Vægtløs – Aftryk – P.O.G.O. Records/5FeetUnder Records 2024

Von Matthias Bosenick (24.01.2024)

Bei Vægtløs (Schwerelos) ist die Auseinandersetzung mit dem Tod keine genrespezifische Koketterie, sondern ein Ventil. Das Quartett kam 2022 in Aalborg zusammen, um den Krebstod naher Freunde zu bewältigen, und wählte ein auf Black Metal basierendes Vehikel für den erlebten Schmerz. Den die vier hörbar ausdrücken: Das Debüt „Aftryk“ („Impressum“) klingt verzweifelt, doch gibt sich die Band dieser Verzweiflung nicht einfach hin, sondern wendet sie in etwas Kreatives um, eben Musik. So entstanden vier überlange Tracks zwischen Post-Metal, Hardcore und Shoegaze, die Dunkelheit transportieren und gleichzeitig befreiend vermitteln, dass es sich lohnt, die Trauer zu überwinden und voranzugehen.

Aus der Leere gleitet das Album ins Bewusstsein, eine zarte, dunkle Gitarre lässt zögerlich einige Akkorde erklingen, jemand spricht auf Dänisch dazu, es ist wie eine behutsame Einladung in die Welt von Vægtløs – und eine irreführende, denn kurz darauf bricht das Inferno los. Black Metal, wenn man so will, urst schnell dargebracht mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, und dazu ein Gesang, der keiner ist, sondern ein dem Hardcore entnommenes Geschrei ohne Melodien, mit dem die Botschaften vorgetragen werden. Urst schnell dargebracht schon, aber zählt man die Grundtakte, sind die Tracks langsam schleppend. Und immer wieder durchbrochen von Passagen aus Shoegaze, Ambient, Fuzzbass; damit wechselt die Band zwischen hoch energetischen Ausbrüchen und in sich gekehrter Versunkenheit. Gerade diese Spannung lässt beide Extreme umso stärker wirken; sobald eine andächtige Passage einsetzt, freut man sich darüber, das Brutale bewältigen und durchatmen zu können, und begreift erst, wie intensiv die brutaleren Stellen tatsächlich sind, obschon die Band sie atmosphärisch ausgestaltet.

Mindestens so lang wie die Songs selbst sind deren Titel: Auf der A-Seite „Ingenting kan forhindre, at små struber skælver en forårsnat“ und „Først da vi bar din kiste gik det op for mig, hvor meget tungt du skulle igennem, før du blev så let“, auf der B-Seite „Her i vores hjerter bærer vi en ny verden“ und „Tag dit knuste hjerte og lav det til kunst“. Die Abfolge bestätigt inhaltlich, was die Musik bereits ausdrückt: Schmerz gehört zwar angenommen, akzeptiert und ausgelebt, aber auch als Energie verwendet, um daraus etwas Neues zu kreieren und das Leben weiterzuleben. Die Übersetzungen der Titel lauten nämlich: „Nichts kann verhindern, dass kleine Kehlen in der Frühlingsnacht zittern“, „Erst, als wir deinen Sarg trugen, wurde mir klar, wie viel Schweres du durchmachen musstest, bevor du so leicht wurdest“, „Hier in unseren Herzen tragen wir eine neue Welt“ und „Nimm dein gebrochenes Herz und mache es zu Kunst“.

Zwar handelt es sich bei „Aftryk“ um das Debüt-Album von Vægtløs, doch startete das Quartett im August 2022 mit einer Split-EP mit Mill und Taagebue. Ihren eigenen Beitrag brachte die Band drei Monate später auch auf der 7“ „Kakofoni“ heraus, die somit diesem Album als Veröffentlichung vorangeht und deren zwei ebenfalls lange Songs auf diesem nicht enthalten sind. Vægtløs ist für drei der vier Musiker auch gar nicht die erste Band: Gitarrist Frederik Højlund und Bassist Jeppe Nørgaard kennen sich bereits von der Sludge-Band Terex Titan und Sänger Troels Højgaard Sørensen war schon in zahlreichen Bands aus Punk, Noise und Folk aktiv wie Kollapse, Mighty Midgets oder Still Around sowie solo als Hjertelyd. Lediglich Schlagzeuger Tobias Aske Heltborg tritt offenbar ausschließlich bei Vægtløs in Erscheinung.

Die Gegend am Limfjord scheint für Bands abseitiger Musikgenres sehr fruchtbar zu sein, aus Aalborg kommt eine Menge Musik. Einige von den Musikern sind als Hintergrundsingende und Gedichtlesende auf „Aftryk“ zu hören, etwa Niels Højgaard Sørensen von unter anderem Mighty Midgets und Stöj Snak, deren anderes Mitglied Rasmus Glassau Clausen das Album gemeinsam mit Vægtløs aufnahm. Christian Bonnesen und Viktor Kaas waren bei LLNN, ersterer zudem bei Hexis, Piss Vortex und The Psyke Project, zweiterer auch noch bei EYES und Telos. Gedichtleser Thomas Burø ist sonst Bassist bei Lack, Tvivler und 300hz, Gedichtleserin Tanja Gade Hammerholt übt diese Funktion ansonsten als Kirchendienerin in Sæby etwas nordöstlich von Aalborg aus. Jan Fenger tritt auf diversen Alben aus der Gegend in Erscheinung, Christian Holmsberg lässt sich nicht so einfach ermitteln und Lasse Olsen ist ebenfalls bei den Mighty Midgets.

Wie schon die EP, erscheint auch „Aftryk“ auf zahllosen Labels – über 70 sind es hier, P.O.G.O. und 5FeetUnder sind nur zwei exemplarisch genannte – und in unterschiedlichen Vinyl-Varianten, in Schwarz, transparent und als „Leaves Edition“ etwa.