Nymph()maniac – Lars von Trier – DK/D/F/B/GB 2013

Von Matthias Bosenick (26.02.2014)

Wer hätte das gedacht, dass der depressive Meister des Co-Traumatisierens nach dem verstörenden „Antichrist“ und dem langweiligen „Melancholia“ mit „Nymphomaniac“ als drittem Teil seiner Depressions-Trilogie nicht nur einen guten, sondern auch noch einen unterhaltsamen Film anfertigt – den er zudem zuvor irreführender- und sicherlich provozierenderweise als Porno vermarktete. Nein, der Film hat Handlung, Tiefgang, bietet Ausflüge in Psychologie, Philosophie, Wissenschaft, Kunstgeschichte, ist garniert mit Humor, Tiefgang und natürlich auch expliziten Sexszenen. Am Ende der ersten zwei Stunden der gekürzten Fassung (Teil zwei folgt im April) geht man beschwingt und gut unterhalten aus dem Kino. Das ist einem nach einem Lars-von-Trier-Film bislang ausschließlich nach „The Boss Of It All“ passiert.

Optisch beginnt „Nymphomaniac“ wie ein Lars-von-Trier-Film, und das ist gut: Man sieht sofort die Handschrift des düster-verschmitzten Dänen, in Dunkelheit, Zeitlupe, Sujet (Wassertropfen etwa); auch Elemente wie gewisse Schnitte, schwankende Kameraführungen und sogar ein direkter Ausschnitt aus „Riget“ (die Schiebetüren des Krankenhauses) sind charakteristisch für von Trier. Seltsam ist allerdings, dass man von billiger Rammsteinmusik empfangen (und wieder entlassen) wird.

Man sieht Joe (Charlotte Gainsbourg) blutend auf dem Boden liegen. Der Anti-Zionist Seligman (Stellan Skarsgård) gibt ihr zu Hause Tee und Bettstatt, weil sie nicht ins Krankenhaus will. Er bittet sie, ihm den Hergang zu schildern, und sie holt weit aus. Joe kasteit sich selbst dafür, dass sie Nymphomanin ist, und Seligman versucht, sie davon zu überzeugen, auf einem schmalen Brett unterwegs zu sein. Daraus entsteht ein Pingpong zwischen Sexschilderungen einerseits und wissenschaftlichen Abhandlungen, kulturellen Querverweisen und soziologischen Betrachtungen andererseits. Joe findet Anknüpfungspunkte in Seligmans Äußerungen und auch in den Details, die sie in seiner Wohnung sieht, und er findet in ihren Darstellungen immer wieder Bezüge zu den Themen, mit denen er sich auskennt: Fliegenfischen, Johann Sebastian Bach, Leonardo Fibonacci; Edgar Allan Poe. So ist der Film, ähnlich wie „Only Lovers Left Alive“ von Jim Jarmusch, eine wundervolle Ode an das Wissen. Im Dialog sind die beiden stets respektvoll und nett miteinander; Skarsgårds Synchronstimme jedoch klingt um einiges zu inhaltsschwanger.

In der Struktur erinnert der Film an Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ (auch im Stil: Eine Sequenz ist beispielsweise aus dramaturgischen Gründen in Schwarzweiß gedreht). Im vorliegenden ersten Teil sind es fünf Kapitel, in denen Joe Seligman ihre Schlechtigkeit plausibel machen will. Sie erzählt von ihrer kindlichen Sexualität, von ihrem Sexualpartner-Sammelwahn, von Samenraub, Verführung, Ehebruch und ihrer verderblichen emotionalen Unberührtheit. Seligman hält immer dagegen, indem er Referenzen zur Biologie, Soziologie und Psychologie findet, die ihr Verhalten plausibilisieren sollen. Nur Vordergründig geht es bei Joes Schilderungen um den reinen Sex. Auch geschnitten sind zwar explizite Szenen zu sehen, aber erstaunlicherweise wirkt es nicht so gekünstlet auf effektive Nacktheit gebürtstet wie in anderen Filmen. Vielmehr erscheint es als selbstverständlich, all die üblicherweise hinter verschlossenen Türen stattfindenen Körperlichkeiten hautnah mitzuverfolgen. Es gehört dorthin, es ist eine logische Folge. Und ist eben auch immer nur ein Vehikel für die eigentlichen Themen.

Die sind so vielfältig wie Joes Episoden. Sie sucht Sex ohne Liebe, kann sich gegen dieses Gefühl aber nicht wehren. Sie braucht zehn Liebhaber täglich, erlebt aber die Konsequenzen in Form einer mitsamt ihrer drei Kinder bei ihr auftauchenden Betrogenen (gigantisch gut gespielt von Uma Thurman). Das Verhältnis zu ihren Eltern, der Tod, Verantwortung: Joe grast die großen Themen des Lebens ab. Und das bisweilen mit fantastischem schwarzen Humor.

Interessanterweise ist Joe zwar aktiv darin, ihre Sexpartner für sich zu gewinnen, wird aber im Moment des Gefundenseins und für den übrigen Teil ihres Lebens passiv und distanziert. Sie reagiert nur noch, betrachtet, bleibt blass, auch optisch, in ihren furchtbaren Kleidungsstücken, bei denen man sich jeweils wundert, wie sie in dem Outfit so viele Lover findet. Mit der sich selbst anklagenden Joe erfüllt von Trier überdies einen Vorwurf, den man ihm für viele seiner Filme macht: Bei ihm sei die Frau die Wurzel allen Übels, Joe sieht sich hier praktischerweise gleich selbst so. Doch in der Figur des Seligman hat von Trier das Gegenargument gleich dabei. Interessant ist übrigens, dass beide Figuren zwar sagen, nicht religiös zu sein, Joe jedoch den christlichen Begriff der Sünde und das Mittel der Selbstkasteiung anwendet und Seligmann als gefallener Jude christlich inspirierte Musik von Bach hört.

In diesem ersten Teil wundert man sich, wie grundsätzlich eher harmonisch die ganzen Geschichten sind. Bei einem so großen Verschleiß an Sexgebern wäre es zu erwarten gewesen, dass da auch Gewalt, Übergriffe oder Ähnliches in den Erzählungen auftauchen. Auch bleiben noch sexuelle Aspekte wie etwa Homosexualität oder Gruppensex offen. Sollte Teil zwei so bleiben wie der erste, könnte man bei „Nymphomaniac“ fast von Familienunterhaltung sprechen. Doch man hat es mit Lars von Trier zu tun – das dicke Ende kommt sicher noch, oder, wie es eine Kinobesucherin ausdrückte: Das war nur das Vorspiel.

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