Moon‘s Mallow – Against All Gods/Long Lost – Gioia Coppola 2021/2022

Von Matthias Bosenick (26.09.2022)

Indierock ohne breite Beine, kann man sagen, groovend, spröde, gefühlvoll, gesangsstark, der volklosen Folklore so nah wie dem Anti-Britpop der Auteurs, mit einem Hauch Psychedelik: Moon‘s Mallow sind da, aus Bari ganz im Süden Italiens, wo sich Bandchef Gioia Coppola zunächst mit den brasilianischen Musikern Leila Isaac und Luís Marino sowie dem renommierten Bassisten Michele Rossiello zusammentat, um „Against All Gods“ aufzunehmen. Nachdem die beiden Brasilianer das Land aus beruflichen Gründen verließen, holte sich Gioia als Ersatz Damiano Ceglie und Claudio Colaianni dazu, um „Long Lost“ einzuspielen, das nicht wirklich den Eindruck erweckt, es zur Hälfte mit anderen Leuten zu tun zu haben. Moon‘s Mallow bleiben ohne Posen, eher im Dunkel der Nacht, nicht eben vor Fröhlichkeit sprühend, also überaus vortrefflich genießbar. Und nun gibt‘s beide Alben auf Vinyl.

So richtig Rock’n’Roll-Feuer machen Moon‘s Mallow trotz Coppolas zwölfsaitiger Gitarre nicht, auch wenn der zweite Song des Debüts, „Extraversion“, mächtig Schub hat und die Band auch in „Memories“ mächtig ausbricht. Die Rockmusik des Quartetts verzichtet dennoch vornehmlich auf breitbeinige Flächgengitarren, sondern setzt sie eher zurückhaltend rhythmisch ein, mit episch solierenden Zwischenspielen, nicht selten auch alternierend akustisch gehalten. Der Bass unter allem hingegen groovt wie Sau und das Schlagzeug hat eine durchdringende Wucht. Keyboards, Akkordeons, Geigen sind zugegen, eingestreut von den Gästen Davide Viterbo und eben Claudio Colaianni, der später festes Bandmitglied wird. Die zweite Stimme von Leila Isaac fehlt als einziges Merkmal auf dem zweiten Album. Ebenso die brasilianisch gefärbte Percussion und die Flamencogitarre auf dem Abschlusssong „Into Wild Roses“, der nicht von Ungefähr an das „Girl From Ipanema“ angelehnt ist. Mit „Ain‘t No Sunshine“ von Billy Withers ist übrigens ein gelungenes Cover auf dem Debüt enthalten.

Sobald Moon‘s Mallow mal ausbrechen, kann man sie sich gut in den späten Siebzigern in einem englischen Pub vorstellen, vorpreschend, grölend, schunkelnd, „Light Rain Of March“ vom Debüt oder „Move On“ vom Nachfolger hätte sich dort sicherlich gut gemacht. Wie ohnehin die Stücke im Dreivierteltakt an britische Musik denken lassen, allen voran an die fabelhaften Auteurs, die ähnlich unkommerziell ihr Ding machten und die Welt wissen ließen, was sie von ihr hielten. Was vielleicht auch daran liegt, dass der groovegesättigte Bassist Rossiello seit fast 20 Jahren von London aus psychedelische Rockmusik macht, mit der Band Atomic Workers nämlich.

Wo doch psychedelische Rockmusik ohnehin bei vielen Bandmitgliedern im Blut steckt. Rossiello ist ein Langzeitkollege von Claudio Colaianni, mit ihm war er bereits bei den Psychedelik-Helden That‘s All Folks (in den Neunzigern zunächst unter dem Alias Lupin III) sowie beim Interimsprojekt Colt38 aktiv, bevor er eben nach London verzog und Colaianni die grandiosen Anuseye aus der Taufe hob. So wundert es nicht, dass „Long Lost“ tatsächlich mit noch mehr Wucht und Schwere startet. Das Verspielte des Debüt tritt ein Wenig zur Seite, Akkordeon und Cello fehlen hier, dafür gibt‘s wieder Keyboards, dieses Mal von Govinda Gari, unter anderem vom Hocus_Pocus Improvisers Orchestra. Der Duktus bleibt auf Strecke gottlob erhalten, schon „Morning Moon“ lässt wieder die Auteurs durchschimmern, und doch lässt sich der gesteigerte Hang zur Psychedelik nicht verleugnen. „Tuned“ ist ein fabelhaftes Beispiel dafür.

Ein weiteres Pfund der Band ist Coppolas Stimme. Er singt vergleichsweise hoch, bleibt dabei aber immer kraftvoll, nicht quäkig oder gar weinerlich. Man nimmt ihm deutlich ab, dass er etwas zu vermitteln hat, und entsprechend textlastig sind die Stücke auch. Er begleitet das Gegniedel seiner Kumpanen nicht nur, häufig dominiert er es, treibt es voran, braucht es dringend für seine Botschaften, als Gewand für seine Worte, seine Werte. Beide Platten sind voller Hits, obwohl sie sich nie einer vordergründigen Eingängigkeit anbiedern, und dafür sorgen sämtliche beteiligten Musiker. „Butterfly“ etwa ist so eine Perle. Und – ach, alles!