich so gut wie gar nicht. Auch der chillige Rausschmeißer „Dance Of The Elves“ von Mythos klingt fast wie das Original, ist aber ein geeigneter letzter Track.
In Summe lässt sich festhalten, dass die Coverversionen besser produziert sind als das, was Jeppesen selbst bei Spotify verfügbar macht. Auch stilistisch ist die Bandbreite größer als bei den anklickbaren Originalen. Man kann hier also eine Menge entdecken, wenn man elektronischer Musik gegenüber nicht abgeneigt ist. Nicht zuletzt Nattefrost, das Projekt von Jeppesen, der offenbar live sehr umtriebig ist. Das ist auch eine interessante Vorstellung, die er hier mal bieten könnte. Und wenn man alles mal so durchgeackert hat, entdeckt man eine weitere Analogie zwischen den beiden Nattefrosts: die nordische Mythologie, die sich in wikingischen und Sonnenwend-Themen wiederfindet.