U2 – The Europa EP – Island 2019

Von Matthias Bosenick (11.06.2019)

Die große Rockband U2, vermutlich die derzeit größte der Welt, veröffentlicht seit 2010 ihre einst so begehrten Singles lediglich zu den amerikanischen Plattenladensonderterminen. Die neueste, kreativ „The Europa EP“ benannt, erschien zum jüngsten Record Store Day und beinhaltet exakt null neue Songs. Vielmehr bekommt man den Auftakt zur letzten Tour in eine ineinanderfließende Liveversion der beiden B-Seiten-Tracks gesampelt, nämlich die Rede von Charlie Chaplin aus „Der große Diktator“. Nett, in Summe sogar hörbarer als die beiden letzten Studioalben, und doch reichlich verzichtbar.

Klar, die beigelegten Gimmicks mit Aufkleber und der komplett abgedruckten Rede sind Sammelgründe, schließlich kann man die nicht downloaden. Eine Aussage betrifft sicherlich die Brexit-Diskussionen des Nachbarlandes der Iren, daher reaktivieren sie das Caver des bei Fans umstrittenen, aber mutigen und einfallsreichen „Zooropa“-Albums. Die Zweite richtet sich gegen den grassierenden Rechtsruck allerorts: Sich in solchen Zeiten gegen Nazis zu stellen, indem man dafür die Hitler-Persiflage von Chaplin borgt, ist immerhin ein respektables Zeichen, doch nimmt man den Multimilliardären, Steuerflüchtlingen und Kriegstreiberverstehern von U2 solche Moves nicht mehr so ganz ohne Zähneknirschen ab. Zudem sind sie kreativ leider am Bodensatz des radiokompatiblen Stadionrocks angelangt, also für die Musikhistorie unerheblich geworden.

Das spiegelt die EP wieder: Vertreten sind hier eine ihrer ersten Singles und ein Stück vom letzten Album, namentlich „New Year’s Day“ und „Love Is All We Have Left“. Ersteres ist natürlich ein Klassiker, vom vierten Album „War“ und hymnisch, knackig, mitreißend, dabei erdig und dank des extrovertierten Pianos um ein unerwartetes Melodieinstrument erweitert. Letzteres ist – langweilig, wie die meisten neueren Stücke. Es bleibt gar nicht im Ohr hängen und geht auf der live mitgeschnittenen A-Seite zwischen Chaplin und dem Hit auch komplett unter. Heißt, Chaplin spricht über unbestimmte Soundflächen, bis die ursprünglich arschgeile Rock’n’Roll-Nummer aus dem Jahr 1983 endlich losbricht, nur mit einem cheesy Keyboard statt des Pianos.

Mit dem Song eröffnen U2 auch die B-Seite, in einem Remix von Andrea Lepori, der seit einiger Zeit die Aufnahmen von U2 betreut und dem Song eine subliminale minimale elektronische Note gibt. Ist okay. Mehr nicht. „Love Is All We Have Left“ erfährt danach eine Neubearbeitung durch jemanden namens Jon (Of The) Pleased Wimmin, der der Nummer ebenfalls mit elektronischen Spurenelementen immerhin so etwas wie Eigenständigkeit kredenzt und die melancholische Seite hinter der Popschnulze hervorholt und damit noch das relevanteste Stück dieser EP präsentiert. Beide Remixe aber fügen dem Werk der Iren nichts Nennenswertes hinzu – da waren sie schon mal wegweisender und dichter an versierten Leuten dran, die ihre Songs auf attraktive, mitreißende, überraschende neue Ebenen hievten. Das ist hier nicht der Fall.

Also: „The Europa EP“ folgt auf das Rework von „Hold Me Thrill Me Kiss Me Kill Me“ vom letztjährigen Black Friday, das auf „Lights Of Home“ vom RSD 2018, von deren drei Tracks der Limited-Edition-Album-Käufer lediglich den Beck-Remix nicht schon hatte, das auf den 2017-Mix von „Red Hill Mining Town“ vom RSD, das auf „Ordinary Love“ vom Black Friday 2013 und das auf die „Wide Awake In Europe“-EP vom US-RSD 2010. Damit fing die Singlelosigkeit an, denn alle anderen Tracks und Remixe veröffentlichten U2 seitdem lediglich als Download. Der Zeitpunkt markiert zudem den kreativen Niedergang: „No Line On The Horizon“ war 2009 das letzte durchgehend gute Album, und von dem distanziert sich die Band heute. Müssen sie wissen, die Geldsäcke! Denkwürdig ist lediglich, dass bis auf die „Wide Awake In Europe“-EP alle 12“es noch zum überteuerten originalen RSD-Preis zu haben sind.