Sigur Rós – Variations On Darkness/22° Lunar Halo – Krúnk 2019

Von Matthias Bosenick (13.08.2019)

Erst nur für den Records Store Day im April veröffentlicht, nun für alle zugänglich, wenn auch nicht preisgünstiger: Zwei experimentelle Schallplatten der ätherischen Postrocker Sigur Rós füllen die Lücke seit dem letzten richtigen Album „Kveikur“ von vor sechs Jahren. Auf zusammen vier Seiten der beiden LPs „Variations On Darkness“ und „22° Lunar Halo“ präsentieren sich die Isländer von einer eher ungewohnten Seite, indem sie auch mal harsche, harte Elemente in ihre Wattewolken packen und von Songstrukturen jeden nur möglichen Abstand nehmen, dabei aber in ihren Sounds wiedererkennbar bleiben. Spannend!

Mit „Variations On Darkness“ untermalte die Band eine Tanzperformance der Iceland Dance Company beim bandeigenen „Norður og niður“-Festival in Reykjavík im Dezember 2017, zu „22° Lunar Halo“ tanzte im April 2019 die Cloud Gate Dance Company aus Taiwan. Beide Veröffentlichungen eint, dass die Band darauf bestehendes und unveröffentlichtes Material aus ihrer Karriere neu zusammensetzte. Das erklärt, warum einem die Sounds vertraut sind, die Strukturen aber nicht: Die Band löst sich vom Song und konzentriert sich auf Sounds und die Wirkung ihrer Atmosphäre.

Das Ätherische ihrer früheren Alben behalten Sigur Rós auch hier bei, indem sie weite Ambientstrecken legen. Vom Song löst sich die Band zwar, nicht indes von Rhythmen, die beinahe industrialartig in manche Passagen einbrechen und damit eine Seite offenbaren, die Sigur Rós auch schon auf den jüngeren Alben „Inni“ und „Kveikur“ latent zeigten. Auch Spieluhr-Soundexperimente wie schon 2004 auf der EP „Ba Ba Ti Ki Di Do“ und Lärm im weitesten Sinne lassen Sigur Rós hier zu, und wenn man zugrundelegt, womit die Band vor 20 Jahren von sich hören machte und welche Hochkultur mit den vorliegenden Arbeiten beschallt wurde, sind die beiden LPs durchaus als mutig aufzufassen: Sie bergen einen Schrecken in sich.

Aber auch eine Notwendigkeit, die 2008 schon „Með Suð Í Eyrum Við Spilum Endalaust“ einzuläuten versuchte: Das Elfenhafte war auserzählt, neue Richtungen waren erforderlich, um die Spannung halten zu können; damit verlor die Band aber auch einiges an Orientierung (und Mitgliedern), so richtig überzeugend waren die Alben danach nicht mehr. Nicht nur deshalb ruhen die Aktivitäten seit sechs Jahren wohl.

Nicht aber die Veröffentlichungen: Bereits 2017 gab es einige RSD-Specials, „Route One“ und „Liminal Remixes“, deren Preise kurz danach schon mehr Nullen trugen, als die Platten Seiten haben, und die auch als Reprint kaum erschwinglicher sind. Zusammen mit Alex Somers, dem Lebensgefährten des Sigur-Rós-Sängers Jón Þór Birgisson, komponierte die Band im selben Jahr unter dem Titel „Hang The DJ“ den Soundtrack zur Netflix-Serie „Black Mirror“. Nicht der erste Soundtrack einer Serie: Mit „The Rains Of Castamere“ gaben Sigur Rós 2014 ein Kaufargument für den Soundtrack zur fünften Staffel von „Game Of Thrones“. Und noch mehr Rares: Die Single „Óveður“ gab es 2016 ausschließlich digital, die 7“ „Á“ aus dem Jahr 2017 ist wie die RSD-Platten längst unerschwinglich. Ebenso die Neuveröffentlichung von „Ágætis Byrjun“ zum Zwanzigjährigen dieses Durchbruchsalbums, das mitnichten das erste war und nun auf sieben Schallplatten und zum Preis eines Gebrauchtwagens zu haben ist.

Nun sind auch die Nachpressungen von „Variations On Darkness“ und „22° Lunar Halo“ mit je rund 25 Euro nicht wirklich angemessen bepreist, aber wenigstens noch einigermaßen erschwinglich. Für die Reprints invertierten Sigur Rós übrigens die Farbtöne der Cover: Damit sind die Neuauflagen eindeutig von den RSD-Versionen unterscheidbar. Die übrigens heute auch nicht viel mehr kosten, anders als die Vorgänger von vor zwei Jahren. Woran liegt das: Ist die Luft raus oder die Auflage höher? Zeit wird es womöglich für eine Raritäten-Compilation. Bezahlbar!