Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Géill Slí. Der Katechismus der Pedestrian Church Of Ireland

Von Onkel Rosebud / Guido Dörheide & Matthias Bosenick

Ein Fragment.

§1 Außenspiegel im Rechtsverkehr

Mit dem Flugzeug im Urlaub? Ergibt auf jeden Fall Sinn, wenn man vom Heimat- zum Urlaubsland von Rechts- auf Linksverkehr wechselt. Da hat man dann nämlich eigentlich keine wirkliche Umstellung: Parkt am Heimatflughafen das Auto gewohnt rechtsverkehrig weg, steigt in „den Flieger“ (wir machen jetzt nicht den Hinterfrager, wo dieser Formulierer jetzt herkommt), also betritt zunächst, verlässt dann das Luftfahrzeug (das ist die offizielle Bezeichnung, obwohl es ja gar nicht fährt, sondern fliegt, es sei denn, es ist leichter als Luft) und marschiert direkt zum Mietwagenschalter und nimmt die Plätze ein. Was in Irland für uns Kontinentaleuropäer bedeutet: Der Fahrer nimmt Platz, dort, wo gewohnheitsmäßig der Beifahrer sitzt. Die Umstellung auf den Linksverkehr erforderte von uns nach der Landung in Dublin ohnehin so einige Extrarunden im Kreisverkehr. Hatte sich was mit dem Vorhaben, die Sache erstmal auf dem Autoverleihparkplatz zu üben – wir mussten den sofort verlassen. Setzten uns also jeweils als Fahrer im Opel rein (wohlgemerkt kein Vauxhall, der Irländer scheint also Wert darauf zu legen, nicht ohne Not ein Produkt des ungeliebten Besatzers zu verwenden), natürlich rechts, schauen nach schräg links oben, stellen fest, dass der elektrisch außenverstellte Innenspiegel nicht passt, hoben die Hand und – BLAM!!! – es war die vom Kontinent gewohnte rechte Hand, die zum Behufe der Spiegelverstellung emporschnellte und laut knallend von innen an der Innenseite der vermeintlichen Beifahrertür zerstob. Weil das aber nicht reicht, öffneten wir zunächst bei jedem Schaltvorhaben die Fahrertür und bremsten auf der Autobahn die Überholspur aus. Das würde uns jetzt den Rest der Reise begleiten. Ebenso wie die Kontinentalwende: Sobald wir feststellten, dass wir in der verkehrten Himmelsrichtung unterwegs waren, suchten wir eine Einmündung rechts oder links und sahen zu, dass wir diese entweder im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn wieder verließen. Auf jeden Fall immer so, dass der Linksverkehr dazu führte, dass wir uns nach Beendigung eines halben Wendemanövers Auge in Auge mit dem Gegenverkehr konfrontiert sahen. Aber egal, wir haben’s überlebt und die Irländer sind immer noch Members of the EU – What shall’s, wie der anglophone Miteuropäer so sagen tut. Kaum hatten wir einige Übung, am dritten Tag unserer in Dublin gestarteten Inselrundreise, wurden wir über Nacht des Fahreraußenspiegels beraubt.

Das war in Drogheda, dessen Aussprache, ungefähr „Droohda“, Harry Rowohlt bestätigend, der feststellte, Irisch sei einfach, man streiche die Hälfte der Buchstaben weg und spreche den Rest anders aus, wie wir uns in der örtlichen Schankwirtschaft beibringen ließen, die wir nach Ende der Sperrstunde durch den Seitenausgang verlassen durften; nicht ohne vorher noch diverse alkoholhaltige Cappuccini vom Fass konsumiert haben zu dürfen.

Weil wir uns vor dem erheblichen Papieraufwand und den die Urlaubskasse plündernden Mehrausgaben wegen potenziell fehlender Versicherungen fürchteten, setzten wir unsere Rundreise kurzerhand ohne Außenspiegel fort und überließen den verkehrssicherheitsgewährenden Blick dem Beifahrer. Das ging auch soweit ganz gut, uns aber bald auf die Nerven. Ach ja, und einmal hätte es uns fast Leben, Auto und unsere bis daher untadelige Reputation als Inhaber der goldenen ADAC-Nadel für 125 Jahre unfallfreie Mitgliedschaft gekostet: Irgendwo auf dem platten irischen Land, quasi in der irischen Ausgabe der Lüneburger Heide mit einigen wenigen Einflüssen der Kasseler Berge, exerzierten wir unser durch tagelange Übung perfektioniertes Überholmanöver: Trecker (so sagt man da, wo wir herkommen, zum Traktor; von „trecken“, dem plattdeutschen Wort für „ziehen“) voraus, Guido Schulterblick und Kommando „Überholspur frei“, Matze Gas und Steuer nach rechts, routinemäßiger Blick in den Mittelspiegel und – da war die „Kchackche“ in bestem Deutsch-Schwyzerisch „om dompfen“. Für uns zum Zeitpunkt des Einleitens des rückspiegelfreien Überholmanövers weder sicht- noch ahnbar bohrte sich von achtern ein mit drei bis fünf schweizerischen Golfamateuren besetzter Rover 25 in das Sichtfeld des Fahrers, bremste, schleuderte, dabei eine tiefe Furche in die Grasnarbe rechts der Fahrbahn reißend, und kam schlingernd zum Stehen. Wir angehalten, nix wie hin und uns die Mund-zu-Mund-Beatmung noch gerade verkneifende Inaugenscheinnahme des Beinahe-Unfallopfers durchgeführt. Der Fahrer des Mietwagens nahm sofort die vollumfängliche Schuld an der Fast-Katastrophe auf uns und forderte uns auf, „ein Schuldoonerkchänntnis zu unterschreiben, oddr?“. Das Liebenswert-skurril-sympathische, das den Schweizern normalerweise innewohnt, ging diesem eidgenössischen Amateurgolfer (nennen wir ihn spaßeshalber Beat Nägeli oder: Viiiel passender: Urs Ciao) völlig ab. Wir unterschrieben nichts, fuhren nach bewährtem Muster (einer fährt, der andere schulterblickt) weiter und gelangten so nach einer Woche, der Hälfte der Insel und unbehelligt von strengen Verkehrswächtern in den Südwesten der Insel. Dortselbst gewahrten wir in der Nähe des Flughafens von Cork ein großes Signet ebenjenes Autovermieters, der uns am anderen Ende der Insel den Opel zur Verfügung gestellt hatte. Wir stellten uns dumm und behaupteten dem Angestellten in dem kleinen Bürowürfel inmitten einer Blechwüste gegenüber, dass der Spiegel erst einen Tag lang fehlte, und fragten, ob es erlaubt sei, so weiterzufahren. Der Mann fuchtelte entsetzt mit den Armen und wies uns an, ihm zu folgen. Schon rechneten wir uns aus, wie viele Guinness wir bis zum Ende der Reise sparen müssten, welchen Trick sich die Autoverleihmafia ausdenkt, um uns zu schröpfen, wie viele Gliedmaßen wir lassen würden, um den Schaden auszugleichen, da trieb uns der Mann in die Mitte einer unüberblickbaren Flotte baugleicher Opels, fragte sich kurz, welcher davon wohl so schnell nicht mehr gebraucht werden würde, entriss dem Vehikel mit einem überraschend geübten Griff den Außenspiegel, eilte zu unserem Gefährt, klackte den Spiegel fest und wünschte uns eine gute Fahrt.

Kein Papierkram, keine Extrakosten. Wir knieten nieder und dankten. Und freuten uns hernach, einen Außenspiegel aus Cork zu haben.

§ 2 Wenn Rechtsverkehr, dann aber auf jeden Fall linksrum

Wir starteten unsere Rundreise, wie schon erwähnt, in Baile Átha Cliath, der Hauptstadt der Republik Irland (also Éire, wie der Irländer sagt). Üblich ist es, von dort im Uhrzeigersinn herum loszufahren. Aber da wir als Rebellen ja gegen alles sind, sind wir natürlich auch gegen den Uhrzeigersinn, und also konsequenterweise gegen den Uhrzeigersinn gefahren. Hätten wir das nicht gemacht, wäre uns in Drogheda nicht am dritten Tag der Reise der Außenspiegel geklaut worden, sondern am drittletzten. Wir wären eher in Cork gewesen, allerdings ohne zu wissen, dass wir beim dortigen Mietwagenhöker einen Außenspiegel mitnehmen müssen. Dieser hätte an den letzten drei Tagen der Reise gefehlt, also auf der Fahrt von Drogheda zu diesem besagten Baile Átha Cliath (was ausgesprochen wird wie „Bällje Ähhä Klier”, also mit einem mittleren Hustenanfall in der Mitte, nur ungleich sympathischer, und auch skurril, was dem Ruf Irlands als das Skandinavien der britischen Inseln gerecht wird. Hier ist Bullerbü und Auenland gleichzeitig und das ist wirklich nicht nur ein Klischee, sondern die Wahrheit und nichts als die Wahrheit).

Haben wir aber alles nicht gemacht, sondern sind entgegen des Uhrzeigersinns los. Im ausgesprochenen Touristenpub „O’Neill’s“ lernten wir beim Breó-Trinken (übrigens ein leider wieder aufgegebener Versuch der Guinness-Brauerei, eine Art „Heavy why zen“ zu brauen, wie es ein US-Amerikanischer Thekengenosse in Dublin zunächst ausdrückte und es mit der Information des Barkeepers, bei Breó handele es sich um das Gälische Wort für eines der vier Elemente, fortan nur noch „Feuerwasser“ nannte) einen original Dubliner Bohemien kennen, Mitte Fünfzig, schulterlanges Haar, gepflegt angeschnasselt, redselig und belesen. Der empfahl uns anstelle des – wirklich schönen und gemütlichen – Touristenpubs (der auch preislich absolut o.k. war), in dem wir ihm ja begegneten, seine Stammkneipe „Grogan’s Castle Lounge”, der drei Ecken weiter lag. Wir also am nächsten Abend da hin, und an der Theke trafen wir unsere Vorabendbekanntschaft inmitten seiner Freunde. Und die sahen alle so aus wie er, teilweise sogar mit Baskenmütze. Wir erwähnten Ulysses von James Joyce (Guidos damalige Lektüre, die er trotz deutscher Übersetzung nie verstand. Aber aufgrund von „Potato Junkie“ von Therapy? wollte er eben unbedingt mal was von James Joyce lesen. Ein Autor, der Geschlechtsverkehr mit Andy Cairns‘ Schwester gehabt hat, muss ein ziemlich guter Autor sein.), fragten nach einer Joyce-Biographie, die vielleicht Licht ins Dunkel bringt, und bekamen Robert Nicholson, den Kurator des Joyce Tower in Dun Laghoire, das ungefähr „Dann Liehri“ ausgesprochen wird, als diesbezüglichen Ratgeber anempfohlen.

Diesen Tipp mussten wir aufgrund unserer Reiserichtung dann bis kurz vor Ende der Reise im Kopf behalten (bzw. wir haben ihn einfach vorne in den Ulysses reingeschrieben). Dun Laghoire liegt zwar nur einen Katzenwurf von Dublin entfernt, aber eben auch nur im Uhrzeigersinn. In der anderen Richtung liegt es so weit von Dublin weg, wie das sprichwörtliche Salzgitter von Australien. Aus diesem Grunde kam es auch nicht dazu, dass wir an jeder Etappe immer wieder auf dieselben Touristen trafen, die reiseführerhörig mit dem Strom schwammen, sondern immer wieder neuer Gesichter ansichtig wurden, mit einer Ausnahme. Ein Jugendtrio aus Würzburg kachelte zwar mit seinem himmelblauen Passat mit dem unpassenden Kennzeichen WÜ-TA, denn wie Wütariche wirkten die drei nun wirklich nicht, andersherum um die Insel, aber dennoch trafen wir sie zweimal, einmal ganz im Nordosten und einmal ganz im Südwesten, als unsere Kreise sich jeweils kreuzten. Physik im Alltag. Was uns noch mehr wunderte, war, dass wir uns bei der zweiten Begegnung zwar gut an sie, sie sich aber absolut gar nicht an uns erinnern konnten. Dabei hatten wir uns alle Mühe gegeben, mit unflätigem Verhalten und kryptischen Verbalinjurien für sie unvergesslich zu werden. A propos Physik: Bei der zweiten Begegnung war der Würzburger Passat an der einen Seite deutlich verformt. Das Resultat eines von vorne kommendem Lastwagen auf einer engen, von beiden Seiten von Hecken und Steinen gesäumten irischen Landstraße, erfuhren wir auf Nachfrage.

Der besagte Kurator des Dichterturmes reagierte dann übrigens auf unsere Frage, ob er Mr. Nicholson wäre, mit dem Satz „O God, I‘m famous!” und empfahl uns Richard Ellmans Standardwerk über Joyce. Supertipp übrigens, das Ding ist um einiges dicker als der eh schon dicke Ulysses, aber ungemein lesbarer und unterhaltsamer, und anschließend mag man dann den Ulysses gleich nochmal lesen, da man ihn dieses Mal verstehen wird. Und auch diese Begegnung hätten wir mit dem Uhrzeigersinn nicht gehabt, denn dann wären wir ja zuerst im James Joyce Tower gewesen und hätten das wohl niemals von Mr. Nicholson, einem Gast an der Theke im Pub von Drogheda empfohlen bekommen.

§ 3 Deutsche Touristinnen und Fotoapparate

Ein paar Kilometer (eigentlich waren es Meilen. Typisch wieder mal die Irländer: Straßenschilder mit Entfernungsangaben in Kilometern, Autotacho hat aber einen Meilenzähler. Sehr hilfreich.) weiter stellten wir fest, dass unsere Fotoapparate weg waren. Vermutlich geklaut. Am Straßenrand ein junges Pärchen, das verzweifelt versuchte, eine hochpreisige Spiegelreflexkamera auf eine Mauer zu stellen, um damit ein Gruppenbild von sich selber vor dem Hintergrund einer Turmruine (die stehen überall auf der Insel herum und ob ihres Aussehens sagten wir „Treppenhäuser“ dazu.) aufzunehmen. Der Selfie-Stick und das Fotohandy waren noch nicht erfunden. Das Wort „Selfie“ auch nicht. Wir hielten an und Matze bot seine Dienste als Fotograf an. Ich blieb mit laufendem Motor am Steuer sitzen, im Radio lief eine obskure seltene Maxiversion eines älteren Songs der Monaster Boys. Der männliche Teil des Pärchens drückte Matze hocherfreut die Canon in die Hand. Matze trat ihm in die Eier, sprang samt Kamera ins Auto und wir fuhren los, dass der Kies nur so spritzte.

Super, ein Problem weniger. Abermals einige Meilen später standen zwei junge Frauen, schätzungsweise gymnasiale Oberstufe, am Straßenrand, mit zwei großen Rucksäcken, wie sie üblicherweise von autolosen Touristen verwendet werden, mit Zelt und allem außen drangebamselt. Sie sahen genervt und verzweifelt aus. Wir hielten an und sie erzählten, dass die örtliche Jugendherberge geschlossen hätte und sie jetzt ein paar Orte weiter zum Zeltplatz wollten und ob wir sie mitnehmen könnten. Deutsche Touristinnen, die das grüne Eiland anhand des Lonely Planet durchmaßen.

Wir konnten nicht nur, wir taten sogar. Die beiden stiegen ein und wir vertrieben uns die Zeit mit einer originalgetreuen Wiedergabe der Dialoge aus Monty Pythons „Life of Brian“, einschließlich „Ist hier etwa Weibsvolk anwesend?“. Unseren temporären Mitreisenden stand die Mulmigkeit (oder heißt es „Der Mulm“?) ins Gesicht geschrieben. Am Zeltplatz angekommen, stieg Guido mit ihnen aus, um ihnen die Rucksäcke aus dem Kofferraum zu heben. Er hörte sie tuscheln: „Ja, ein Gruppenbild von uns selber wäre schon toll. Aber können wir denen vertrauen? Die reden komisch, ‘Weibsvolk‘ und sowas.“ – „Ja, ich denke schon, schau mal, da liegt ne sauteure Canon im Kofferraum. Wer sich sowas leisten kann, der ist ehrlich und beklaut uns nicht.“ Sie fragten, ob Guido ein Bild von ihnen machen könnte, und drückten ihm ihre etwas betagte, aber qualitativ über jeden Zweifel erhabene Spiegelreflex in die Hand. Er hörte hinter sich den Opelmotor anspringen, verzog das Gesicht zu einer ängstlichen Grimasse, deutete hinter die beiden und fragte „Was ist denn daaaaaaaaaaaas???“ Sie drehten sich um, Guido ebenfalls, sprang auf den Beifahrersitz und mit einer astreinen Kontinentalwende brausten wir von dannen.

Einige Ortschaften weiter feierten wir unsere wiederhergestellte Dokumentationsfähigkeit mit einigen Guinness im Pub, bezogen dort ein Zimmer und machten es uns auf den Betten gemütlich.

Im Fernsehen lief „Die Abenteuer des jungen Marco Polo“, eine Serie, die erst Jahrzehnte nach unserer Reise produziert werden sollte. Guido schnappte einen Dialogfetzen auf. „Ich bin durstig, wir brauchen Wasser!“ sagte irgendeiner. „Das einzige Wasser, das wir haben, ist das, was uns auf der Stirn steht!“ antwortete ein anderer. Gottseidank hatte er nach Wasser gefragt und nicht nach Wurst, dachte Guido. Er erwachte. Ab jetzt weniger Guinness am Abend, dachte er sich, diese Alpträume musste er nicht jeden Tag haben. Der Kameradiebstahl trug sich einige Jahre zuvor in Leipzig zu, fiel ihm ein. Dennoch Kontrollblick in unsere Reisetaschen: Beide Kameras an Ort und Stelle, die Reise konnte weitergehen. Und an dieser Stelle ein Hinweis an alle Kinder und besorgten Eltern, die das hier lesen: Wir geben Euch und Ihnen unser Ehrenwort, wir wiederholen: Unser Ehrenwort, dass wir niemals und unter keinen Umständen jemals Kameras geraubt haben und auch nicht vorhaben, das jemals zu tun. Nämlich. Nicht einmal unsere eigenen.

§ 4 Die Insel hat vier Provinzen

So viel Entsetzen kann man sich gar nicht ausmalen, wie wir ernteten, als wir nach der Reise dem Wirt unseres heimischen Irish Pubs, Frank vom Wild Geese, erzählten, dass wir im Bogside Inn Guinness tranken. „Und das habt ihr überlebt?“, stellte er bei unserem Anblick korrekt fest. „Na, ihr seid Deutsche“, schob er zur eigenen Erklärung nach, und Guido hatte eine bessere: „Wir sind Atheisten.“

Das Bogside Inn liegt in der Bogside, die wiederum ein Stadtteil von Derry ist, einer Stadt, von der manche Leute behaupten, sie trüge den Namen Londonderry („Crazy Mary from Londonderry“ sei D.A.Coe da noch verziehen, da er sich als US-Amerikaner wahrscheinlich wenig mit kontinentaleuropäischen Gepflogenheiten auskennt. Man sollte ihn mal auf einer Landstraße wenden lassen). Über diese Gastronomieeinrichtung ging die Kunde, sie sei der Quasi-Hauptsitz der IRA gewesen, und also mussten wir natürlich dringend auch dort einkehren. Keine Reise ohne Risiko. Dabei sahen wir die ganze Thematik überhaupt nicht leichtfertig: Das Ausmaß des Konfliktes zwischen Republik Irland und Vereinigtem Königreich, das den Nordosten der Insel okkupiert, war uns in aller tragischen Tragweite bewusst. Nur zwei Monate vor unserer Reise kam es in der nordirischen Stadt Omagh zu einem tödlichen Bombenanschlag, der den bis dahin ruhig gewordenen Terror zurück ins allgemeine Bewusstsein brachte. Insofern war es für uns ein reichliches Wagnis, die Grenze nach Nordirland zu passieren. Aber auch eine Pflicht.

Gepanzerte Landrover mit diesen runterhängenden Gittern unterhalb der seitlichen Trittbretter (diese beugen dem Darunterrollen-und-Haftmine-ankleben vor) und bewaffnete Soldaten in Belfast befeuerten unser mulmiges Gefühl (Da war er wieder, der Mulm, diesmal nicht nur im Traum). Doch ließen wir uns nicht beirren, tauschten die fremde Währung um, dieses Britische Pfund, touristenerkundeten Belfast und setzten alsbald zügig unsere Reise quer durch Ulster fort, in Richtung der inneririschen Grenze. Derry lag auf diesem Weg, und Derry wirkte auch nicht mehr so bedrohlich auf uns wie Belfast. Noch war es helllichter Tag, also Nachmittag, als wir den Pub betraten und uns in einer Eckbank häuslich einrichteten. Der Gitterzaun am Fußweg vor dem Bogside Inn war übrigens in Orange, Weiß und Grün angemalt, was man aber nur aus der Ferne wahrnahm. So sah also die IRA-Zentrale aus: wie ein Irish Pub. Welch Überraschung. Bis auf eines in Dublin, das mit Eurodance und Systemgastronomie auf Jugendpublikum setzte, sahen überdies sämtliche Pubs, die wir auf unserer Reise besuchten, und das waren nicht wenige, aus wie Irish Pubs, und einmal mehr attestierten wir hernach dem Wild Geese in Braunschweig eine hohe Authentizität, anders als anderen außeririschen Irish Pubs. Außer uns gab es im Bogside Inn noch andere Gäste. Keiner von ihnen war bewaffnet. Keiner guckte uns schief an. Wir erhielten unsere Getränke und empfanden uns nicht anders behandelt, als wären wir Stammgäste. Also auch wie in allen anderen Pubs. Bei den weiteren Gästen handelte es sich zumeist um Familien, deren Kinder die Billardtische für ihre Spiele zweckentfremdeten. Es war laut und lustig und gutgelaunt in diesem geschichtsträchtigen Inn. Wie sonst sollte man wohl dem Übel begegnen, wenn nicht mit Fröhlichkeit.

Wir entspannten uns und setzten unsere Fahrt fort, schließlich wollten wir unser noch nicht gebuchtes Nachtlager wieder in der Republik aufschlagen. Anders als auf dem Hinweg, als wir eine nicht zu übersehende gesicherte Grenze passieren mussten, ließ sich im Westen der Übergang lediglich an einem verwitterten Schild ausmachen. Schon wieder zurück, dabei hatten wir noch einige Restpfund auszugeben. Wir vollführten die Kontinentalwende und enterten einen Tankstellenkiosk. Den Verkäufer verpflichteten wir im Handumdrehen dazu, unser Restgeld gerecht zweigeteilt in Süßigkeiten und Schokoriegel umzusetzen. Was ihm gelang. So entdeckten wir die Penguins für uns, Keksriegel mit Scherzfragen und Flachwitzen rund um das naheliegende Themenfeld Pinguin, die zusätzlich lecker waren. Beispiel: Q: What is a penguin on Leicester Square? A: Wrong.

Gern hätten wir uns noch tiefer in Nordirland hineinbewegt, aber. Das heben wir uns eben fürs nächste Mal auf. Wie auch immer sich dies wohl gestalten wird.

P.S.: Dieser Text erschien zuerst im Buch „Various Artists – Ich Liebe Musik Vol.2“ (2020, Windlust Verlag) und wurde von Matthias Bosenick und Guido Dörheide über den Song „Potato Junkie“ von Therapy? geschrieben.