Solbrud – Live im Clubraum Plagwitz in Leipzig am 30. März 2015

Von Matthias Bosenick (31.03.2015)

Den Auftrittsort zu ermitteln, war schon ein großes Abenteuer, noch bevor das eigentliche Abenteuer am Rande des Konzertereignisses überhaupt starten konnte. Solbrud gehören in ihrer dänischen Heimat zu den aufstrebenden Sternen am Black-Metal-Himmel (bewusst gewählte Bezeichnung) und fungieren dort als umjubelte Headliner, in Leipzig spielten die vier jungen sympathischen Dänen inmitten einer kleinen Schar von wohlwollend mitnickenden Subkulturgourmets in einem Raum in einer gut versteckten ehemaligen Wohnung, deren Adresse wiederum niemand öffentlich preisgibt, als hätten sie lediglich ein paar Neugierige in ihren Proberaum geladen. Der Abend endete damit, dass die Band ein Foto mit dem Fan haben wollte, der extra für sie zwei Stunden Autofahrt auf sich genommen hatte. Da wird die Band zum Fan ihres Fans. Wann erlebt man schon mal so etwas! Verdrehte Welt. Angenehm verdrehte Welt.

Zwar bezeichnen Solbrud ihre Musik selbst als Black Metal, aber gottlob ist dies eine nur im weitesten Sinne zutreffende Kategorisierung. Was sie mit dem Black Metal verbindet, sind gelegentliche Blast Beats, repetetive Strukturen und hoher Keifgesang. Wesentlicher Unterschied zum klassisch-nordischen Black Metal ist, dass die Musik von Solbrud angenehm warm ist. Auf zwei LPs veröffentlichten die vier Musiker bislang acht Tracks – insgesamt, wohlgemerkt: Das akademische Viertel ist bei Solbrud die durchschnittliche Songlänge. So kam die Band am Montagabend bei etwas über einer Stunde Spielzeit auch lediglich auf fünf Stücke. Hier geht ganz klar Qualität über Quantität: Obgleich die Blastbeat-Passagen sicherlich häufig den Kern der Kompositionen ausmachen, bilden sie nicht den ausschließlichen Stil ab. Solbrud schaffen Atmosphäre, sie lassen ihre Musik in Wellen anrollen, verbinden die Passagen irrwitzigen Tempos mit solchen nackenbrechender Grooves oder gar beklemmender extrem reduzierter, fast doomiger Düsternis. Eben diesen Elementen kommt die Wärme der Gitarren zugute; die Passagen mit gelegentlich angeschlagenen Akkorden mit ganz viel Zeit dazwischen erzeugen zwar latente Beklemmung, aber keine abweisende Kälte, keine Misanthropie. In den groovenden Passagen ist die Ähnlichkeit zum Black Metal beinahe verschwindend gering, allein die immer wieder zwischengestreuten Pirouetten des Drummers erinnern zumindest im Rhythmusbetrieb an das typische Tempo, das den Unterschied zum, sagen wir, Death Metal ausmacht. Zwar ist Solbruds Black Metal modern, wagt aber trotzdem eine Distanz zum ansonsten vorherrschenden modernen Black Metal: Die Band erschafft nicht vordergründig die in Richtung Shoegaze abdriftenden Ambient-Flächen. Dafür haben die vier zu viel Spaß am Tanzen. Man könnte fast von einer vierten Welle im Black Metal sprechen, die Solbrud am lostreten sind.

Interessanterweise klangen Solbrud in der kleinen Kammer in Leipzig differenzierter und transparenter, als es die beiden Alben „Solbrud“ und „Jærtegn“ zunächst erscheinen ließen. Mit kleinstem Amp und unter reduziertesten Bedingungen schufen die vier einen absolut überzeugenden Sound. Das Schlagzeug war unverstärkt; daher hörte man eher den physischen Sound des Materials als den metaphysischen der Klanggestaltung heraus. Dieser Umstand untermauerte den Eindruck, vielmehr Gast in einem Proberaum als eines Konzertes zu sein. Dankbarer Gast, wohlgemerkt.

Von diesen dankbaren Gästen gab es am Montagabend in der kleinen Hütte zwar nicht viele, aber weil die Hütte so klein ist, war sie trotzdem voll. Ungewöhnlich an dem Auftritt war, dass man ab der zweiten Reihe die Musiker nicht mehr sehen konnte, weil sie direkt vor der ersten Reihe standen und in gebückter Manier konzentriert und konzertiert ihre Instrumente bedienend schlichtweg kleiner waren als das Publikum. Einzig Sänger Ole reckte zwischendurch seinen Kopf in die Höhe und schrie seine Texte; dabei schien sein Kopf nurmehr aus Mund zu bestehen, und zwar aus einem, den man ansonsten von Filmplakaten wie „Der weiße Hai“ oder „Piranha“ kennt. Das Publikum nun drückte sein Wohlwollen nicht in stürmischem Applaus aus; Zeichen für Zuneigung entnahm man eher dem mit einem breiten Grinsen unterlegten permanenten Mitnicken der Leute. Man bat um eine Zugabe, die Solbrud auch gaben, dann verzogen sich die Leute in die Bar und standen um Bier an. Ein, zwei Mutige schwammen gegen den Strom und teilten der Band freundlich ihre Begeisterung mit. Vermutlich ist dieses Verhalten in dem Genre üblich, zumindest war von Enttäuschung darüber keine Spur. Auf beiden Seiten.

Wie es nun zu dem Foto kam, das ist eine sehr spezielle Geschichte. Sie startet in Kopenhagen, der Heimatstadt von Solbrud. Pernille, eine Freundin, schwärmte mir von der Band vor. Nach meinen ersten Hörversuchen hatte ich einen durchaus positiven Eindruck, und der Gedanke drängte sich auf, dass ich mir die LPs zulegen sollte, wäre da nicht das überteure Porto aus Dänemark. Bald darauf besuchte Pernille ein Konzert der Band daheim in Kopenhagen. Das wäre für mich die beste Gelegenheit, preisgünstig an die Alben heranzukommen, dachte ich, doch wollte ich Pernille nicht mit den sperrigen Objekten belasten. Das nahm sie mir selbst ab: Sie erwarb die Alben kurzerhand, wissend, dass ich mich nicht getraut hätte, sie darum zu bitten. Und weil sie der Band beim Signieren berichtete, dass diese LPs für jemanden in Deutschland bestimmt waren, legten die Musiker noch einen Patch und ein Poster obendrauf. Für so viel Fannähe dankte ich der Band daraufhin per Email und war nicht wenig verwundert, als mir Sänger Ole auf Deutsch antwortete und von drei anstehenden Konzerten in Deutschland erzählte. Die sollten in Chemnitz, Frankfurt am Main und Leipzig stattfinden. Zeit hatte ich lediglich für den letzten Termin in Leipzig.

Spontan entschied ich mich am Morgen für den zweistündigen Trip. Doch war nicht zu ermitteln, wo genau in Leipzig Solbrud auftreten sollten. Das Internet war da ausnahmsweise mal nicht genau. Einmal war von einem „Institut fuer Zukunft“ die Rede, doch auf dessen Webseite war Solbrud nicht aufgeführt. Dann war vom „Bermuda3eck“ zu lesen, das allerdings kein konkreter Veranstaltungsort ist, sondern offenbar eine weiträumige Gegend im Stadtteil Plagwitz. Zuletzt ermittelte ich den „Clubraum Plagwitz“ als Venue, doch niederschmetternderweise ohne Adresse. Genauer als das ging es nicht. Als Veranstalter waren „Swansea Constellation“ und das Label „Sick Man Getting Sick Records“ verlinkt. Ich folgte den Links, doch gab es nirgendwo Hinweise oder auch nur Telefonnummern, unter denen ich solche erfragen konnte. Aber Namen, und mit denen und einer Suchmaschine ermittelte ich doch noch eine Telefonnummer, unter der ich die Adresse erfuhr.

Vor Ort entpuppte sich der „Clubraum“ als umgewidmete Erdgeschosswohnung in einem Altbau in Plagwitz. Ohne Schild, das Solbrud-Plakat neben der Tür wurde von einem herabblätternden anderen Plakat verdeckt. Das hätte ich niemals gefunden. Und das ist auch Sinn und Zweck der Anonymität, wie man mir drinnen mitteilte: Gerade weil der „Clubraum“ so klein ist, ist er schon voll, wenn nur die Leute kommen, die schon Kenntnis davon haben. Die Ex-Wohnung verströmte einen angenehmen DIY-Odeur, die Getränke waren günstig und alternativ, einer der Betreiber verteilte an uns zwei frühe Gäste aus Tschechien importierte extrem leckere Knoblauch-Chips. Zwei alte TV-Geräte übertrugen das Bild aus dem kleinen Konzertraum in die Bar. Außerdem montierte einer der Betreiber angesichts der nahenden Feiertage zwei gekreuzigte blutüberströmte Hasen an einer Säule. Sonniger Humor.

Irgendwann trudelte die Band vom Essenholen wieder ein. Als die Musiker ihre Instrumente auspackten, einstöpselten und soundcheckten, grüßte ich sie kurz von Pernille aus Kopenhagen und gab mich als der emailende dankbare Beschenkte zu erkennen, der extra für den Gig 210 Kilometer überbrückt hatte. Das war für die Band kaum zu fassen. „Wir haben vor 1000 Leuten gespielt, aber dass einer zwei Stunden Fahrt auf sich nimmt, um uns zu sehen, ist mehr wert“, sagte einer. Und bat mich, im Anschluss für ein Gruppenfoto da zu bleiben. Hey, aber sicher – sonst ist es ja andersherum, wie sollte ich auf diese unglaubliche verdrehte Position verzichten wollen. Musiker als Fan-Fans, das glaubt einem doch keiner. Ein Geschenk, dies.

Zwischen dem Soundcheck und dem Auftritt war noch Zeit für Gespräche. Unter anderem erfuhr ich, dass „Solbrud“ zwar, wie ich zuvor ermittelt hatte, auch der Name einer Blume ist, aber nicht die ursprüngliche Intention: „Hätten wir das eher gewusst – vielleicht hätten wir uns umentschieden.“ Zu hippieesk sei es, als schwarzweiß orientierte Black-Metal-Band nach einer farbenfrohen Blume benannt zu sein. Mir hingegen gefällt genau die Vorstellung, auf diese Weise mit den Traditionen und Klischees des Genres zu brechen. „Sonnenbraut“ ist die Übersetzung von „Solbrud“ (ausgesprochen passenderweise übrigens beinahe wie „ßollbrüll“), auch das ist aber nur eine von vielen möglichen Bedeutungen. Primär erinnere das Wort an Schattenspiele, etwa von Bäumen gebrochenes Sonnenlicht, das eben ein schwarzweißes Muster ergibt. Und Ole, so stellte sich heraus, spricht deshalb fließend Deutsch, weil er in Flensburg aufgewachsen war.

Das gesamte Ereignis war herzerwärmend. Es war leicht, mit den Betreibern des Clubs und des Labels sowie anderen Gästen ins Gespräch zu kommen. Gut zu wissen, dass es Orte in Leipzig gibt, die es anzusteuern lohnt. Und laut Gästen gibt es davon so einige in der 500.000-Einwohner-Stadt. Danke Solbrud, danke Plagwitz: Das war ein Abend für den ewigen Lebenslauf.