Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Fünf Lektionen in Advanced-Open-Air-Surviveln

Von Onkel Rosebud

Liebe Zielgruppe, erinnert Ihr Euch noch an den 30.06.2000? Tatort Roskilde. Kurz vor Mitternacht sterben neun Menschen vor der berühmten „Orange Stage“. Sie werden zu Tode gequetscht. Oder gepfählt von Plateauschuh-Absätzen. Vielleicht wurden auch die Wirbelsäulen zermalmt. Die Lungen zerdrückt? Erstickung mitten in der Menge, Apneusis. Sucht Euch was aus. Furchtbar jedenfalls. Tragisch ganz nebenbei zum Ersten: Das passierte gerade bei Pearl Jam, einer Formation, die bei Konzerten immer darum bitten soll, dass jeder auf den anderen neben sich aufpasst (und – äh – deren letzten beiden Platten eher zum Schunkeln als zum Stürmen eingeladen haben). Zum Zweiten: Gerade in Roskilde passierte es, dem Festival, welches als das friedlichste, fröhlichste und schönste unter den europäischen Open-Airs galt, wo eigentlich ausnahmslos nette Menschen hin pilgern und keine derben Moschcombos aufspielen.

Aber so Tragisches, wie letztes Jahr in Roskilde, kann Euch überall passieren. Ob die Ereignisse With Full Force, Bizarre, Southside, Kulturarena, Splash, Woodstage, Glastonbury, Reading oder Hurricane heißen, es gilt immer das gleiche Motto: Rock in der Sardinenbüchse. Euphorie und Panik sind die Dr. Jekyll und Mr. Hyde der Open-Luft-Saison. Solltet Ihr Euch mal in einer turbulenten Menge wiederfinden, in der die stilvolle und gepflegte Daseinsbewältigung nicht mehr umfassend gewährleistet ist, so lasst euch von mir, dem die Schmetterlinge der Lebenserfahrung bereits mehrmals in solchen Situationen zugeflogen sind, folgendes empfehlen:

  1. Immer festes Schuhwerk tragen, keine Taschen, spitze Gegenstände oder Fotoapparat mitnehmen.
  2. Das Kaputtbarste des Körpers ist nicht der Kopf, sondern das Herz, deshalb nie die Arme anwinkeln
  3. Bei einem „Sog“ die Arme über den Kopf heben.
  4. Nie gegen den Strom der Masse ankämpfen. Jeder Bewegung in eine Richtung folgt anschließend wieder eine in die entgegengesetzte.
  5. Der beste Platz, bevor das Konzert losgeht, ist nicht in der Mitte, sondern circa ab 10. bis 15. Reihe halb links beziehungsweise rechts, damit man nach außen ausweichen kann.

Ich wünsche mir, dass Ihr alle heile wiederkommt, Ihr Abtrünnigen des intensiven und gehaltvollen Daheimbleibens. Wer soll das hier sonst zukünftig lesen?

Onkel Rosebud

P.S.: Dieser Text erschien erstmals am 13. Juni 2001 in ad-rem, Jahrgang 13, Nummer 14.