The Death And Resurrection Show – Shaun Pettigrew – UK 2013

Von Matthias Bosenick (08.11.2015)

Ein wahrhaftiger Ritt durch zu dem Zeitpunkt 34 Jahre Killing Joke liefert Shaun Pettigrew in satten 150 Minuten. Trotz der epischen Länge muss er die Stationen abhetzen und bei aller Vollständigkeit noch einige Punkte offen lassen. Seine Erzähllinearität ist angenehm, seine Bildsprache wegen des Tempos bald anstrengend, aber doch passend, da es gilt, unzählige Quellen so zusammenzumontieren, dass die Qualität homogen wirkt. Bleibt zu erwähnen, dass sich die Band zeitlebens mit Magie und Okkultismus zum Horst macht und ihr leider tatsächlich irgendwie charismatischer Frontmann Jaz Coleman zwar dicke einen an der Klatsche hat, aber oft genug auch einfach mal richtig liegt in seinen gesellschaftspolitischen Betrachtungen. Und die Mucke von Killing Joke ist nicht nur variantenreich, sondern auch fast immer geil. Einschränkend muss erwähnt sein, dass sich der Film wohl vornehmlich an Fans der Band richtet.

Seit 2008 existiert die Band wieder in der Originalbesetzung, in der sie auch die ersten drei Alben 1980 bis 1982 einspielte. Deshalb rückt Pettigrew auch die vier Gründungsmusiker Jaz Coleman, „Big Paul“ Ferguson, Martin Glover alias Youth und Kevin Walker alias Geordie in den Mittelpunkt. Erfreulich ist, dass diese Typen nicht so wirken wie das, was sie erzählen: Besonders „Big Paul“ fixte die Jungs zu Beginn 1979 mit Magie und so etwas an, was in irgendwelche Rituale mündete und sich in einem Fall während eines Konzertes zu einem unerklärlichen magischen Moment im Wortsinne entwickelte. Coleman erlebte danach rituelle Offenbarungen unter anderem an den Nasca-Wüstenlinien. Nach dem dritten Album verschwand der Sänger 1982 auf Island und gründete mit Leuten von Þeyr, besonders intensiv mit Hilmar Örn Hilmarson, das kurzlebige Projekt Niceland, ebenfalls auf okkulten Riten basierend. Zuletzt 1994 half eine „weiße Hexe“ der Band, in der Grabkammer der Großen Pyramide von Kairo Ägyptische Gottheiten für die Aufnahmen von „Pandemonium“ zu beschwören. Später fand Coleman vermeintlich zu Gott und wurde Priester, heute vertritt er die „2001“-Theorie, dass die Menschheit und die Evolution von Aliens gesteuert sind. Von Amateurmagier Aleister Crowley schwadroniert Coleman außerdem immer mal wieder. Interessant ist, dass er den Satanistenvorwurf dabei von sich weist, weil er nicht an Satan glaube. Zudem erzählen Wegbegleiter von speziellen Momenten mit Coleman, etwa zweimal in seiner Gegenwart vom Blitz getroffen zu werden und trotzdem überlebt zu haben.

Mag man sich solcher Art belastete Musik anhören? Interessanterweise erscheint diese Magiequatsch im Film dergestalt hanebüchen, dass man ihn nicht ernst nehmen mag. Sollten Errungenschaften jener Rituale in die Musik eingeflossen sein, strahlt jene dies nicht aus. Zwar berichtete Coleman in einem Interview zum vorletzten Album „MMXII“, dass die Musik eine Art magisches Einlullen erzeugen solle, doch muss man sich darauf ja nicht einlassen; stattdessen stellt man fest, dass die Songs trotz aller Härte eigentlich schön sind. Die Musik nun handelt der Film wie nebenbei ab, erwähnt die Alben bis 2013 und lässt Signatursongs im Hintergrund laufen, wenn sie nicht in Liveperformances gezeigt werden. So führt Pettigrew dem Betrachter die Vielfalt des Oeuvres anschaulich vor Ohren: Vom an die New Wave Of British Heavy Metal erinnernden „Are You Receiving?“ auf der ersten EP „Turn To Red“ 1979 über den Dub von „Follow The Leaders“, den gefälligeren Semi-Hit „Love Like Blood“, die Pop-Ausflüge des „Brighter Than A Thousand Suns“-Albums, das sperrige „Outside The Gate“ sowie die Rückkehr zur musikalischen Erbarmungslosigkeit ab „Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions“ bis heute, was zu dem Zeitpunkt das Album „MMXII“ war.

Die Erzählstruktur des Films gestaltet Pettigrew dabei angenehmerweise nicht wie einen Wikipedia-Artikel. Zwar hält er sich grundsätzlich an die Chronologie, driftet aber immer an entscheidenden Stellen in Seitenarme ab, die ein Schlaglicht auf Sonderthemen werfen. Dazu zählen auch die personellen Umbesetzungen sowie manche musikalische Nebenprojekte, aber nicht alle. Mob Research stehen nur auf einem T-Shirt, Murder Inc, Pigface und The Damage Manual werden gar nicht erwähnt, auch die Goa-Remixe von Youth in den Neunzigern schlagen sich nicht nieder. Dagegen erfährt man von Colemans Ausflüge ins Klassik-Fach, als Produzent der Neuseeländer Shihad und seine orientale Kooperation „Songs From The Victorious City“ mit Anne Dudley von The Art Of Noise. Auf Youths Projekte Brilliant sowie The Fireman mit Paul McCartney geht Pettigrew kurz ein. Paul Vincent Raven ist ein wichtiges Thema, da er innerhalb der Band für Differenzen sorgte, weil er immer wieder Musiker für andere Projekte wie etwa Ministry abzog und damit Killing Joke gefährdete, aber letztlich nach seinem Tod 2007 von Aberdutzenden Musikern und Bands ebenso wie von seinem Kritiker Coleman verehrt wurde. Spannend ist, dass Coleman den Hass der Neuseeländer auf sich zog, als er bei einer Rugby-WM in England die Maori-Aktivistin Hinewehi Mohi die Neuseeländische Nationalhymne in ihrer Sprache singen ließ und nicht auf Englisch. Lustig sind auch die Einwürfe von Colemans Eltern, die sichtlich stolz sind auf ihren Sohn. Auch erwähnt ist der Rechtsstreit mit Nirvana wegen „Come As You Are“, das ein Rip-Off von „Eighties“ ist, der darin gipfelte, dass deren Gitarrist Dave Grohl auf dem 2003er-Comebackalbum „Killing Joke“ Schlagzeug spielte. Und dies ist nur ein Auszug aus den unzähligen Seitenarmen.

Da die alten Aufnahmen oft von sehr schlechter Qualität sind, verfremdet Pettigrew viele der neuen dazwischen mit ähnlichen Effekten. Damit schafft er ein homogenes Bild, durchbrochen von Interviews mit Bandmitgliedern, Zeitgenossen und befreundeten Musikern. Leider sind manche Passagen schwierig zu verstehen, da die Räume hallen oder die Tonspur mies ist. Ohne Untertitel ist man bisweilen echt aufgeschmissen.

In Summe ergibt „The Death And Resurrection Show“ ein recht umfassendes Bild von Killing Joke, inklusive neuer Einblicke, die man nicht sofort im Internet findet. Der Musikgenuss nimmt trotz des schwachsinnigen Gelabers von Egomanen Jaz Coleman keinen Schaden, das ist ja auch schon mal was. Sympathisch geht anders, Anziehungskraft hat er dennoch. Und die Mucke ist einfach mal geil.