Shihad – FVEY – Warner 2014

Von Nicholas Gregory (28.04.2015) und Matthias Bosenick (29.04.2015)

Schon ein halbes Jahr alt, aber superschwer zu kriegen; daher ist nicht nur dieses jüngste Shihad-Album für sich gesehen eine Erwähnung wert, weil ihr einstiger Entdecker und Mentor Jaz Coleman von Killing Joke die Neuseeländer zu ihren musikalischen Wurzeln zurückführte, was bedeutet, dass das vorliegende Album rauh, roh, monoton, heavy und energetisch ausgefallen ist – aber auch die höchst unwahrscheinliche Art und Weise, wie es auch noch in der völlig unerhältlichen limitierten Version in meine Hände gelangte. Dank sei dem Internet, der Globalisierung und meiner Sozialisation mit den Drei Fragezeichen, dass ich Nick in Queenstown, Neuseeland, virtuell ausfindig machte. Er selbst war Bassist bei der Band Redline, macht aktuell als Vega Verona eher elektronische Musik – und hielt unsere gemeinsame Geschichte selbst exklusiv fest:

Musically, Matze knows his onions and tracked down a rare release of Shihad’s latest release, the epic FVEY (pronounced Five Eyes,) I was selling on Trade Me, New Zealand’s version of Amazon. I had pre-ordered the album but annoyingly, only received it in the post a week after it’s release date. Given it was a limited-edition, I figured someone would want to acquire it, so I listed it for sale. Matze left a message on the auction saying he was keen to buy it if I didn’t sell it online. Instead of selling it and after learning where Matze was based, I asked for a trade – Shihad’s FVEY for Guano Apes latest album ‚Offline.‘ I’ve been a big fan of this band since my ex-girlfriend (from Gottingen) introduced me to their music years ago. I hope to see the Apes live someday soon. One of the best live shows I’ve ever seen was The Living End at ‚postbahnhof‘ in Berlin in 2010. That was something special, seeing a crowd full of german punks pogo to Shihad’s Australian brothers. FVEY is a return to Shihad’s hard rock form, after several years flirting with a more commercial sound. Shihad were the very last band to record at Auckland’s York Street studio – a legendary recording studio where many, many classic albums were produced.

As for me, I’m the former bassist for NZ hard rock band, Redline. We released our debut album ‚Trapped Inside‘ in 2008, which is now available for download absolutely free by visiting the website. Redline were fortunate enough to tour with bands such as Evanescence, Disturbed, P.O.D., Alterbridge through New Zealand before we relocated to London, UK in 2010 to explore record label interest. This exploration ultimately led to the band’s implosion months after moving halfway round the world. It was an experience that has inspired me to continue making music and who knows – maybe I’ll get the chance to do it all over again?!

I love it when people connect through music. Check out FVEY and if you’ve never heard of Shihad, their ten-album back catalogue will keep your german ears happy for awhile!“

Shihad spielten ungefähr 1993 zu Zeiten ihres von Coleman produzierten Debüts „Churn“ in Braunschweig, im Brain, als dort noch interessante Bands auftraten, und zwar zusammen mit Head Like A Hole, ebenfalls aus Neuseeland. Beide waren zuvor als Support mit Faith No More unterwegs gewesen und setzten die Tour eigenständig fort. Zu sehen bekam ich selbst Shihad aber erst 1995 beim Roskilde Festival, als sie gerade ihr zweites Album „Killjoy“ veröffentlicht hatten. Die rohe Rifflastigkeit, die sprühende Energie, die gleichzeitige Freude an Melodien – dieses Gesamtpaket und die Tatsache, dass der Band fahnenschwenkende Fans aus Neuseeland bis nach Dänemark gefolgt waren, begeisterte mich – ich wurde Fan und erwarb all ihre Alben. Das gestaltete sich bald schwieriger. Nach der Umbenennung von Shihad in Pacifier und zurück (im Zuge der 9/11-Anschläge) waren Shihad-Alben in Europa nicht mehr erhältlich. Fiel „Love Is The New Hate“ 2005 noch musikalisch im Sinne des Debüts aus, gerieten Shihad auf den folgenden „Beautiful Machine“ (2008) und „Ignite“ (2010) in Alternative-Rock-Fahrwässer und biederten sich enttäuschenderweise einem für sie vergleichsweise unattraktiven Mainstream an. All diese Alben gab es jeweils in limitierten Versionen, die noch schwieriger zu bekommen waren als die regulären schon. Bei „FVEY“ nun war es nun sogar noch schlimmer.

Zu spät erfuhr ich überhaupt von der Veröffentlichung des Albums „FVEY“. Es erschien mit elf Tracks als CD und limitierter Doppel-LP, aber auch als CD im Pappcover mit 15 Songs. Diese Version wollte ich haben, natürlich. Die Videos, die es dazu im Netz zu sehen gab, legten nahe, dass sich das lohnte: Zampano Coleman drückte der Musik eindeutig seinen Stempel auf, das verlockte mich.

Nun bot aber niemand im weltweiten Internet das Album mit 15 Tracks an. Es war also nicht nur einfach zu teuer, sondern schlich komplett ausverkauft und wurde von niemandem aus zweiter Hand angeboten. Was tun? Ich mailte die Band, das Management und das Label an. Spärliche Antworten fielen negativ aus: Das Album sei vergriffen. Was tun? Bei eBay und amazon gab es maximal die Standardversion. Also checkte ich einschlägige bis mir unbekannte Plattenläden im Internet, weltweit, mit Hauptaugenmerk auf Neuseeland. Ich bat sogar eine Freundin, die eine andere Freundin in Neuseeland besuchte, in Plattenläden nach „FVEY“ Ausschau zu halten. Beide Vorstöße ergaben dasselbe Ergebnis: Mit elf Songs boten einige Händler das Album an, mit 15 niemand.

Unter meinen Firefox-Bookmarks, die ich regelmäßig aufsuchte, war auch „Trade Me“, eine Art neuseeländisches eBay. Auch dort gab es wochenlang gerade einmal die Standardversion. Und dann: Ein Verkäufer bot plötzlich die limitierte Fassung an. Sofort kaufen für umgerechnet einen runden Zehner. Hey, nach einem Vierteljahr endlich ein Erfolg! Sofort begann ich, mich auf Trade Me zu registrieren – und scheiterte an der Auswahlbox, in welchem Teil Neuseelands ich denn wohnte. Ooookay. Was tun? Ich mailte den Support der Seite an und erklärte mein Anliegen. Die Antwort kam prompt: Bei Trade Me dürften sich ausschließlich Neuseeländer und Australier anmelden, da gäbe es keine Ausnahme. Okay. Ich fragte, ob sie dem Verkäufer meine Emailadresse geben könnten, damit der sich bei mir meldet, wenn die mir seine schon nicht geben wollen. Antwort: Nein, diesen Service bieten wir nicht an, aber kontaktiere uns gerne wieder mal, wenn dir danach ist. Na, danke, war mir grad nicht.

Okay. Was tun? Vielleicht hat der Verkäufer einen eBay-Account unter dem selben Namen wie bei Trade Me. Schnell geguckt: Hat er nicht. Okay. Was tun? Bei Trade Me können die Mitglieder Profile anlegen. Seins sah dünn aus: Nicky, Queenstown. Und ein Foto, wie jemand Bungee springt. Wenig Grundlage für einen zielgerichteten Sucherfolg. Okay. Was tun? Ja, der Sucherfolg mit den reinen Vornamens- und Ortsangaben war tatsächlich absolut gering – aber was, wenn ich als Facebook-Verweigerer als drittes Suchwort „Facebook“ dazuschrieb? Dann gab es plötzlich Ergebnisse: Die Treffer ergaben die Seite eines – Immobilienmaklers. Das sah jetzt nicht gerade nach Rock’n’Roll aus. Ich sah mir vorsichtig die Profilseite an – und entdeckte Bungee-Fotos. Da war er also doch noch, der gesuchte Link! Einen solchen fand ich auch zu einer Webseite, auf der ich eine Emailadresse anklickte und dem Empfänger mein Anliegen schilderte: Hey, wenn du jener Verkäufer bei Trade Me bist, folgender Sachverhalt; wenn nicht, vergiss es bitte. Zittern, abschicken, hoffen. Es war ein Freitagabend.

Was, wenn nun keine Reaktion kam oder sich die Fährte als falsch herausstellte? Ich habe Kontakte nach Australien und indirekt auch nach Neuseeland, aber da die Auktion schon knapp 40 Stunden später auslaufen sollte, war auch einige Eile geboten. Sollte ich zweigleisig fahren und meine Bekanntschaften schon mal darauf ansetzen, die CD für mich zu erwerben? Oder sollte ich auf Antwort warten und mich fatalistisch der Aussichtslosigkeit meines Unterfanges hingeben?

Während ich noch grübelte, erhielt ich Antwort: Respekt für die detektivische Arbeit, hieß es. Von Nicky aus Queenstown, dem Immobilienmakler mit dem Bungee-Fotos. Uuuuufff…. Er schlug mir einen Handel vor: Sein „FVEY“ gegen „Offline“, das jüngste Album der Guano Apes, das es nämlich nicht in Neuseeland gibt. Doch bevor ich in Jubel ausbrechen konnte, dämpfte er meine Freude mit dem Hinweis, dass er seine CD nicht vorzeitig aus der Auktion herausnehmen dürfe. Doch er war zuversichtlich, dass niemand es kaufen würde, schließlich habe es schon jeder. Wie bitte?

Banges Warten bis Sonntag. Nick nahm zumindest die „Sofort kaufen“-Option heraus und erhöhte den Mindestbetrag immens. Vorsorglich erwarb ich schon mal die „Offline“ in einer ebenfalls limitierten Fassung mit einem Bonus-Track. Egal, wie es ausgeht, allein für das, was bislang gelaufen war, hätte Nick die CD auf jeden Fall bekommen. Abgesehen davon, dass ich mit Sandra Nasic einmal für meinen früheren Arbeitgeber ein enorm freundliches Telefoninterview führte, habe ich selbst mit den Göttingern nichts am Hut. Aber jemand am anderen Ende der Welt interessiert sich für eine Band, deren Sängerin in ihrer Jugend dieselbe Disco frequentierte wie ich, das Jolly Joker in Braunschweig nämlich. Hey!

Anfang der Woche dann die Nachricht: Die CD ist unterwegs an mich! Doch vor den Hörgenuss stellte die Welt die Post. Ich wartete. Einige Zeit später meldete Nick das Eintreffen der Guano Apes bei ihm, da war ich noch in gespannter Erwartung. Tage, Wochen vergingen. Ostern kam dazwischen, der Poststreik auch. Und dann, eines Tages, endlich: Ein Umschlag aus Neuseeland mit einem grünen Zoll-Aufkleber darauf. Diese Behörde trug also Mitschuld an der Verzögerung. Egal, jetzt befindet sich das Werk in meiner Sammlung und rotiert auch regelmäßig in meinen Abspielgeräten. Zu Recht, denn es ist sehr gut.

Nicks Urteil kann ich mich nur anschließen: Jaz Coleman weckte die rohe Urgewalt der Band wieder auf. Er lässt Shihad fast wie seine eigene Band klingen, etwa zu Zeiten von „Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions“ oder wie in den zurückliegenden zwölf Jahren. Heißt: keine Ähnlichkeit zu „Love Like Blood“, sondern metallisch harter Post-Punk, monotone Riffs, stoische Drums, extrem verzerrter Bass, aggressiver und dennoch melodienreicher Gesang. Vor lauter Energie regen viele Songs zum Hüpfen an, Balladen finden sich hier keine mehr. Shihad geben ihren 15 Songs die Zeit, die sie brauchen: Die radiotauglichen Dreieinhalbminüter sind in der Unterzahl, einmal überschreiten Shihad sogar die Siebenminutenmarke, und das ganz ohne überflüssige Fills. Damit bestätigen Shihad eine Aussage, die Neoprogger Steven Wilson mit Blick auf die Swans sowie Sunn O))) & Scott Walker im jüngsten Musikexpress machte: Die interessante Rockmusik wird heute nicht von Jugendlichen, sondern von Leuten über 40 gemacht.

Übrigens steht „FVEY“ für „Five Eyes“, einen im Zweiten Weltkrieg zum Zwecke der Überwachung geschlossenen und bis heute aktiven Bund von – genau – fünf Staaten, nämlich USA, Kanada, Großbritannien, Australien und eben Neuseeland. Und weiterhin übrigens gibt es ein kleines Nerdwissen zum Album: Damit sind Shihad die zweite Neuseeländische Band, die mit fünf Alben in der Heimat den ersten Platz der Charts errang, nach einer Sängerin namens Hayley Westenra.

Und weil – auch da gebe ich Nick Recht – Musik verbindet, freue ich mich über den Kontakt zu ihm, den Shihad mir nun bescherten. Ich werde gleich noch ein bisschen Redline und Vega Verona hören. Viele Grüße ans andere Ende der Welt! Und danke für alles.