Spezial: Marc Gordon Sloan

Von Matthias Bosenick (27.11.2020)

Das ist Bassmusik: Anlässlich seines Corona-Projektes „Reel To Real Volume 1“ steckte der New Yorker Bassist Marc Gordon Sloan gleich noch zwei weitere seiner Alben in den Briefumschlag, und zwar die Post-Punk-No-Wave-Retrospektive „Divine Bones“ sowie die Country-Überraschung „Portrait Of The Musician As Forever Moonlight“. Am Corona-Projekt beteiligten sich mit ihm zehn über die ganze Welt verteilte Künstler, darunter auch die Braunschweiger blackhole-factory.

Marc Sloan: Reel To Real Volume 1 (2020)

Was man halt so tun kann, wenn man kreativ sein will, so ein weltumspannendes Virus einem aber Striche durch alle Rechnungen macht – und das Internet genau so weit verbreitet ist wie die Bedrohung: Für dieses Album gab Sloan einen schleppenden Track aus vier Tönen Bass und einem Schlagzeug vor, verschickte ihn an neun Freunde in der ganzen Welt und ließ jeden von ihnen etwas Eigenes daraus machen. Das Album wirkt streckenweise wie ein einzelnes Stück, aber nur streckenweise, weil einige Künstler eben doch die Grundlage verbiegen. Von den meisten hat man überdies zuvor vermutlich noch nie gehört, Sloan zog dafür ganz offensichtlich sein persönliches Adressbuch heran; Details dazu erläutert der Projektmanager im Booklet.

Zum Auftakt lässt Alan Walker in „Not Yer Mom“ Twin-Gitarren über den Basistrack laufen; die Melodie schleppt sich wie die Ausgangsdatei fest ins Ohr. Mit Jim Fournaidis, einem Langzeitbegleiter und Produzenten Sloans, kehrt erstmals Gesang ein, er macht aus „Walk About“ einen Blues. Völlig frei von der Vorgabe scheint das Ergebnis von Carle Morrow zu sein, sein „The Stretch“ ist eher Ambient, ein an- und abschwellendes Rauschen eines Hi-Hats, Sloans Spuren scheinen hier gar nicht mehr vorhanden zu sein. Und dann lässt Mumbletrain mit „Through The Middle“ einen fröhlichen Popsong anschließen, mit mehrstimmigem Gesang und einer schönen Melodie, die man im Basistrack gar nicht erwartet hätte. Als nächstes generieren die Braunschweiger Elke Utermöhlen und Martin Slawig als blackhole-factory mit „Rufe Ueber Das Tal“ einen wunderschönen Track, der mit Field Recordings und textlosem Frauengesang an die Kastrierten Philosophen oder an Heavenly Voices erinnert.

Black Sifichi zerhackt Sloans Vorgabe, verstolpert sie, remixt sie, murmelt dazu, erzählt Geschichten, macht aus „The Door Black Buzzer“ einen Talking Blues, der allerdings mit neun Minuten Spielzeit und dem der Ausgangslage geschuldeten langsamen Tempo etwas ermüdet. Bei Mark C von Live Skull bekommt „Shoot The Messenger“ Dub-Effekte verpasst, angereichert mit Samples sowie Sounds, die Flächen ergeben, aus denen sich plötzlich mit einsetzendem Gesang ein warmer, doch angenehm schräger Song herausschält. Bart Plantenga nimmt den Track als Grundlage für „A Dozen Or So Facts About Amsterdam“, vorgetragen von weiblichen und männlichen Sprechern, natürlich auch Themen wie Vincent van Gogh und Weed berücksichtigend, ebenso Nerd Facts und womöglich Fake News, wie die, dass ein Mensch, der sich in Amsterdam als Bürgermeister zur Wahl stellen will, nachweisen muss, dass er dazu in der Lage ist, 24 Kilometer zu schwimmen. Trotz zwischengespielter Samples ist dieser Track ebenfalls etwas ermüdend, weil ebenso lang wie der zwei davor und weil man die recht kurze Ausgangspassage nun doch schon einige Male gehört hat. Da kommt die Verzerrung, die R.B. Korbet, der unter anderem bei Pussy Galore spielte, der Originalspur in seinem „The Power Broker“ zuteilwerden lässt, schon sehr befreiend. Dazu spielt er auf einer beschleunigten Gitarre eine schöne Melodie, in die er mit einer verzerrten Gitarre angenehm schmerzlich hineinbratzt und damit Geschrammel und Volumen in das Album bringt, nur um dann zu seiner eigenen ohrenschmeichelnden Ausgangssituation zurückzukehren. Das Finale gehört dem Projektinitiatoren: Sloan steuert mit „What You Take Me 4“ einen Alt.-Country-Song mit Akustikgitarre und Streichersamples sowie sprechgesungenen Text bei.

Grundsätzlich ein spannendes Projekt, und der Titel deutet es an, dass es da eine Fortsetzung geben könnte. Wenn, dann würde man sich wünschen, dass die Beteiligten noch etwas mutiger und womöglich rücksichtsloser mit der Vorgabe verfahren und sie nicht allzu sklavisch in ihren Grundzügen erhalten, dann wird das Ergebnis noch vielfältiger. Als Corona-Experiment und als Überblick über Wirken und Schaffen weitgehend vornehmlich unbekannter Künstler ist „Reel To Real“ ein großartiges Zeitdokument.

Marc Gordon Sloan – Divine Bones (2019)

Seit 1984 sammelt Sloan Aufnahmen unter dem Bandnamen Divine Bones, dieses Album bündelt 17 von ihnen, unter Mitwirkung so ziemlich sämtlicher Musiker, mit denen der New Yorker seitdem auch in anderen Bands musizierte. Im Mittelpunkt steht ganz klar sein Bass, und den setzt er stildienlich ein, je nach Ausrichtung wuchtig dröhnend oder zärtlich und zurückhaltend. Manche Tracks tragen die Seele einer intimen kontemplativen Zuhauseaufnahme in sich, andere kloppen mit einer kompletten Band in bester Indierockmanier voran. Geradlinigkeit ist Sloans Ding nicht, es findet sich also keine klassische Strophe-Refrain-Brücke-Komposition auf diesem Album, und das ist gut so. Sloan nimmt sich Zeit zu experimentieren, nicht nur an seinem Instrument, sondern auch kompositorisch und improvisativ.

Man kann nur glücklich sein, dass Sloan nicht nur in seiner Heimat New York so viele aufgeschlossene Mitstreiter findet. Mit einigen von ihnen spielt oder spielte er auch in anderen Bands: mit Ivan und Andrew Nahem und Michael Shockley bei Ritual Tension (mit denen der letzte Track entstand, „The Burning Ladder“), mit Elliott Sharp unter anderem bei Carbon sowie mit Joe Trump, Knox Chandler, Reed „Q.R.“ Ghazala und Gregor „Greg“ Kitzis bei Gawk. Weitere Mitstreiter sind Violinist Alain Gianatti, Schlagzeuger und Synthiespieler Alex Smith, Violinist Katsui Yuji und Schlagzeuger Kido Natsuki von Pere-Furu, Ambient-Künstler Mark Poysden, Schlagzeuger Michael Grant sowie Schlagzeuger und Posaunist Stephen Moses von Alice Donut. Allein an der Auswahl an Instrumenten lässt sich schon erahnen, wie bunt und vielfältig dieses Album geraten ist, wenn in diese Spannungsfeld aus dezentem Solobass und expressivem Banddonner auch Platz für Geigen und Sampler ist. Nicht nur als Einblick in internationale alternative Musikszenen und experimentellere Rockmusik ist dies ein grandioses Album.

Marc Sloan – Portrait Of The Musician As Forever Moonlight (2014)

Und dann macht der Postpunker und Nowaver plötzlich Country. Waschechten Nashville-Hillbilly-Stuff, den man sich freiwillig wohl niemals anhören würde. Kann man sich nicht ausdenken. Und dann klingt Sloans Gesang auch noch nach Südstaaten! Eine Frechheit, seinem Publikum so etwas unterzujubeln – oder?

Sloan macht seine Sache gut und hat die richtigen Leute an Bord, denn die Band klingt sehr tight, sehr dicht am Mikro, am Hörer mithin, Sloan lässt keine Distanz zu, er zwingt sich auf, knackt die Verschlossenheit und Ablehnung der amerikanischen Folklore gegenüber und lässt seine Songs dem Publikum in Hirn und Herzen strömen. Einer davon, „Deep El’m“, ist später auch auf „Divine Bones“ vertreten, wie hier mit seinem Carbon-Kumpanen Elliott Sharp eingespielt, der das gesamte Album begleitet, im Verbund mit Schlagzeuger Simon Fishburn, Violinist Guy Thillet, Congaspieler Pablo Shine, Mandolinenspieler Danny Blume und Akkordeonist Marco Benevento.

Allein auf diesen drei Alben belegt Sloan eine enorme musikalische Variabilität, und dabei handelt es sich längst noch nicht um alles, was er zusätzlich zu Carbon, Gawk und Ritual Tension (deren neues Album „It’s Just the Apocalypse, It’s Not the End“ nach 30 Jahren Pause sei einmal mehr wärmstens empfohlen) so am Start hat und hatte. Sein Solo-Debüt von 1985 hieß „Yeow“, weitere Projekte und Beteiligungen trugen Namen wie False Prophets, Purple Geezus und Rats Of Unusual Size; wer seinen Bandnamen von „Die Braut des Prinzen“ inspirieren lässt, belegt ohnehin guten Geschmack.

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