Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Die Weltmeister im Improvisieren

Von Onkel Rosebud

Wenn ich Menschen kennen würde, die John Medeski, Bill Martin und Chris Wood heißen, dann würde ich eine Band mit ihnen gründen. Es wäre egal, wer Keyboards spielt, Drummer oder Bassist ist; wer solche Namen trägt, ist am Start schon cool und wird so oder so berühmt und beliebt.

Leider suchen sie keinen Vierten, Medeski, Martin & Wood sind schon Superstars. Das bedeutendste Label des Jazz, Blue Note, hat sich neben 18 anderen Plattenfirmen darum gerissen, ihren neuesten Tonträger „The Dropper“ zu veröffentlichen.

Dabei passt das Etikett Jazz eigentlich gar nicht richtig, da die Wurzeln ihrer Musik eher bei James Brown, Sun Ra, John Coltrane, Sly Stone, The Meters und Jimi Hendrix zu finden sind. Oder anders: Letzte Open-Luft-Saison spielten Medeski, Martin & Wood erst als Vorband zu „A Tribe Called Quest“ in Washington, um 24 Stunden und 3000 Meilen später mit den Foo Fighters in Seattle auf der Bühne zu stehen. Anschließend spielten sie auf einem Burt-Bacharach-Tribute in New York.

Aber ganz abwegig ist das Einordnen unter „blutiger Jazz“ wiederum trotzdem nicht: Medeski, Martin & Wood sind die Weltmeister im Improvisieren. Und wenn sich mal eine Lücke zwischen Hard Bop und Hip-Hop aufgetan hat, Medeski, Martin & Wood haben sie geschlossen. Aus wabbernden, wild experimentellen Hammond-Orgel-Klängen entwickeln sich tanztaugliche Bassriffs. Unwiderstehlichem Groove unterliegen Feedback-Orgien. Und zu improvisierten Soundgewittern, bei den mancher Hard-Core-Fan die Baseballkappe zurechtrücken muss, schleicht sich eine betörende Melodie. Das ist wahlweise Jazz, zu dem man tanzen, oder Tanzmusik, die man zu hören kann. Grunge Funk, Avantgarde Groove… So oder so ähnlich wäre die Musik wohl etikettierbar.

Da John Medeski, Bill Martin und Chris Wood zu dritt bereits die Herzen eroberten, ist für mich leider kein Platz mehr. Aber, wer will schon berühmt werden? Doch wenigstens in einer Band sein, wäre schon dufte. Ich kenne Menschen, die heißen Rebbe, Mewes und Holm, die suchen einen Vierten und würden mich nehmen. Gründe ich eben mit denen eine Band. Wir würden uns dann „Atmosvier“ nennen und könnten sagen, wir machten Jazz, ohne tatsächlich welchen zu spielen. Denn alles ist irgendwie Jazz. Aber wer will schon alles machen. Da wird man ja nie fertig. Besser ist da vielleicht, die letzte Dissonanz der Triangel erarbeiten zu wollen. Und zwar brachial. Triangelcore. Genau. Schön durchgeknallt wäre es auch, in einer Band zu sein, die gar keine Musik macht, eine Gruppe, die – sagen wir mal – nur Musik hört.

… Neueinsteiger von 0 auf Platz 76 diese Woche ist die Gruppe Atmosvier, die sich das Lied „We Are Rolling“ von Medeski, Martin & Wood anhört und dabei jazzig mit den Augen rollt. Auf Platz 75 diese Woche abgefallen von 74, die Band Contriva, die ernsthaft von sich behauptet, noch Musik zu machen…

Wie feedbäckt eigentlich ein Triangel ordentlich am Verstärker?

Onkel Rosebud

P.S.: Dieser Text erschien erstmals am 16. Januar 2001 in ad-rem, Jahrgang 13, Nummer 11.

Nachtrag 2023: Die Gruppe Atmosvier kann mittlerweile auf eine über 20 Jahre dauernde, produktive Karriere zurückblicken. Die Titel der Alben, die unter anderem in letzter Zeit nicht erschienen, sind „Stop me if you think you haven‘t heard this one before“, „All we hear are birds“ und „I can hear your silence”.